travelog 85






Echeveria kimnachii



1998 beschrieben zwei Mexikaner, Jorge Meyrán G. und Rito Vega A., eine neue Echeveria aus der Nähe von Culiacan, Sinaloa. Seither hat niemand diese Lokalität besucht und die Pflanzen gefunden und Myron Kimnach, nach dem die kleine Pflanze benannt wurde, bestürmte uns Jahre lang, endlich Klarheit zu schaffen über diese neue Spezies, von der er persönlich glaubt, dass es sich nicht um eine Echeveria, sondern um ein Graptopetalum handelt - nämlich um Graptopetalum occidentale. Unzählige Male nahmen wir uns den guten Vorsatz, doch Culiacan gehört momentan nicht gerade zu den attraktivsten Urlaubsdestinationen in Mexico, zuviel liest man von Entführungen und Ermordungen, alles im Umfeld sich bekämpfender Drogenbanden. Da will man verständlicherweise nicht zwischen die Fronten geraten. Doch als wir schliesslich in Mazatlan ankamen, war Culiacan "nur" noch etwas mehr als 200km entfernt, was in Mexico natürlich absolut keine Distanz darstellt. Nun gab es also keine Ausrede mehr, den Standort in der Sierra Tacuichamona, etwas abseits der üblichen Pfade, zu suchen.



Zuerst aber statten wir Cosala einen Besuch ab, das wir schon 2001 besucht hatten. Auf dem Weg dorthin gibt es eine interessante Pflanze zu sehen, nämlich Agave filifera ssp. microceps. eine sehr kleine und kompakte Form von Agave filifera. Die Felsen sind relativ unzugänglich, man muss sich durch momentan blattlosen dichten Wald kämpfen, und alles was man berührt sticht, klebt oder brennt auf der Haut. Schier undurchdringliches Lianen-Gewirr macht einem das Leben auch nicht leichter. Mammillarienpolster, Echinocereus scheeri var. koehresianus mit Knospen, Pilosocereus purpusii, Pachycereus pecten-aboriginum, ein Hylocereus und Opuntien gehören zur Kakteenvegetation. Nach kurzer Herumkletterei ist man zu dieser Jahreszeit schon schweissgebadet und durstig.



Cosala liegt ca. 50km von der Hauptstrasse entfernt und wurde 2005 zum Pueblo Magico erklärt. Den Unterschied zu unserem letzten Besuch in 2001 können wir gut sehen. Damals blätterte die Farbe von den Häusern und viele Gebäude waren baufällig. Heute sind die Häuser frisch und bunt gestrichen, der Hauptplatz grün bepflanzt und mit vielen Bänken versehen. Geschäfte werben mit hübschen Schildern, und nur noch in ganz kleinen Seitengassen stösst man auf verlotternde Mauern. Verschlafen wirkt Cosala allerings auch heute noch und die einzigen Touristen scheinen wir auch zu sein. Am frühen Abend setzen wir uns zuerst an einen der vielen Tacostände an der Kopfsteinpflasterstrasse neben der Kirche, wo wir zusammen mit den Einheimischen gegrilltes Fleisch in unsere Tacos füllen, vergebens gegen die Millionen von Fliegen wedeln und das Getränk vor hungrigen Bienen schützen müssen. Danach sitzen wir auf dem Hauptplatz auf einer Bank und beobachten das Treiben. Etwas an Magie verliert dieses magische Dorf schon, wenn sich dann an allen vier Ecken des Hauptplatzes schwerbewaffnete Soldaten aufstellen. Und Polizisten um den Platz herum patrouillieren. Als wir uns dann bei den Polizisten nach der Hinterlandpiste nach Culiacan erkundigen, raten diese sofort ab. Und als uns auch noch Einheimische davon abraten, mit ausländischem Kennzeichen und so heller Haut durch diese Gegend zu fahren, geben wir die Idee endgültig auf und fahren auf der normalen Strasse wieder zurück.



Und entdecken so andere interessant aussehende Klippen, die wir auf dem Hinweg gar nicht gesehen hatten. Es dauert etwas länger, bis ein junger Mann sich endlich aus seiner kleinen Hütte herauswagt, doch schliesslich scheint er davon überzeugt zu sein, dass wir nicht gefährlich sein können. Und erklärt sich sogar bereit, uns bis an die Felsen heranzuführen, die uns anscheindend so interessieren. Was von weitem nicht schwierig aussieht, wird zu einem mühsamen Marsch und wir sind froh, einen ortskundigen Führer dabei zu haben. Er kennt jeden Trampelpfad und führt uns zielstrebig direkt bis an die Felsen heran. Mit dem Fernglas haben wir von weitem schon Agave vilmoriniana gesehen. Wir sehen uns ein bisschen um und entdecken plötzlich mit dem Fernglas ein Polster von Crassulaceen. Leider ist es völlig ausser Reichweite. Nun klettern wir den Felsen entlang und entdecken mehr Pflanzen. Unser Führer, beschuht mit Huaraches, Ledersandalen, klettert wie ein Affe die Felswand hoch, hangelt sich wie Tarzan von Feigenbaumwurzeln zu kleinen Felsvorsprüngen und holt mit einem langen Ast doch tatsächlich ein paar Pflanzen zum näheren Studium herunter. Die kleinen Rosetten stellen sich als eine Pflanze heraus, die wir für ein Graptopetalum halten - Julia vermutet (nicht zu Unrecht, wie sich etwas später herausstellen sollte), dass es sich vielleicht um die berühmt-berüchtigte Echeveria kimnachii handeln könnte. Etwas weiter stolpern wir auch noch über Sedum copalense, eine Spezies die wir bisher auch noch nicht fotografiert hatten. Zurück bei der Hütte unseres Führers reden wir noch etwas mit ihm und seiner Frau. Ihre drei kleinen Kinder spielen im Schatten der Veranda, während die Eltern in der Hängematte liegen. Die Hütte ist aus Holzbrettern zusammengebastelt und besteht aus einem luftigen Raum, in dem die fünf Menschen hausen. Unter der Veranda befindet sich die gemauerte Küche mit mehreren Feuerstellen. Da es die meiste Zeit des Jahres über heiss ist, macht es grossen Sinn, die Feuerstelle ausserhalb des Hauses zu haben.



An einem späten Samstagnachmittag erreichen wir dann die kleine Ortschaft La Estancia de los Garcia. Schon unterwegs, als wir uns nach dem Weg erkundigen, sind die Leute misstrauisch und wollen wissen, was wir denn dort verloren haben und wen genau wir besuchen wollen. In der Dorfmitte wo sich mehrere staubige Strassen verzweigen, kaufen wir kalte Colas und setzen uns in den Schatten eines grossen Baumes zu ein paar Männern, die bei einem Bier die Hitze des Nachmittags über sich ergehen lassen. Kolibris schwirren um uns herum und streiten sich um die roten Blüten eines Salbeibusches im Garten. Für eine lange Zeit wird nicht gross Notiz von uns genommen. Irgendwann kann einer dann doch seine Neugierde nicht zurückhalten und will wissen, was wir hier suchen. Nun erklären wir ihm, dass wir auf der Suche nach einer bestimmten Pflanze sind. Und liefern gleich eine gute Beschreibung mit, nicht dass die Leute auf krumme Gedanken kommen. Nun wird lange darüber verhandelt, wo diese Pflanze wachsen könnte. Auf den INEGI Karten haben wir mit der in der Erstbeschreibung mitgelieferten GPS Position schon mal herausgefunden, dass es einen Cerro de la Cienega geben muss. Und danach erkundigen wir uns denn auch. Die Männer deuten auf einen Gipfel in der Ferne. In der Erstbeschreibung schrieben die Autoren etwas von 7 Kilometern und uns schwant schon Schlimmes, doch als wir unsere aktuelle GPS Position im Dorf mit der Position der Pflanzen vergleichen, stellen wir zu unserer Erleichterung fest, dass es wesentlich weniger als 7 Kilometer Distanz sein müssten. Nun ist also die Frage der Lokalität geklärt, doch es folgt die Diskussion, wer uns denn hinführen könnte. Denn es gibt einen Weg, doch keiner scheint gewillt zu sein, uns hinzuführen. Gefährlich sei es, wegen der Berglöwen. Uns machen eher illegale Pflanzungen von Marihuana Sorgen als scheue Berglöwen. Aber so direkt sagen wir das natürlich nicht. Als wir uns schon mit dem Gedanken anfreunden, am nächsten Morgen auf eigene Faust loszuziehen, erklärt sich ein drahtiger Mann dann doch bereit, uns zu begleiten. Wenn wir hätten aussuchen können, wäre unsere Wahl auf ihn gefallen, da er schon von Anbeginn an der netteste der Anwesenden war. Wir verabreden uns für den nächsten Morgen um 7 Uhr früh und schliessen schon fast Wetten ab, dass er nicht erscheinen wird.



Kurz vor 7 Uhr am Sonntagmorgen, bei noch angenehm frischen Temperaturen, stehen wir vor dem kleinen Dorfladen von gestern. Eine junge Frau wischt schon den Boden. Wir vertreten uns etwas die Beine, bis die Frau schliesslich meint, wir sollten doch direkt zu Chuys Haus am Ende der kleinen Gasse gehen. Und dort erwartet uns doch tatsächlich schon unser Führer. Wir haben genügend Liter Wasser und Trockenfrüchte dabei, um den Tag zu überstehen. Chuy schultert seine Machete und wir die Rucksäcke und los geht's in forschem Schritt. Schnell marschieren wir über stopplige Maisfelder und erreichen bald einen Arroyo, dem entlang wir im Schatten eines Berges in die Höhe wandern. Bald steigt der Weg in die Höhe. Unter uns liegt ein Feld mit jungen grünen Pflanzen, die sich auf dem Rückweg als Marihuana herausstellen. Chuy unterhält sich kurz mit dem grauhaarigen Mann, der liebevoll seine Pflanzung pflegt. Wir sind tatsächlich auf dem richtigen Weg. Auch unser GPS zeigt an, dass wir uns langsam dem gewünschten Punkt nähern. Schnell klettern wir nun in die Höhe und kommen den interessanten Felsen immer näher. Chuy kennt sich mit den Bäumen und natürlich den Vögeln aus. Wir hören Guacamayas und Pericos, aber auch Koas, sogar die Nester können wir in den Bäumen entdecken. Bald verlassen wir den Weg und klettern steil bis zu den Klippen hoch. Im unteren Teil der Wand ist nichts zu entdecken, ausser natürlich Agaven, Hechtien und Kakteen, die zwar auch interessant sind, doch momentan geht es um Echeveria kimnachii. Nun müssen wir uns weiter durch trockenes Gebüsch kämpfen, um schliesslich mit dem Fernglas grosse Polster der gesuchten Pflanze zu entdecken. Entlang der Klippen finden wir nach einiger Sucherei doch noch Exemplare in erreich- und v.a. fotografierbarer Nähe. Auch die kleine Agave filifera ssp. microceps gedeiht hier, doch auch sie wächst mit Vorliebe weit oben und völlig unzugänglich. Unser Ziel ist erreicht, doch da wir schon bis hierher gewandert sind, steigen wir auf dem Pfad noch etwas weiter in die Höhe. Der Arroyo ist angenehm schattig und kühl, mit riesigen Bäumen bewachsen, in denen Orchideen gedeihen. Die interessanten Felswände sind wieder weiter entfernt und bis auf den Gipfel müssten wir noch ein paar Stunden in der Hitze marschieren, und so machen wir uns auf den Rückweg.



Mittlerweile brennt die Sonne unerbärmlich durch den blattlosen Wald und wir sind schon gut ins Schwitzen gekommen. Beim Marihuanafeld sind die Arbeiten beendet, es ist niemand mehr zu sehen. Weiter unten treffen wir auf einen Vater mit seinen zwei Söhnen. Sie sind auf dem Rückweg von ihrem Feld, das sich irgendwo entlang dieses Arroyos versteckt, weil sie per Funk vor den anrückenden Soldaten gewarnt wurden. Das geschulterte Gewehr wird bald unter dichtem Gebüsch versteckt und es folgt die zweite Warnung per Funk. In Einerkolonne eilen wir nun alle den Berg hinunter, um möglichst den Militärs nicht zu begegnen. Denn was würden wir ihnen erzählen? Dass wir eine Pflanze gesucht haben. Wohl kaum, denn alle Pflanzen, die in diesem Gebiet von Interesse sind, werden illegal angepflanzt und für gutes Geld verkauft. Der Marihuana Anbau muss sich lohnen, denn die Arbeit ist nicht ganz so leicht. Die Felder liegen weit von den Dörfern entfernt und wenn die Militärs sie entdecken, werden sie zerstört. Nur um am nächsten Tag wieder neu angepflanzt zu werden. Es ist ein Teufelskreis, der wohl schwer unterbrochen werden kann, so lange die Nachfrage besteht. Das Militär kommt nicht nur zu Fuss. Während unserer Wanderung überfliegen uns einige Male Helikopter, die die Gegend nach grünen Feldern in der ansonsten momentan absolut vertrockneten Umgebung absuchen. Etwas ausser Atem erreichen wir schliesslich Chuys Haus, wo wir uns im Schatten eines Baumes einen Tequila mit Eiswürfeln genehmigen. Schliesslich ist Sonntag und wir haben eine anstrengende Wanderung hinter uns. Natürlich wird auf den Erfolg angestossen und Chuy erklärt sich gerne bereit, bei einem nächsten Besuch etwas früher im Jahr, wenn die Pflanzen am blühen sind, wieder unser Führer zu sein. Gerne nehmen wir an, denn wir verbrachten einen tollen Tag, trafen auf keine wilden Berglöwen oder weit gefährlichere Gestalten, lernten etwas über die lokale Flora und Fauna, und genossen einmal mehr die Hilfsbereitschaft eines Mexikaners, der seinen Sonntag zwei verrückten Schweizern opferte, die nach einer winzigen und für ihn völlig irrelevanten Pflanze suchten. Andererseits war es wahrscheinlich auch für ihn eine interessante Abwechslung zu den trägen Nachmittagen im Schatten des Baumes beim Dorfladen.



Juni 2008



Julia Etter & Martin Kristen