travelog 89

Die 'Donnernde Herde' in der Sierra Huicholes
Auf Tausend Umwegen beginnt unsere Reise in die Sierra Huicholes. Zuerst werden wir ueber einen Freund angefragt, ob wir eine bestimmte Strecke suedlich von Durango kennen. Wir verweisen an einen anderen Freund, der allerdings auch nicht weiterhelfen kann. Das Interesse ist nun aber geweckt und wir machen uns ans Studium der Karten. Bald sind Pläne ausgeheckt und wir wollen uns mit einer Gruppe von Holländern treffen, um von Huejuquilla (Jalisco) ueber Jesus Maria (Nayarit) nach Mezquital (Durango) zu fahren. Kurz vor der Abreise bekommen wir aber den Bescheid, dass die Holländer keinen 4x4 mieten konnten, sondern nur einen grossen Van, von dem wir bezweifeln, dass er besagte Strecke meistern könnte - was sich später als nur zu wahr herausstellen soll. Schlussendlich besteht unsere Reisegruppe aus Walter Fitz Maurice, kurz Fitz genannt, der aus frueheren Reiseberichten bekannt ist, und Jean-Marc Chalet, einem Echinocereus-Freak, der von Manuel Sotomayor begleitet werden soll. Die Holländer wollen wir in Huejuquilla treffen, aber nicht mitnehmen.
Wir ziehen in zwei Autos los, die mit Kuehltruhen, Zelten, Schlafsäcken, Fressalien, Fotoausruestung, Wanderschuhen, und was man eben sonst noch so braucht fuer eine kleine Expedition in unerforschtes Gebiet vollgeladen sind. Von Teul de Gonzalez zweigen wir auf Pisten ab, um nicht in einem grossen Bogen nach San Martin de Bolaños fahren zu muessen. Einheimische meinen, es gäbe eine Verbindung, die gar nicht so schlecht sei. Zuerst geht es durch schöne Eichenwälder, doch an interessanten Pflanzen bekommen wir nicht viel zu Gesicht. An einer niedrigen Felswand und vielen mit Moos bewachsenen runden Steinen suchen wir alle nach kleinen Mammillarien mit gehakten Dornen, den Stylothelae, die Fitz besonders interessieren. Wir werden fündig. Ausserdem gibt es hier Agave maximiliana und eine kleine Orchidee, doch im Moment ist alles relativ trocken. Bald erreichen wir den Rand eines breiten und tiefen Tales und von 2300m fahren wir in Kurven 1000m den Berg hinunter. Von der angenehmen Bergluft kommen wir in den heissen Backofen. Vom luftigen Eichenwald mit Stylothelae in den stickigen blattwerfenden tropischen Wald mit Mammillaria scrippsiana und Säulenkakteen. Das einzige Hotel in San Martin de Bolaños verfügt über einfachste Zimmer, die immerhin mit einem Deckenventilator ausgerüstet sind. Um die Ecke finden wir ein Restaurant, wo uns gegrilltes Hühnchen mit Nudelsalat serviert wird, doch als die Besitzer merken, dass wir auf mexikanische Küche stehen, bekommen wir auch Bohnen, lokalen Käse und scharfe Salsa. Zu Fitz'es 85. Geburtstag öffnet Jean-Marc eine Flasche Champagner, die den Abend perfekt beschliesst.
Von San Martin de Bolaños fahren wir nach Bolaños und von dort weiter Richtung Tuxpán de Bolaños. Von weit unten sind uns zwei Antennen auf felsigen Bergrücken aufgefallen und zu unser aller Erstaunen führt unsere Strasse, eine Piste, die verbreitert und zur Asphaltierung vorbereitet wurde, genau in Richtung dieser Antennen. Wieder kurven wir über 1000m in die Höhe. Zum ersten Microondas führt eine kleine Piste. Die Aussicht zurück über das weite Tal von Bolaños ist atemberaubend. In den Klippen entdecken wir Agave rzedowskiana und in schattigen Partien auch Graptopetalum amethystinum, zwei Arten, die wir hier oben erwartet hatten. Auch zum zweiten Turm soll eine Piste führen, doch es stellt sich bald heraus, dass wir noch eine ganze Weile zu Fuss in die Höhe klettern müssten, um die Antennen zu erreichen. Im Nadelwald ziehen natürlich wieder moosige Felsen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Wir finden aber "nur" Mammillaria senilis, dafür eine Pflanze mit xx offenen Blüten, was natürlich gebührend fotografiert werden muss. Wieder zurück in Bolaños finden wir heraus, dass Manuel uns am nächsten Tag wegen eines Notfalls in der Familie mit dem ersten Bus um 6 Uhr morgens Richtung Guadalajara verlassen wird.
Am nächsten Tag wollen wir über Tenzompa nach Huejuquilla fahren. Jean-Marc hat vor der Reise gewissenhaft alle Karten im Internet studiert und Kopien gemacht. Natürlich hat er sich alle Strecken auch auf Google Earth angeschaut und er versichert uns, dass alles wunderbar aussieht. Bis zur Abzweigung nach Tuxpán de Bolaños kennen wir die Strecke ja schon vom gestrigen Tag. Für eine ganze Weile geht die Piste in einigermassen gutem Zustand weiter. Dann wird sie extrem staubig, steinig und schlecht. Man sieht, dass an einer Verbreiterung und Verbesserung der Piste gearbeitet wurde, doch mitten in den Arbeiten drin wurde alles stehen und liegengelassen. Nun kommt uns in den Sinn, dass wir vor einiger Zeit genau über diese Strecke in der Zeitung gelesen hatten. Die Huicholes, Eigentümer des Landes, verboten die Weiterarbeit an der Strasse, da ihrer Meinung nach ihre Rechte nicht beachtet und Naturschutzbestimmungen nicht eingehalten wurden. Anstatt eine gut zu befahrene Piste zu haben, sind sie jetzt schlechter dran als zuvor. Wo die neue Strecke unbefahrbar ist, hat man mit einer Maschine einen Pfad durch den Wald geschoben, der sich durch die Bäume schlängelt. Dann geht es wieder auf die neue Strecke zurück, wo man genügend Abstand zum nächsten Auto einhalten muss, da man sonst in einer Staubwolke erstickt. Und auch mit genügend Abstand ist die Staubwolke so dicht, dass man oft keine paar Meter weit sieht. Wie auf der Achterbahn rollen und schlingern wir durch den dicken, superfeinen Staub. An einer Verzweigung, wo es Benzin aus Kanistern zu kaufen gibt, erkundigen wir uns nach der weiteren Strecke nach Tenzompa. Als uns der Mann erklärt, dass es so weitergehe wie bisher, entscheiden wir uns spontan für die andere Strecke nach Mezquitic, die anscheinend besser sein soll. Natürlich fahren diese Strecke nun alle Autos, deshalb ist auch sie in einem eher bedauernswerten Zustand. Immerhin finden wir einen schönen Picknickplatz abseits des Staubes, wo wir uns rezenten Käse und eine Flasche Wein zu Gemüte führen. Danach sind alle schon ein bisschen besseren Mutes und in fröhlicher Stimmung. Unterwegs finden wir nichts mehr als Mammillaria senilis, die bevorzugt auf exponierten moosigen Steinen und Felsen wächst und dank ihrer roter Blüten jetzt besonders gut sichtbar ist. An der einzigen interessanten Felswand finden wir wie zu erwarten mehr Graptopetalum amethystinum, die allgegenwärtige Agave bulliana, kleine Orchideen und Mammillaria jaliscana, die für Fitz allerdings nur M. mercadensis darstellt. In Mezquitic erreichen wir dann endlich die langersehnte Tankstelle und die Asphaltstrasse, auf der wir ganz schnell in Huejuquilla sind. Unser Lieblingsrestaurant mit den tollen "Gorditas" ist leider für immer geschlossen. Andernorts gibt es die üblichen "Quesadillas" mit Bohnen, die bei den Männern besonders beliebt sind und am nächsten Tag zu einem wahren Konzert führen.
Die beliebten Bohnen werden bekanntlicherweise nicht von allen Leuten gleich gut verdaut. Fitz lässt seinen Gasen hemmungslos freien Lauf, es erfreut ihn sogar ganz besonders, wenn er andere Leute mit seinen Geräuschen überraschen kann. Sobald Jean-Marc und Martin merken, dass sie sich in guter Gesellschaft befinden, tun auch sie sich keinen Zwang mehr an. Hemmungslos werden Frösche zertrampt, wie die Herren den Vorgang nennen, der auf gut deutsch ganz einfach einen Furz fahren lassen heisst. Passend haben wir deshalb den poetischen Titel "Donnernde Herde" für diesen Reisebericht gewählt.
Den nächsten Tag verbringen wir in der Nähe von Huejuquilla. Auf staubigen kleinen Pisten erkunden wir die Umgebung, entdecken weitere Standorte von Echinocactus grusonii und müssen Fitz'es Jeep mit Hilfe von Jean-Marc's Tracker aus dem Sand eines Flussbettes ziehen, wo er bei einem Wendemanoever steckenblieb. Etwas später dringt vom linken Vorderrad des Jeeps ein seltsames Quietschen an unsere Ohren. Zu sehen ist nichts, doch das beunruhigende Geräusch will nicht aufhören. Es muss irgendwo von den Bremsscheiben kommen. Probleme mit den Bremsen weitab jeder Werkstätte haben uns gerade noch gefehlt. Es bleibt nichts anderes übrig, als den Wagen aufzubocken und das Rad abzunehmen. Zu unser aller Erleichterung ist es nur ein kleiner Stein, der sich zwischen Bremsscheibe und Bremsbelag festgesetzt hatte, und der ist schnell entfernt. Nun klingt das Auto wieder ganz normal und wir können beruhigt weiterfahren. Als wir nach Huejuquilla zurückkommen, stehen schon die Holländer vor dem Hotel. Das Restaurant von gestern ist geschlossen und ein mexikanischer Fastfood Laden, wo es Hamburgers, Hot Dogs, Quesadillas und Sincronizadas gibt, serviert heute ausschliesslich fleischlos. Es ist Aschermittwoch und die Fastenzeit beginnt. Und in Jalisco, dem wohl katholischsten Bundesstaat Mexicos wird diese rigoros eingehalten. Also mehr Stoff fürs Frosch-Konzert.
Wir fahren früh los Richtung Jesus Maria, um genügend Zeit für die Strecke zu haben. Beim Aussichtspunkt weit über San Juan Capistrano stoppen wir, um den Blick zurück zu geniessen. Eine Huicholfamilie hat sichtlich die Nacht hier verbracht und ihren Göttern gehuldigt, man riecht den "Incenso" bis zur Strasse hinauf. Bis hinter Canoas ist die Strasse asphaltiert. Mehr als Mammillaria senilis und M. decipiens treffen wir allerdings nicht an. Im Februar 2008 verwandelte sich die Piste hinter Canoas in ein staubiges und steiniges Abenteuer, doch jetzt ist bis zur Abzweigung nach San Andres Cohamiata schon fleissig gearbeitet worden und wir kommen extrem schnell vorwärts. Moosige Felsen und Steine in Eichen- oder Nadelwäldern verführen immer wieder zu Stopps. Abgesehen von Mammillaria berkiana, die leider nicht in Blüte ist, finden wir aber nichts aufregendes. Bald verlassen wir die etwas kühleren Eichenwälder und kommen wieder in tropischere Gegenden. Die Klimaanlage ist sehr willkommen, bläst einem doch durch die Fenster eine Hitze wie aus dem Backofen ins Gesicht. Die Strecke zieht sich in die Länge, weit unter uns ist der Rio XX sichtbar und immer wieder eine kleine Ortschaft, doch nie ist es Jesus Maria, unser heutiges Ziel. Bei La Guerra überqueren wir den Fluss auf einer schönen Brücke, wo man endlich wieder mal etwas Gas geben kann. Wieder weit oberhalb des Flusses sind runde Flusssteine in der Strassenböschung zu sehen, Beweis dafür, dass sich der Fluss in Jahrtausenden durch die Hügel gefressen hat. Endlich kommen wir am Flughafen von Jesus Maria vorbei. Ein Schild weist einen darauf hin, falls man dabei vorbeigefahren wäre, denn dieser besteht aus nichts weiter als einer grasigen Landepiste und einer unbequemen Bank unter einem Mezquitebaum, der sogenannten Wartehalle. Und dann erreichen wir auch die Ortschaft, wo das einzige Hotel immer noch nicht ausgeschildert ist.
Um in den schattigen Patio zu gelangen, muss man sich seinen Weg durch Second-Hand Kühlschränke und Ventilatoren bahnen. Danach kommt die offene Küche und im Patio einige Tische und Stühle. Doña Roberta erinnert sich nicht mehr an uns, verlangt aber wesentlich weniger als beim letzten Mal. 100 Pesos pro Person für ein winziges Zimmer mit zwei schmalen Betten mit durchgelegenen Matratzen, einem Bild Papst Johannes Paul II mit der Virgen de Guadalupe an der Wand, einem Standventilator und einem kitschigen Gestell ist allerdings immer noch sehr hoch. Vor allem weil die Toiletten immer noch nur über einige unbeleuchtete Steintreppen zu erreichen sind, über keine Türen verfügen und per Eimer selber gespült werden müssen. Die Dusche, die wir letztes Mal nur von weitem kurz besichtigt hatten, benützen wir diesmal allerdings, nachdem sie Doña Roberta extra für uns noch schnell sauber macht. Warmes Wasser gibt es keines, doch bei 38° Celsius Lufttemperatur ist uns das lauwarme Wasser gerade recht. Dann ein kaltes Bier obwohl das hier laut handgeschriebener Hotelregelung verboten ist. Beim Eindunkeln kriechen und hüpfen Kröten aus ihren Verstecken heraus. Blattschneiderameisen beginnen ihr Werk und transportieren rosarote Blüten einer Bougainvillee ab. An einem Blumentopf lauert ein Skorpion auf Beute. Doña Roberta wärmt uns ein paar "Quesadillas" und die üblichen Bohnen. Danach insistiert sie, dass wir uns ihren kleinen Laden mit Kunsthandwerk anschauen. Umsonst will sie ihn uns zeigen, ohne Kaufverpflichtung könnten wir die Sachen anschauen. Während der Osterwochen, erzählt sie uns, fordert sie von den Touristen Eintritt, wenn sie den Laden sehen wollen. Die würden nämlich nur alles anfassen und nichts kaufen. Unsere Ausrede, den Laden schon beim letzten Besuch gesehen zu haben und nichts mehr kaufen zu wollen, lässt sie nicht gelten. Als sie dann merkt, dass wir tatsächlich nichts von ihren verstaubten Sachen kaufen wollen, bettelt sie uns an, sie zu unterstützen. Ihr Mann sei gestürzt und im Kopf nicht mehr ganz recht und seine Medizin so teuer, da bräuchte sie unsere Hilfe. Später, im Dorfladen, erzählt uns die Besitzerin, dass sie vor ein paar Tagen von Huicholes nachts bei der Busfahrt nach Tepic überfallen und ausgeraubt worden sei. Nach diesem Erlebnis erklärt sie die Huicholes als grundsätzlich böse Menschen, die an teuflische Sachen glauben. Wir sollten uns in Acht nehmen, wenn wir durch ihr Gebiet fahren würden. Die Cora allerdings, die bei Jesus Maria und Mesa del Nayar wohnen, seien durchwegs gute Menschen, denn sie glaubten schliesslich auch an Gott. Bei Llano Grande würden wir dann zu den Tepehuanes kommen, die noch schlimmer seien als die Huicholes. Wahrscheinlich hat es mit dem roten Schild über der Strasse bei Canoas schon etwas auf sich, auf dem der Reisende gewarnt wird, dass man sich hinter diesem Punkt auf eigene Verantwortung bewege. Und das nicht wegen der schlechten Strassen, sondern wegen der Ungewissheit, wem man über den Weg läuft.
Unser Abenteuer geht eigentlich erst heute richtig los. Von Jesus Maria fahren wir nach San Juan Peyotan und weiter nach Santa Maria Huazamota. Die Piste ist anfangs unglaublich schlecht, doch da uns ein Bus entgegengekommen ist, kann es nicht viel schlechter werden. Bei Huazamota kommt uns ein Hummer des Militärs entgegengerast, es ist dies das einzige Militär, das wir im vorbeisausen zu Gesicht bekommen. Huazamota liegt in einem wunderschönen Flusstal. Auf einem riesigen runden Felsen geniessen wir die Sicht. Die Landschaft ist gelb und braun, vertrocknet. Kleine Gehöfte säumen den Fluss. Sie sind mit Steinmauern aus runden Flusssteinen eingezäunt. Kleine Vorratshäuschen mit dünnen Aesten als Wänden stehen auf Holzbalken. Alles sieht unheimlich sauber und aufgeräumt aus. Ein dicker, fetter Leguan sonnt sich auf den Steinen. Die Indios in den kleinen Ortschaften, Huicholes, Coras, Tepehuanes, sind durchwegs bunt gekleidet und schauen uns neugierig nach. Hier wird an der Strasse gearbeitet und bei uns kommt Hoffnung auf. Doch nicht für lange, denn bald sehen wir, wo sich die Piste den Berg hinaufschlängelt. Immerhin lässt dies auf kühlere Temperaturen hoffen. Wir beginnen den beschwerlichen Weg in die Berge hinauf. Es braucht einiges an fahrtechnischem Können, um den besten Weg über die hohen Steine, ausgewaschenen Rinnen und im Staub versteckten Hindernisse zu finden. Und ab und zu genügend Schwung, um die steilsten Stücke hinaufzuschliddern. Wir sind dem Jeep heute noch dankbar, dass er auf seinem intelligenten Armaturenbrett anzeigte, wenn die Räder keine Traktion mehr hatten, als ob wir das nicht auch selber gemerkt hätten. Eine interessante Agave, etwas zwischen nayaritensis und maximiliana, bevölkert die Steilhänge. Bei Picachos eröffnet sich uns ein spektakulärer Blick zurück über das Tal von Huazamota, von wo wir hergekommen sind. In der Abendsonne schweifen unsere Blicke über unendlich weite blaue Bergketten, die am Horizont im Dunst versinken. Hinter Picachos haben wir dann auch den schlimmsten Teil für heute hinter uns. Hier wird wieder kräftig an einer neuen Strasse gebaut. Wir finden eine kleine Piste, die sich als Sackgasse herausstellt, doch an einem perfekten Campingplatz zwischen Pinien endet. Zu viert bauen wir die Zelte auf, blasen die Luftmatratzen auf, stellen Tisch und Stühle auf. Es ist unglaublich, was Jean-Marc alles aus seinem Auto herauszaubert. Auf ein Campingfeuer verzichten wir wegen der Trockenheit. Hier sieht es aus, als ob jedes Stückchen Glut, von einem Windstoss weggetragen, einen Waldbrand auslösen könnte. Bei Käse und Crackern, Rotwein aus Plastikbechern und Mezcal beschliessen wir einen anstrengenden Tag. Die Mondsichel und Venus, die am unteren Ende der Sichel steht, leuchten hell am roten Abendhimmel. Als es dunkel wird, verziehen sich alle in ihre Zelte. Die Nacht verläuft allerdings nicht ganz so ruhig. In Fitz'es Zelt ist schon bald einiges los. Seine Luftmatratze ist ohne Luft und er wechselt auf eine Schaumgummimatratze, die er dabei hat. Bei uns sieht es nicht viel anders aus. Wir liegen auf einem flachen Felsen, der langsam in die Rippen zu drücken beginnt. Mit der Taschenlampe machen wir uns auf die Suche nach der Pumpe und pumpen unsere Matratze um Mitternacht wieder auf. Bis in die frühen Morgenstunden liegen wir dann aber wieder auf dem harten Boden.
Auf einem kleinen mexikanischen Ofen erhitzen wir Wasser für Kaffee. Was wir gestern alles aufgebaut haben, müssen wir heute wieder zusammenräumen. Zurück auf der Piste erreichen wir bald Llano Grande und dann La Candelaria, wo wir den fast leeren Tank mit etwas Benzin aus Kanistern füttern. Sofort sind wir von neugierigen Kindern umringt, die noch nie so hellhäutige Geschöpfe gesehen haben. Und natürlich auch noch nie eine Digitalkamera, auf deren Bildschirm man gleich das eigene Foto bestaunen kann. Von Candelaria bis Mezquital, wird uns versichert, sind es nur noch 2 Stunden Fahrt. Was mit einem Kleinflugzeug realistisch ist, aber sicherlich nicht mit einem Auto, wie wir später feststellen müssen. Wir sind wieder einmal auf die mexikanische Falle hereingefallen. Die Leute wollen einen glücklich und zufrieden sehen, da geben sie lieber 2 Stunden Fahrzeit an als realistischere 5 Stunden. Von Candelaria geht es wieder tief in eine Schlucht mit interessanten Felswänden hinab, vorbei an Agave vilmoriniana, doch als wir endlich auf der Brücke stehen, brennt die Sonne drückend heiss, sind die Wände weit entfernt und mit dem Fernglas können wir ausser ein paar Pilosocereus alensis absolut nichts Interessantes entdecken. Nun führt die Piste mehr oder weniger entlang eines schönen Flusses mit vielen schattenspendenden Bäumen. Wir stoppen, um die knallig rosaroten Blüten von Echinocereus pamanesiorum zu fotografieren, die im graubraunen Gebüsch nicht zu übersehen sind. Hinter San Miguel de Temohaya wird wieder fleissig an einer neuen Strasse gebaut, was für uns Staub und Umleitungen bedeutet, die immer schlecht zu befahren sind. Agave durangensis begleitet uns nun und wieder oben auf mehr als 2500m blüht ein Echinocereus polycephalus weit oberhalb der Strasse und wir fahren an wenigen Kolonien von Agave parryi vorbei. Hinter der nächsten Passhöhe können wir endlich ins Tal von Mezquital hinuntersehen und erreichen dann auch bald die lang ersehnte Tankstelle, wo uns nebenan ein Mann netterweise gleich mit einem grossen Schlauch die Autos etwas vom Staub befreit. Nahe des Hauptplatzes finden wir ein namenloses Hotel und treffen wieder auf die Holländer, denen wir versichern können, dass sie mit ihrem Van nie und nimmer über die Berge von Jesus Maria nach Mezquital hätten fahren können. Das Zimmer kostet 50 Pesos pro Person und ist mit zwei Betten und einem weissen Plastikstuhl spartanisch eingerichtet. Dusche und Toilette teilt man sich mit den anderen Hotelgästen.
Am nächsten Morgen fahren wir wieder gen Süden, Richtung Margaritas. Vor vielen Jahren sind wir diese Strecke mit dem Unimog gefahren und haben unter einem Busch eine variegierte Agave durangensis fotografiert. Unglaublich aber wahr, wir finden die Pflanze wieder. In der Zwischenzeit hat sie geblüht, doch man kann immer noch die gestreiften Blätter erkennen. Weiter oben stoppen wir dann für Echeveria secunda und finden gleich auch noch Mammillaria longiflora und Echinocereus acifer, beide mit Blüten, im trockenen Gras. Bald erreichen wir die Abzweigung nach Los Charcos del Aserradero. Die Piste ist gut und scheint befahren zu sein. Die vielen rosaroten Blüten einer einzelnen Mammillaria longiflora auf einem Felsen glühen in der Nachmittagssonne. Der Genuss einer schönen Piste hält nicht lange an und bald schon machen wir uns auf die Suche nach einem geeigneten Campingplatz. Wieder erwischen wir eine kleine Piste, die an eine Lichtung führt, wo wir problemlos drei Zelte aufstellen können. Uebung haben wir ja nun schon und so geht alles etwas schneller als auch schon. Fitz verzichtet auf die Luftmatratze und wir lesen die Bedienungsanleitung mal etwas genauer durch und stellen fest, dass wir beim letzten Mal etwas falsch gemacht haben. Wir halten uns genau an die Vorschriften und erwachen am nächsten Morgen auf einer gefüllten Luftmatratze. Unter einem sagenhaften Sternenhimmel geniessen wir den üblichen Käse mit Crackern und Früchten. Danach ein Mezcal gegen die langsam aufziehende Kälte. Als Jean-Marc in sein Zelt kriecht, ist seine Luftmatratze schon wieder fast ohne Luft, doch er ist zu müde, um etwas dagegen zu unternehmen.
Wir wachen auf 2800m zu 11° Celsius auf und müssen alle Jacken anziehen, die wir dabeihaben. Das Feuerchen im mexikanischen Strassenofen wärmt auch nur gerade das Kaffee- und Teewasser und so warten wir sehnsüchtigst auf die ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Genau wie beim Auf- haben wir jetzt auch beim Abbau schon Uebung und schnell ist alles in den Autos verpackt. Wir rumpeln weiter gen Süden und erreichen Aserradero Los Charcos, wo wir auf eine wesentlich schmalere und weniger befahrene Piste verwiesen werden. Die soll viel besser sein, als diejenige auf der wir hierhergekommen sind. Mittlerweile schenken wir solchen Aussagen allerdings nicht mehr allzuviel Glauben. Die einzigen Pflanzen hier sind Mammillaria senilis, eine zwar sehr schöne Pflanze und mit ihren knallig roten Blüten auch sehr attraktiv, doch wir empfinden sie schon als Unkraut, und Echinocereus acifer. Wir passieren viele kleine Gehöfte und Siedlungen, wo uns immer neugierig nachgeschaut wird. Touristen kommen hier eher selten vorbei, was beim Strassenzustand auch nicht verwunderlich ist. Als wir nach unendlichen Stunden auf steinigen und ausgewaschenen Pisten endlich den Asphalt bei Canoas erreichen, können wir unser Glück gar nicht fassen. So eben ist uns noch selten eine Teerstrasse vorgekommen. Schnell sind wir wieder unten im Tal und besuchen bei San Juan Capistrano wenigstens für Fitz als krönenden Abschluss noch Mammillaria roemeri. Es dauert eine Weile, bis sich unsere Augen an den Boden gewöhnt haben, doch als wir die ersten in den Boden zurückgezogenen Pflanzen sehen, die wie kleine weisse und behaarte Knöpfe aussehen, stolpern wir immer über weitere Exemplare. Um sich lange zu verweilen ist es allerdings viel zu heiss und so fahren wir bald zurück Richtung Huejuquilla. Das Panorama nahe der gelben Brücke über das weite Tal des Rio Atengo können wir heute im weichen Abendlicht bestaunen. Die Sonne taucht die Tafelberge, die ans Monument Valley erinnern, in ihr letztes Licht, während der Fluss schon in der Dämmerung verschmilzt.
In Huejuquilla gönnen wir uns eine wohl verdiente Dusche bevor wir im Restaurant um die Ecke mit einem eiskalten Bier auf die erfolgreiche Reise anstossen. Ohne ernsthafte Probleme haben uns die beiden Fahrzeuge über alle Berge transportiert. Hinter jeder Kurve und an jeder Passhöhe eröffneten sich uns gigantische Ausblicke auf wunderschöne Landschaften. Nur was die Pflanzen betrifft war die Gegend, wenigstens für uns Sukkulentenfans, überhaupt nicht interessant.
März - April 2009
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