travelog 92






Hände hoch !



Der Millionenstadt Guadalajara entkommen? Kein Problem! Man nehme einfach eine der sieben grossen Ausfallstrassen und schon kann man entweder den Chapala-See, den Colima-Vulkan, die "Altos de Jalisco" mit ihren hübschen Dörfern und weiten Tequila-Feldern, die "Pueblos Magicos" wie Tapalpa, Mascota oder Tequila, oder aber die zerklüftete Schluchtenlandschaft des Rio Santiago besuchen.



Wir entscheiden uns für die Strasse nach Zacatecas. Vorbei geht es an den krebsgeschwürartig wachsenden Ausläufern von Guadalajara, wo die Häuschen Hühnerställen gleichen und man nicht einmal nüchtern sein eigenes Haus von demjenigen des Nachbarn unterscheiden kann. Etwas weiter ausserhalb stehen die Siedlungen für die wachsende Mittelklasse. Die Häuser sind etwas grösser, man legt Wert auf mehr Grünflächen, doch eintönig sind auch diese Siedlungen. Ohne Auto ist man hier draussen verloren. Keine Schule, keine Einkaufsmöglichkeit weit und breit. Dann folgt ein Friedhof mit Aussicht und drei monströsen roten Steinkreuzen. Letzte Ruheplätze sind unter der angeschriebenen Telefonnummer noch zu reservieren. Und dann türmen sich oberhalb der Strasse auch schon senkrechte Felswände. Kaum erreicht man den Abstieg ins Tal des Rio Santiago, schnuppert man auch schon verwundert. Bis nach hier oben dringt der Gestank der Kloake, die in Guadalajara hemmungslos in den armen Fluss entlassen wird.



Bald kommen wir an die Abzweigung nach Huaxtla, wo wir auf einer kleinen Strasse etwas in die Schlucht hinunterfahren. Unser Ziel ist Dioon tomasellii, das wir nach kurzer Suche auch tatsächlich finden. Die Population besteht aus vielen alten Pflanzen, die im Halbschatten unter Eichenbäumen gedeihen. Auch wunderschöne Agave guadalajarana und rosarot blühende Mammillaria jaliscana finden wir auf diesem kurzen Abstecher.



Wieder zurück auf der Hauptstrasse fahren wir weiter Richtung Zacatecas. Die Strasse führt immer weiter ins Tal hinunter und der Kloakenduft nimmt zu, je näher wir dem Rio Santiago kommen. Bald sehen wir ihn mit seinem ungewöhnlich gelbbraunen Wasser und den weisslichen Schaum-Ansammlungen am Talboden. Entlang der Strasse werden zur Mangozeit im Mai kleine Mangos angeboten. Es ist "Mango Barranqueño", benannt nach dem Gemeindehauptort San Cristobal de la Barranca. Unglaublicherweise findet im Mai jährlich die "Feria del Mango" statt, ausgerechnet während der heissesten Zeit des Jahres, wo auch der Kloakenduft am stärksten ist. Immerhin werden die Mangobäume so kräftig gedüngt. In San Cristobal de la Barranca fahren wir Richtung La Lobera. Die Strasse führt entlang des weiss schäumenden, stinkenden Flusses, Erleichterung für die Nase kommt erst, wenn die Piste langsam in die Höhe führt. Man sieht weit in die zerklüfteten Schluchten des Rio Santiago. Agave duplicata, A. bulliana und eine Manfreda wachsen in den Wiesen. In der Regenzeit kann man auch blühende Erdorchideen bestaunen. Weiter oben erreicht man die ersten Klippen, die wir natürlich entlangwandern. Auf der Ebene gedeihen wunderschöne Exemplare von Agave guadalajarana zusammen mit den wohl am extremsten gebänderten A. schidigera, die wir je gesehen haben. In den senkrechten Klippen formt Agave rzedowskiana kleine Polster. Mammillaria jaliscana und M. scrippsiana, Pitcairnia, Hechtien und Orchideen sind weitere Klippenbewohner. Und wenn man ganz genau hinschaut, kann man auch eine noch unbeschriebene Echeveria finden, die der weit entfernt in Oaxaca beheimateten E. nodulosa gleicht. Wunderschöne grossblättrige Eichenbäume spenden den idealen Schatten für ein gemütliches Picknick. Ein paar Häuser mit einem alten Brotofen sind nur an Wochenenden und während der Regenzeit bewohnt, wenn das Vieh auf den Weiden genügend Gras findet.



Für normale Autos endet die Reise hier. Mit hoher Bodenfreiheit kann man aber auf einer mehr oder weniger befahrbaren Piste über El Salvador nach Amatitan und Tequila weiterfahren. Da wir in Jean-Marc's neuem Toyota FJ Cruiser unterwegs sind, wollen wir doch mal sehen, ob das Auto für mexikanische Pisten geeignet ist. Die Strecke führt durch schöne Eichenwälder, wo wir immer von Agave guadalajarana, den diversen Manfredas und Mammillaria jaliscana begleitet werden. Nächster Halt ist eine Opalmine auf halbem Weg nach El Salvador. Ein paar zusammengezimmerte Bretterhütten werden von den in der Mine arbeitenden Männern und ihren Familien bewohnt. Bei unserem Besuch klagt uns ein junger Mann gerade sein ganzes Leid und wenn wir wollten, und das nötige Kleingeld hätten, könnten wir gleich den Vertrag unterschreiben und die ganze Mine kaufen. Wir steigen etwas in die Mine hinein, die eigentlich nur ein Steinbruch ist. Das geübte Auge erkennt Opal-haltiges Gestein sofort. Es ist harte Knochenarbeit, bis man endlich einen Opal findet, der auf dem Markt etwas hergibt. Wir Anfänger haben nicht viel Glück und sind nach kurzer Zeit auch schon erschöpft vom Steine klopfen mit dem schweren Hammer. Der junge Mann rät uns zu einer schnellen Weiterreise. Auf keinen Fall sollten wir anhalten, wenn uns von irgendwoher etwas zugerufen würde. Wir versichern ihm, dass wir nicht das erste Mal in dieser Gegend unterwegs seien und keinesfalls nach Einbruch der Dunkelheit weiterfahren würden. Gemütlich fahren wir weiter und stoppen immer wieder bei interessant aussehenden Felsen. Spektakuläre Neufunde können wir allerdings nicht verzeichnen. Nach einer ganzen Weile kommen wir um eine Kurve herum und sehen uns zwei schwarzen Pickups und ungefähr 15 Männern gegenüber, die alle ihre Waffen auf uns gerichtet haben. Erst einmal schlucken wir leer. Dann versichert uns der Anführer, dass sie von der Regierung sind. Aha, unsere Regierung ist das bestimmt nicht, doch das sagen wir natürlich nicht laut. Unsere Ausweise werden kontrolliert und wir müssen Auskunft geben, was wir hier denn zu suchen hätten. Und immer wieder versichert uns der Anführer, dass sie von der Regierung seien und hier für Ordnung sorgen würden. Der ganze Spuk dauert nur etwa 10 Minuten, dann schicken sie uns mit einem "buen viaje" auf die Weiterfahrt. Wahrscheinlich haben sie uns schon vorher beobachtet und Jean-Marc's Toyota, ein bei Drogenleuten beliebtes Modell, kam ihnen verdächtig vor. Es ist schon unglaublich, was einem keine 50 Kilometer von Guadalajara entfernt alles über den Weg laufen kann.



Kurvenreich geht die Strecke weiter, vorbei an wunderschön blauen Agave guadalajarana und immer wieder A. bulliana mit ihren hübschen weissen Glöckchenblüten. Die Landschaft wird flacher, die Piste befahrener, die Gegend besiedelter. Bald erreichen wir El Salvador, ein Dorf welches in der Vergangenheit wegen Schiessereien zwischen Drogenbanden und Polizei traurige Schlagzeilen gemacht hat. Ab hier ist die Strasse ganz neu geteert und wir kommen schnell vorwärts. Es geht entlang einer beeindruckenden Felswand hinunter zur Staumauer der Presa Santa Rosa. Hier treffen wir wieder auf den Rio Santiago, der glücklicherweise bei seinem Fluss durch den Stausee den grössten Gestank verloren hat - jedoch unser Trinkwasser würden wir auch hier noch nicht aus dem Fluss nehmen. In den senkrechten Klippen können wir Agave chazaroi entdecken, die wir etwas später besser zugänglich nahe von Tequila besuchen. So steil wie es hinunterging, führt die Strasse nun wieder in die Höhe. Oben angekommen fahren wir durch endlose blaue Felder von Agave tequilana, die einen wunderbaren Kontrast zur roten Erde bildet. Diese Gegend wurde 2006 von der UNESCO zum Weltkulturerbe unter dem Namen "Agave Landscape and Ancient Industrial Facilities of Tequila" ernannt.



Wer nicht schon alle Zeit auf der kleinen Rundtour verbraten hat, kann in Amatitan nach rechts Richtung Tequila abbiegen. Das "Pueblo Magico" ist eigentlich nicht viel mehr als ein grosser Verkaufsladen für Tequila und Mezcal. Jedes Geschäft hat die gleiche Auswahl an Fässchen, Shot-Gläsern, Spirituosen und weiteren Souvenirs im Sortiment. Der Hauptplatz wurde schön hergerichtet, das Tequila Museum um die Ecke ist ganz interessant, doch die geführten Touren durch die beiden grössten Tequilafabriken Cuervo und Sauza sind überteuert. Schnell verlassen wir Tequila wieder Richtung Westen und biegen nach San Martin de Cañas ab. Hier fährt man auf Pisten durch weitere Agavenfelder, die sich bis an den Horizont, oder in unserem Falle bis an eine der vielen Zubringerschluchten des Rio Santiago, erstrecken. In der Ferne schimmert der Vulkan Tequila. Wir marschieren durch ein Agavenfeld bis an den Rand einer tiefen Schlucht und finden hier einen kleinen Pfad, der uns bis unterhalb an die obersten Klippen führt. In den roten Wänden gedeiht Agave chazaroi zu Tausenden. Die strahlend grünen Pflanzen kontrastieren wunderschön mit der roten Farbe der Felsen. Die einheimische Plumeria rubra schmückt sich in der Trockenzeit mit weissen Blüten. Hechtien und Mammillaria scrippsiana bevölkern die schattigen Felswände. Schattenspendende Pflaumenbäume, die kleine orangene Früchte mit grossem Stein produzieren, laden zu einer kurzen Rast ein. Der Blick über die tiefe Schlucht und auf den Tequila Vulkan ist wunderschön.



Zurück nach Guadalajara geht es entweder auf der teuren gebührenpflichtigen Autobahn oder auf der extrem befahrenen "Libre", wo man in langen Kolonnen hinter Lastwagen herschleicht. Bei Jean-Marc lassen wir den Tag mit einem eiskalten Pacifico Bier ausklingen und lassen uns von Lupita gerne mit einem mexikanischen Mahl verwöhnen.



Januar 2010