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Kuba II: Unglaublich aber wahr



Nach 3'964 Kilometern auf kubanischen Strassen in einem chinesischen Mietauto der Marke Morris Garage (MG6), haben wir (fast) alle Ecken der Insel abgefahren. Fast 4'000 Kilometer werden einige geneigte LeserInnen erstaunt fragen. Kuba ist 1'250 Kilometer lang, 104'556 km2 gross, und somit die groesste Insel der Karibik und die 17. groesste Insel der Welt. Auf einem Atlas oder der Karte kommt einem das natuerlich alles nicht sonderlich gross vor, das ging uns vor der Reise auch so, doch wenn man erst einmal in diesem chinesischen Mietauto sitzt und ueber einige der wenigen Autobahnen - die man sich mit Ochsenkarren, Pferdegespannen, Fahrraedern und Fussgaengern teilt - gefahren ist und den Rest der Insel auf kleinen, mit Loechern nur so uebersaeten Strassen und/oder steinigen Pisten oder vor 20 Jahren asphaltierten Strassen erkundet hat, dann weiss man, dass Kuba in Wirklichkeit eine sehr grosse Insel ist.



Ein Grossteil der Insel ist flaches Land oder niedrige Huegellandschaft, abgesehen von einigen wenigen Bergen, von denen eigentlich nur die Sierra Maestra im Suedosten der Insel eine Erwaehnung wert ist, deren hoechster Punkt der Pico Turquino mit 1'974 m ist. Wenn man also vom Westen der Insel, wo sich die touristisch erschlossene und sehr sehenswerte Gegend der Mogotes von Viñales befindet, in den Osten der Insel will, z.B nach Santiago de Cuba, Trinidad und die besonders sehenswerten Kuestenabschnitte bei Cajobabo, dann muss man endlose Kilometer durch flaches Land fahren, wo die einzige "Sehenswuerdigkeit" riesige Zuckerrohrfelder, Palmenhaine und Rinder- oder Pferdeweiden sind. Die Palmen bieten uebrigens einige Abwechslung und sind immer wieder ein gutes Fotosujet. Die kubanische Koenigspalme, Roystonea regia, ist der Nationalbaum Kubas und allgegenwaertig (anscheinend soll es 20 Millionen davon geben), was ihrer Schoenheit keinen Abbruch tut. In Kuba gibt es 98 Palmenarten, die meisten davon gehoeren zu Coccothrinax und Copernicia. Ab und zu spendet auch ein Kapok-Bau, eine Ceiba pentandra, willkommenen Schatten entlang der Strasse. Die Ceiba ist uebrigens ein 'arbol sagrado', ein heiliger Baum, und sie koennen zu gewaltiger Groesse anwachsen.



Die Insel Kuba hat ueber 11 Millionen Einwohner, von denen sich ungefaehr 70% in den grossen Staedten La Habana, Santiago de Cuba, Camagüey und Holguín konzentrieren. Kaum kommt man etwas ins Land hinaus ist man so ziemlich alleine. 70% sind Weisse und v.a. Nachkommen spanischer Einwanderer, aber auch Osteuropaeer, die waehrend des Kalten Krieges auswanderten, sind darunter zu finden. 12% der Bevoelkerung ist dunkelhaeutig und stammt grossenteils von verschleppten afrikanischen Sklaven ab. Die restlichen 18% sind Mulatten und ein kleiner Teil Asiaten. V.a. im Osten der Insel gibt es auffallend viele farbige Menschen. Die Taíno, ein Volk der Arawak, sind die Ureinwohner Kubas, die allerdings schon frueh durch Gewalt und v.a. Krankheiten der spanischen Kolonisten ausgerottet wurden. Kuba hat eine erstaunliche Alphabetisierungsrate von 99.8% und belegt global somit Rang 10. Bildung ist auf allen Stufen gratis und die Schulabschlussrate betraegt 94%. Das klingt alles ganz wunderbar, doch wenn man ein bisschen herumfaehrt und sich mit den Leuten unterhaelt, dann findet man schnell heraus, dass einem die beste Schulbildung nichts nuetzt, wenn man z.B. als junger studierter Archaeologe mit seinen in anderen Faechern studierten Freunden in einem kleinen staubigen Kaff mittags im einzigen Lokal, genannt Café/Bar/Disco, sitzt und billiges Dosenbier trinkt, weil man keinen Job findet. Oder man trifft den Bauer, der uns zu Kokoswasser einlud, als wir die uralte Ceiba fotografierten, die gleich neben seinem Haus in den Himmel ragte. Auch er ist ein studierter Ingenieur, doch mangels Arbeit wurde er eben Bauer, eine Arbeit die ihm grossen Spass macht. Oder der Universitaets-Professor, der pro Monat 80 CUC (80 US$) verdient. Oder das Aerztepaar, das mit seiner 'casa particular' und den Touristen mehr pro Monat verdient, als wenn sie beide als Aerzte arbeiten wuerden.



In Kuba gibt es zwei verschiedene Waehrungen, den peso convertible (CUC) und den peso cubano oder moneda nacional. 1 CUC ist soviel wert wie 1 US Dollar und bei unserem Besuch gab es fuer 1 CUC 25 pesos cubanos. Die Banknoten sehen ziemlich aehnlich aus, was die ganze Sache sehr verwirrend macht, ausserdem reden die Leute oft von Pesos und man muss nachfragen, ob es jetzt die teuren CUCs sind oder die billigen Pesos cubanos. Fuer Touristen gibt es eigentlich nur CUCs, d.h. alles, was man so macht und kauft, wird in CUCs berechnet. Falls man aber aus den Staedten herauskommt und einen Kaffee trinkt, eine Tuete Broetchen beim Baecker kauft, Bananen entlang der Strasse ersteht, oder eine kubanische Pizza am A der Welt isst, dann ist es ratsam, auch kubanische Pesos in der Tasche zu haben.



Wenn man eine gefuehrte Tour macht, wird man hoechstwahrscheinlich in Hotels untergebracht und geht in Restaurants essen, die dem Staat gehoeren. Als Individualtouristen in einem Mietauto sind die 'casas particulares', private Unterkuenfte in kubanischen Haeusern, die beste und preiswerteste Uebernachtungsmoeglichkeit. Zuerst halten wir uns an den Lonely Planet Reisefuehrer und fahren an die angepriesenen Haeuser, nur um festzustellen, dass alle Zimmer schon belegt sind. Kein Wunder, denn in Kuba rennt praktisch jeder Tourist, von chic bis hippie, mit einem Lonely Planet Fuehrer unter dem Arm herum. Am besten faehrt man einfach mitten ins Stadtzentrum hinein und haelt nach dem blauen Anker Ausschau, der auf die Tueren jener Haeuser gemalt ist, die Zimmer zu vermieten haben. Wenn das/die Zimmer schon vermietet sind, sind die Besitzer gerne bereit, eine Nachbarin, Freundin, oder Verwandte anzurufen, die auch Zimmer zu vermieten hat. Die Zimmer rangieren von spartanisch bis super kitschig. Manchmal muss man sich ein Badezimmer teilen, oft hat man einen eigenen kleinen Kuehlschrank, und eigentlich immer eine Klimaanlage und einen Ventilator, was in den heissen Sommermonaten absolut notwendig zum ueberleben ist. Seit 1997 duerfen Kubaner Zimmer in ihrem Haus an Touristen vermieten. Mittlerweile ist das ein richtiges Geschaeft geworden und viele Kubaner haben aufgestockt und vermieten nun ueber ihrer eigenen Wohnung noch weitere Zimmer. Normalerweise kommt man fuer 20-25 CUC unter, und bekommt damit nicht nur eine Uebernachtungsmoeglichkeit, sondern auch eine Chance, jeden Tag ein anderes Haus zu sehen und mit Kubanern ueber Gott und die Welt und v.a. ueber Kuba zu reden. Um diesen Bericht nicht zu lange zu machen und um mehr Bilder von den teils abenteuerlich kitschig ausstaffierten Casas zu publizieren, werden wir in einem separaten Bericht ueber unsere diversen Unterkuenfte berichten.



Kuba ist eines der letzten sozialistischen Laender der Welt. Das Land folgt den Ideen von José Martí (1853–1895, kubanischer Nationalheld und Maertyrer, Dichter, Journalist, revolutionaerer Philosoph, etc.) und Marx, Engels und Lenin. 1959 siegte die Revolution; 1961 begann das Handelsembargo der USA; 1967 wurde Che Guevara, ein weiterer kubanischer Nationalheld und Maertyrer, mit 39 Jahren in Bolivien umgebracht; 1991 bedeutete das Ende der Sowjetunion und in Kuba begann die sogenannte "Período especial en tiempo de paz", die Sonderperiode in Friedenszeiten, was mit dem schlimmsten wirtschaftlichen Zusammenbruch moderner Zeiten endete; 2006 trat Fidel Castro knapp 80-jaehrig wegen Krankheit vom Praesidentenamt zurueck und ernannte seinen fuenf Jahre juengeren Bruder Raúl zum neuen Praesidenten. Wir hatten ja schon viel gehoert und gelesen ueber Kuba, doch niemand kann einen auf die tatsaechliche Propaganda vorbereiten, die man im Land antrifft. Schon auf dem Weg vom Flughafen in die Innenstadt von La Habana faehrt man an vielen ueberlebensgrossen Plakatwaenden mit martialischen Spruechen vorbei. Zitate von Che, Fidel und Raúl trifft man ueberall entlang der Strassen an, natuerlich konzentrieren sich diese Parolen meist auf die groesseren Ortschaften. Dazu kommen Fotos von Fidel mit all den lieben Freunden wie z.B. Hugo Chavez und Nelson Mandela. Doch wir wollen hier nicht ins Detail gehen, sondern wollen diesen Plakaten einen ganzen Reisebericht widmen.



Zurueck zum Zeitplan. 2008 wurde Raúl Castro offiziell ins Amt des Praesidenten eingesetzt und erliess erste Reformen: u.a. wurde Kubanern Zutritt in Touristenhotels erlaubt (die meisten konnten/koennen sich sowieso sowas nicht leisten), ausserdem durften Kubaner erstmals Handys und andere elektronische Artikel kaufen. 2011 kamen die groessten oekonomischen und ideologischen Reformen, u.a. durften Kubaner Autos kaufen und wichtiger noch, es wurde ihnen erlaubt, Haeuser zu kaufen und verkaufen. 2012 wurde ihnen ausserdem erlaubt, nach Lust und Laune ins Ausland zu reisen (falls sie es denn bezahlen koennen). Dass mittlerweile viele Kubaner im Ausland einkaufen koennen, stellen wir schon am Flughafen fest. Hier werden Gepaeckwagen in die Zu-Verzollen-Schlange geschoben, auf denen Schachteln mit Flachbild TV's, DVD Playern und anderen elektronischen Artikeln aufgetuermt sind. Eine Hausbesitzerin erklaert uns spaeter zudem, dass sie mit der Condor einmal im Jahr 120kg Gepaeck pro Person kostenlos nach Kuba fliegen koennen. So importierte sie Badezimmerarmaturen, Kuechenmaschinen und weitere fuer uns selbstverstaendliche und unentbehrliche Haushaltsgeraete aus Deutschland und bezahlte dafuer 50 CUC Zoll. Bei genuegend Geld nimmt man die Grossmutter und Enkelkinder auch noch mit auf die Reise und bringt ein halbes Flugzeug voller Ware zurueck. Eine Sache ist uebrigens ausdruecklich vom Import ausgeschlossen, worauf man auch als einreisender Tourist hingewiesen wird: Pornografie. Eine andere Vermieterin brachte von ihrem letzten Urlaub in Mexiko kofferweise Weichmacher, Shampoo und Seife zurueck, da diese Artikel in Kuba kaum bis nie zu finden sind und wenn sie im Angebot sind, dann kosten sie ein Vermoegen. Ausserdem gibt es viele Vermieter, die Freunde oder einstige Kunden aus dem Ausland umsonst uebernachten lassen und im Gegenzug Bettwaesche, Handtuecher, Seifen oder sonstige "Luxusgueter" bekommen.



Und wie steht es mit den Autos, die sich die Kubaner seit 2011 kaufen koennen? 2014 gab es anscheinend 38 Kraftfahrzeuge (d.h. Autos, LKW's, Busse, kommerzielle und Frachtfahrzeuge) pro 1000 Einwohner in Kuba, was Rang 136 von 192 entspricht. Zum Vergleich: die USA belegt Rang 3 mit 797, Deutschland kommt auf Rang 20 mit 572, die Schweiz auf Rang 22 mit 566, und Mexiko auf Rang 59 mit 275 Kraftfahrzeugen pro 1000 Einwohner. Der Verkehr in Kuba besteht deshalb nicht aus Autos, sondern aus Fahrraedern, Ochsenkarren, Fussgaengern und Pferdekutschen. Wir alle schwaermen von den Oldtimern, die auf kubanischen Strassen herumfahren - bis man hinter so einem Oldtimer Lastwagen laengere Zeit hergefahren ist. Diese Dinger lassen die groessten und undurchdringlichsten schwarzen Rauchschwaden aus dem Auspuff, die man in seinem Leben je gesehen (und gerochen !) hat. Wir sind keine grossen Freunde der typisch amerikanischen Uebertreibungen à la "das beste/schlechteste/groesste was Du je in Deinem Leben ... hast", doch diesmal meinen wir es wirklich so. Doch wir wollen hier keineswegs vorgreifen, denn auch die wunderschoenen Oldtimer sind einen eigenen Bericht wert, v.a. der Fotos wegen!



Viele geneigte LeserInnen werden die Erwaehnung "unserer" Liebligspflanzen vermisst haben. Keine Sorge, wir haben natuerlich auch Agaven gesehen. Die meisten davon waren gross und gruen und haetten unseretwegen eigentlich alle unter einem einzigen Namen Platz gehabt. Neben den Agaven gibt es natuerlich noch eine ganze Menge andere interessante Pflanzen zu sehen. Uebrigens war ueber 90% von Kuba mit Wald bedeckt als die Spanier am Ende des 15. Jahrhunderts ankamen. Selbige marschierten von einem Ende der Insel ans andere im Schatten der Waelder, berichtete Fray Bartolome de las Casas. 1890 reduzierte sich der Waldbestand dank Rodung fuer Viehweiden und Zuckerrohr auf 54%. 1959 waren gerade noch 14% der Insel bewaldet, und Wiederaufforstung hat den Wert heute auf etwa 19% hochgehoben. Auf Kuba gibt es ungefaehr 6000 Pflanzenarten, wovon rund die Haelfte endemisch ist. Aber auf die speziellen Pflanzen wie Microcycas calocoma, Dracaena cubensis, die Melokakteen und natuerlich die Agaven wollen wir in einem separaten Reisebericht eingehen.



Was haben wir vergessen zu erwaehnen? Wahrscheinlich eine ganze Menge, denn in unseren mehr als drei Wochen auf der Insel haben wir so vieles erlebt und gesehen, dass man es unmoeglich in ein paar Reiseberichte zwaengen kann. So viele Dinge sind fuer uns so selbstverstaendlich geworden, dass man es kaum fassen kann, dass es noch Laender gibt, in denen man stundenlang nach Trinkwasser in Pet-Flaschen suchen muss; man in einem Restaurant am Meer undefinierbaren Fisch serviert bekommt; die Auslagen der Geschaefte aussehen wie in Ostdeutschland in den 60-er Jahren; Internetzugang saumaessig teuer ist; oder ein oeffentlicher Bus wegen Benzinmangel einfach nicht faehrt; es zwar Nestlé Eis im Becher gibt, doch keine Plastikloeffelchen dazu; die Polizeiautos mit ihrem riesigen Blaulicht auf dem Dach aussehen wie aus einem Monsieur Hulot oder Inspektor Clouzot Film; Lime eine Raritaet sind in einem Land, das Zitrusfruechte exportiert, usw., usf. Kurz und gut, das Tagesmotto lautet sehr oft 'no hay!' ('gibt es nicht!'). Nach wenigen Tagen wird einem klar, in welchem Paradies man wohnt, auch wenn es wie in unserem Falle nur ein kleines, unscheinbares Nest in Mexiko ist. Und man nimmt sich ploetzlich etwas an der Nase und ueberlegt sich zweimal, worueber man sich tagtaeglich denn wirklich beklagen will.



Juni 2016



Julia Etter & Martin Kristen