travelog 9



Yellowstone



Uns ging es wie Millionen anderer Touristen auch, es wurde im Südwesten der USA viel zu heiss. Bei 40-45° Celsius im Schatten macht nun mal wandern, fotografieren und Feldforschung ganz einfach keinen Spass mehr – ausser man hat Anschluss ans Stromnetz und lässt die Klimaanlage Tag und Nacht laufen und verbringt seine Zeit in einem Swimming Pool.



Wir bewegen uns deshalb in Richtung Norden und wollen auf unserem Weg nach Kanada den Grand Teton und den Yellowstone Nationalpark besuchen. Von vielen Leuten und aus der Literatur wissen wir bereits, dass Grand Teton ein nicht so stark frequentierter Park sein soll, Yellowstone dafür in den Monaten Juli und August um so mehr aus allen Nähten platzt. Was wir dann aber antreffen, übertrifft unsere Befürchtungen bei weitem...



Grand Teton, ein eher "kleiner" Park (125'666ha) mit einer wunderschönen Bergkette, die sich steil über einer Ebene mit Seen, Flüssen, Nadelwäldern, Blumenwiesen und offener Prärie erhebt, ist schnell erkundet. Glücklicherweise gibt es in diesem Park eine dirt road, die noch nicht dem Zugänglichkeits-Wahnsinn der Amerikaner (je mehr Teer, desto besser) zum Opfer gefallen ist, auf der sich also nur kleine Autos oder 4x4-Mobile bewegen können. Kaum hat man die Park-Hauptstrasse verlassen, auf der die Autos und Wohnmobile in schier endlosen Kolonnen fahren, ist man plötzlich völlig alleine. Und hat die Möglichkeit, sich oberhalb des Snake River an diversen Aussichtspunkten hinzustellen und Tiere ohne Menschenmassen und Staus zu beobachten. In den Flussauen äsen Hirsche, Rehe und Elche, in der Prärie streifen einsame Bisonbullen umher und lassen sich von einem Auto nicht im geringsten stören. Ein Bald Eagle (der amerikanische Wappenvogel) beobachtet von seiner Aussichtsplattform (sprich' Aussichts-Ast) eines hohen Baumes das Leben unter sich und Kanadagänse lagern am Wasser. Kaum kehrt man jedoch auf die Hauptstrasse zurück, holt einen die Wirklichkeit wieder ein: überfüllte Parkplätze und Wanderwege, Campingplätze morgens um 9 Uhr schon voll besetzt, Strassen, auf denen sich Auto an Auto und Wohnmobil an Schlachtschiff reiht. Hier kann Natur nicht mehr Natur genannt werden.



Von diesem Park kann man direkt in den Yellowstone Nationalpark überwechseln, den ersten Nationalpark der USA, der mit 898'350ha schon bedeutend grösser ist und wohl zu den beliebtesten und auch meistbesuchten der Staaten zählt. Da meinen zwar die Leute, hier würden sich die Menschenmassen verlaufen, weil der Park so riesig sei. Vielleicht empfinden das Amerikaner aus Grossstädten so, doch wir bekommen schnell klaustrophobische Anwandlungen und verlegen die Besuchszeiten an den Geysiren, Hot Pools und Springs auf morgendliche 05-08 Uhr. Ab 09:30 Uhr fährt ein Auto hinter dem anderen, die Parkplätze sind überfüllt und auf den Holzplankenwegen um die Geysire herum stehen die Leute Schlange, um ein Bild machen oder einen Blick erhaschen zu können ! Kaum verlassen wir unseren PocoLoco, sind wir auch schon umringt von Menschen, die die üblichen Fragen stellen (woher, wohin, wie und warum). Sind dann alle zufriedengestellt bzw. abgeschüttelt und wir wollen uns endlich etwas ansehen, geht es hinter unserem Rücken los mit dem Versuch, Stauklappen zu öffnen und besonders die sogenannten "Fachleute", die selbsternannten Spezialisten lassen es sich nicht nehmen, alles zu betatschen, zu begriffeln und abzuklopfen, an die Reifen zu treten (könnte ja aus anderem Material als Gummi bestehen !), unters Auto zu kriechen und wichtigtuerisch ihren Begleitern zu eröffnen, dass es sich hier um ein etwa 4-5 Tonnen schweres Fahrzeug handle, das – wie man ja offensichtlich sehe – aus Neuseeland stamme und das man locker für seine 60'000 Dollar – neu, versteht sich – haben könne.



Auf den Campingplätzen wird Sightseeing vom Auto aus betrieben; mit knatterndem Motor bestaunen sie unser Mobil, schleichen drumherum, knipsen von allen Seiten, klopfen an die Tür – kurz und gut, etwas Ruhe und Frieden kann man hier vergessen. Kaum wird ein wildes Tier in der Nähe der Strasse gesichtet, entsteht sofort ein Verkehrsstau. Jeder will sich ein Stückchen Natur mit nach Hause nehmen. Es wird munter im Auto gegen die eigenen Autoscheiben geblitzt – das sind die vorsichtigeren unter den Touristen – und andere steigen trotz aller Warnungen, die überall aushängen und die man sogar an den Einfahrtsporten schriftlich ausgehändigt bekommt, aus, nähern sich mit ihren Kameras tonnenschweren Bisons und versuchen, mit ihren Weitwinkel-Knipsomaten ein formatfüllendes Bild zu schiessen. Die beste Geschichte (die wir leider nur hörten und selbst nicht miterlebten) ist die von japanischen Touristen, die versuchen, ihr eigenes Kind auf den Rücken eines friedlich grasenden (aber natürlich wilden) Elches zu setzen, um zu einer ganz "individuellen" Aufnahme zu kommen. Eigentlich ist es kein Wunder, dass bei solchen und ähnlichen Aktionen jährlich einige Menschen verletzt (wenn nicht getötet) werden. Fragt man die Leute dann, was sie sich denn denken bei solchem Unsinn, so erhält man keine Antwort – wahrscheinlich haben sie in der Eile bei der Abreise in die wohlverdienten Ferien einfach ihr Hirn zu Hause vergessen.



Der Ausbruch des Old Faithful, des wohl berühmtesten Geysirs des Parks (sehr wahrscheinlich, weil man nur 100m zu Fuss gehen muss und er relativ regelmässig ausbricht), ist ein Schauspiel für sich. Nicht unbedingt wegen des Geysirs, sondern wegen der Leute ! Auf 5 Reihen von Holzbänken sammeln sich rundherum alle 2 Stunden Tausende von Menschen mit ihren Kameras im Anschlag. Kaum blubbert etwas Wasser über den Rand der Öffnung des Geysirs, rattern und surren die Auslöser; schiesst das Wasser dann in einer gewaltigen Fontäne in die Luft, ist die Menge nicht mehr zu halten - es wird geknipst, geblitzt und gefilmt, was das Zeug hält. Uns haben es in den frühen Morgenstunden aber vor allem die geothermischen Zonen mit ihren Hot Pools angetan und die etwas weniger besuchten Gebiete, wo in der kalten Morgenluft der Boden nur aus weissem Dampf zu bestehen scheint und die Luft von Schwefelgeruch erfüllt ist.



Zwar gefällt uns das Lower Geyser Basin, in dem sich Old Faithful befindet, am besten – es ist jedoch auch das am meisten besuchte. Das Gebiet um Norris, das Norris Geyser Basin, mit seinem äusserst seltenen, in der Welt grössten sauren Geysir Echinus (das Wasser soll so sauer wie Essig sein – wir haben's aber nicht ausprobiert !) und seinen vielen geothermischen Quellen, die wie farbige Seen oder Tümpel aussehen, beeindruckt uns fast ebensosehr. Die farblich so harmonisch abgestimmten Quellen (z.B. Cistern Spring) zeigen je nach Wassertemperatur alle Varianten von einem tiefdunklen bis zu einem unnatürlich hellen Blau, übergehend in ein helles Gelb bis Orange, wo sich mangels hoher Temperaturen auch Bakterien entwickeln können. Tote, völlig weisse Baumstümpfe und -stämme, grossteils durch die geothermischen Aktivitäten schon versintert, stehen wie unwirkliche Mahnmale in der ansonsten so grünen, vom prallen Leben erfüllten Landschaft – welch' Gegensätze !



Doch nach nur drei Nächten entschliessen wir uns, vor den Touristenmassen zu fliehen und vielleicht später mal wieder hierher zurückzukommen – wenn die Saison vorbei ist oder noch nicht begonnen hat. Nicht aber, bevor wir den Mammoth Hot Springs einen kurzen Besuch abstatten konnten. Auf der Fahrt dorthin wackelt ein Schwarzbär über die Strasse, schaut sich interessiert um, erklimmt einen Hügel und verschwindet dann so plötzlich wie er erschien wieder im hohen Gras. Mammoth Hot Springs ist ein grosses Areal mit vielen nicht mehr aktivern heissen Quellen. Immer wieder "schlafen" Quellen ein und andere erwachen zu neuem Leben. Ein Tennisplatz musste schon "evakuiert" werden, um ihn vor schnell wachsenden Sinterterrassen zu schützen. Das schönste hier aber sind die Minerva Terrassen, ein Hügel, bedeckt mit farbigen Terrassen, kleinen Pools und Wasserlöchern. Je nach Mineralien im Wasser sind die Farben unterschiedlich: die nicht aktiven Gebiete haben verschiedene Grautöne, die aktiven sind lachsfarben, dunkelgelb bis orange oder strahlend weiss.



Juli 1998



Julia Etter & Martin Kristen