travelog 84






Ueber die Berge von Durango nach Mazatlan



Im März 2001 fuhren wir zum ersten Mal von Mazatlan nach Durango und wollten bald wieder in diese wunderschöne Gegend zurückkehren und die neugefundenen Freunde besuchen. Wir brauchten 7 Jahre, bis es uns endlich wieder hierher verschlagen sollte.



Diesmal nehmen wir die Strecke von Durango her - also umgekehrt - in Angriff und verbringen ein paar wunderbare Tage in den Bergen. Durango ist seit unserem letzten Besuch beträchtlich gewachsen. Strassen wurden verbreitert, mehr Shopping Center gebaut, Plätze wurden verschönert, kurz und gut, man fühlt sich als Fussgänger sehr wohl in der Stadt. Auf einem Spaziergang durch die Innenstadt kommen wir an vielen Gebäuden vorbei, die uns noch von unserem ersten Besuch her in Erinnerung geblieben sind. In einem neuen In-Quartier lassen wir uns im Restaurant Fonda de la Tia Chona verwöhnen. Das Restaurant befindet sich in einem alten Haus und ist sehr gemütlich mit grossen Fenstern, die auf eine ruhige, begrünte Gasse hinausgehen. Das Dekor ist rustikal, das Menu ausgefallen und die Preise absolut akzeptabel. Besonders begeistert sind wir von Chiles rojos rellenos con queso Cotija en salsa de piña, was soviel heisst wie mit Cotija Käse gefüllte rote Chiles in einer Ananassauce. Beim Eindunkeln schlendern wir zurück zum Zocalo, dem Hauptplatz, auch vielerorts im Norden Mexicos Plaza de Armas genannt. Die Strassen rund um die Kathedrale und den Zocalo wurden sehr schön gestaltet. Nachts werden Lampen, die in die Gehsteige einlassen sind, angezündet, was die Gassen und Plätze in romantisches Licht taucht und einen zum Sitzen und Verweilen einlädt.



Neu in Durango ist auch die Autobahn, die momentan von der Stadt aus nur bis nach El Salto führt, und ihr endgültiges Ziel, Mazatlan, wohl erst in einigen Jahren erreichen wird. Wir nehmen trotzdem die Libre, die gebührenfreie alte Strasse, auf der man gemütlicher fahren und so besser nach Pflanzen Ausschau halten kann. Bei der Schlucht des Rio Chico wird es für uns zum ersten Mal interessant. Wir entdecken nämlich die ersten Populationen von Agave parryi. Und Yucca decipiens steht allerorts in Blüte. Bei einigen Stops fotografieren wir knallig rot blühende Echinocereen auf Felsbrocken. Ein Polizeiauto hupt nur beim Vorbeifahren, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir etwas zu nah am Strassenrand in einer Kurve geparkt haben. Jedoch scheinen die Herren sich entschlossen zu haben, die Touris in Ruhe zu lassen.



An El Salto können wir uns nur ganz schwach erinnern, doch es sieht so aus, als ob diese Stadt in den letzten sieben Jahren erheblich gewachsen ist. Für Abenteuertouristen, die mal ein wirklich interessantes mexikanisches Hotel erleben wollen, können wir das Hotel Diamante im Zentrum von El Salto wärmstens empfehlen. Auf dem Zimmerschlüssel steht alles geschrieben, was man wissen muss: "Habitaciones Amuebladas Comfortables", was soviel heisst wie komfortable möblierte Zimmer. Ein solches Zimmer kostet für 2 Personen 100 Pesos (10 SFr, $9.70). Dafür wird man in einem Zimmer mit einem Bett untergebracht, dessen Matratze so durchgelegen ist, dass sich zwei Personen unweigerlich in der Mitte treffen. Der Holzboden knarrt urchig. Sowas ähnliches wie ein Kleidergestell mit wenigen Kleiderbügeln aus Draht wurde aus Sperrholz zusammengezimmert. Ein Stuhl steht an einem kleinen Tischchen, über dem ein Spiegel hängt. Dusche und Klo teilt man sich mit allen anderen Hotelgästen. Selbstverständlich gehört das Klo zur Sorte, bei dem die Spülung nur manuell funktioniert, d.h. man füllt einen Eimer mit Wasser und spielt dann selbst "Spülung". Die Dusche nehmen wir erst gar nicht genauer unter die Lupe, dafür haben wir genügend Deodorant eingepackt... Im Gang gibt es einen Fernseher und zwei bequem aussehende Sofas, die mit dunkelrotem Samt überzogen sind. Wie wir am nächsten Morgen feststellen, übernachten die letzten Gäste sogar auf diesen Sofas. Der Fernseher läuft natürlich die ganze Nacht lang. Und auch Hotelgäste kommen und gehen zu allen Tages- und Nachtzeiten. Nun empfinden wir allerdings das Knarren des Holzbodens nicht mehr als urchig, sondern als extrem störend für unsere Nachtruhe. Als dann um 2 Uhr morgens gegenüber auf dem Dach auch noch ein grosser Hund zu bellen beginnt und bis 5 Uhr ohne Pause durchhält, würden wir zu Hunde-Mördern, wenn wir nur das nötige Gerät zur Hand hätten.



Von El Salto geht es vorbei an Felsbrocken, die wie riesige Zelte auf einer Wiese stehen, weiter nach La Ciudad, einem kleinen Städtchen, das wie El Salto ganz vom Holzfällergeschäft lebt. Die bunten Holzhäuschen sind mit Schindeln oder Wellblech gedeckt. Ein Rohr führt wenigstens einen Teil des Rauches aus der Küche nach draussen. Holzzäune umgeben kleine grüne Blumengärten. Sogar die Mahnmale für Strassentote sind als kleine farbige Holzhäuschen errichtet. Von La Ciudad geht eine kleine Strasse nach Mexiquillo ab. Am Eingang muss man einen kleinen Obulus entrichten, um durchgelassen zu werden. Einige Cabañas stehen schon, weitere werden in Windeseile aufgebaut. Das Geschäft mit Gästen, die ihren Osterurlaub oder das Wochenende in den Bergen verbringen wollen, scheint zu boomen. Eigentlich wollen wir die in einem Reisemagazin erwähnten Tunnels der 1928 geplanten aber nie fertiggestellten Eisenbahnstrecke von Durango nach Mazatlan besuchen. Der Fahrweg führt auf der ursprünglichen Eisenbahntrasse einem schönen doch völlig unzugänglichen Canyon entlang, vorbei an einem anscheinend in ganz Mexico gut bekannten Wasserfall, der zu dieser Zeit furztrocken ist. Bald geben wir aber auf, denn die Spur ist eigentlich nur als Wanderweg geeignet. Auf dem Rückweg klettern wir noch etwas durch den Jardin de Piedras, den Steingarten. Riesige Felsbrocken, die meisten von Wind und Wetter schön abgerundet, liegen hier kreuz und quer durcheinander. Dazwischen wachsen knorrige Pinien und man fühlt sich wie in einem Steinlabyrinth. Falls man die Orientierung verliert, kann man einfach auf einen Felsen hochklettern und sich oben den Ueberblick wieder verschaffen.



Hinter La Ciudad wird es dann für uns endlich richtig spannend. Zwar sind viele Seda zu dieser Jahreszeit absolut vertrocknet und unsichtbar, doch beim Puerto Buenos Aires finden wir endlich das Sedum quadripetalum, nach dem wir das letzte Mal vergebens Ausschau gehalten hatten. Während ich die hohen Bereiche der Felsen untersuche, steigt Martin auf einem Saumpfad etwas in die Tiefe und findet unterhalb der senkrechten Felswände besagtes Sedum, das total vertrocknet ist und nur dank der 4-Petaligen trockenen Blüten zu erkennen ist. An einer ersten Militärkontrolle müssen wir uns etwas gedulden. Die Soldaten haben ein neues Spielzeug. Ein Plastikknüppel mit Antenne, der an eine Computer-Spielkonsole erinnert. Alle machen wichtige, ernste Geschter und einer der Soldaten läuft mit dem Gerät um unser Auto herum. Da wir dieses Spielzeug jetzt schon zum zweiten Mal sehen, erkundigen wir uns nach dessen Funktion. Stolz erklärt uns der Soldat, dass dieses Wundergerät Drogen, Waffen und Sprengstoff detektieren könne. Das kommt uns dann doch etwas spanisch (oder mexikanisch) vor, v.a. weil ein Auto und eine Waffe bekanntlich aus viel Metall bestehen. Und wie Drogen mit diesem Zauberstab lokalisiert werden wollen, ist uns auch schleierhaft. Wahrscheinlich wollen die Soldaten aber einfach schauen, wer nervös wird und evt. etwas zu verbergen hat. Bei uns auf jeden Fall werden sie nicht fündig.



Weiter entlang der Strasse sehen wir in den Felsen die ersten blühenden Echinocereus huicholensis. Dazu Agave inaequidens ssp. barrancensis und eine Baumnolina. In den Klippen hängt meist unerreichbar Graptopetalum amethystinum. Und auch um Echeveria affinis mit ihren dunkel gefärbten Rosetten zu entdecken, muss man etwas Geduld aufwenden. Die grossen, meist rötlich gefärbten Rosetten von Echeveria dactylifera sind dagegen einfacher zu sehen. Am späten Nachmittag erreichen wir schliesslich Revolcaderos, wo wir eigentlich weitere Stunden verbringen wollen. Da es schon spät ist und wir beide relativ müde sind, beschliessen wir, die Nacht in El Palmito zu verbringen und am nächsten Morgen einen nächsten Versuch zu starten.



El Palmito haben wir schnell erreicht. Die beiden einzigen Hotels sind unglaublicherweise völlig ausgebucht! Der Grund dafür ist die Konstruktion des Puente Baluarte, der anscheinend höchsten Brücke Lateinamerikas - sofern sie mal fertig werden wird. Die Ingenieure haben sich anscheinend in El Palmito häuslich niedergelassen und haben alle erhältlichen Hotelzimmer auf Jahre hinaus ausgebucht. Die Superbrücke der Supercarretera Durango-Mazatlan soll 1224m lang werden und 390m hoch sein. Damit kann man sich anscheinend 3 1/2 Stunden Autofahrt ersparen (wir können das mit unseren Ortskenntnissen nicht so ganz glauben). Doch bis dieses Monumentalbauwerk beendet ist, wird es wohl noch etwas dauern. Und die lokale Bevölkerung ist relativ skeptisch, die meisten jedenfalls meinen trocken, dass "die spinnen, diese Ingenieure".



Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt haben wir den kühlen Eichen- und Pinienwald hinter uns gelassen und kommen wieder in heissere Gefilde. In Potrerillos kommen wir dann im Hotel La Pasadita unter. Auch dies ein Erlebnis für sich. Im Restaurant bekommen wir noch ein gutes Abendessen und kaltes Bier. Als wir uns nach dem Preis erkundigen, kommt wie aus der Pistole geschossen 170 Pesos. Das erscheint uns dann doch etwas viel. Das Essen soll laut Bedienung je 35 Pesos gekostet haben, die vier Biere je 12 Pesos, was ein Total von 118 Pesos ergibt. Schliesslich dämmert es auch der Bedienung, dass wir spanisch reden, uns nicht so leicht bescheissen lassen, und unsere Rechenkünste den ihren ein wenig überlegen sein könnten und so einigen wir uns auf unsere 118 Pesos. Besagtes Restaurant ist 24 Stunden lang geöffnet, was wir dann auch zu hören bekommen. Ausserdem liegt das ganze Dorf an einem Berghang. Mexikanische Lastwagen benützen nachts ihre ungefilterte Motorbremse mit besonderer Vorliebe, und die macht einen fürchterlichen Krach. Auch die Dorfjugend versammelt sich vor dem Restaurant zu einem Bier und die Jukebox plärrt mit voller Lautstärke bis die Sonne wieder aufgeht. Dazu kommen die LKW-Fahrer, die hier schnell etwas essen, dafür aber den Motor nicht abstellen. Kein Wunder, dass wir in dieser Nacht nicht viel schlafen.



Unser nächster Stop ist Copala, ein hübsches kleines Städtchen, in dem wir uns vor 7 Jahren bei Rossana und Luis aufhielten. Ihr Geschäft mit den Ledermasken und Holzschnitzereien ist noch geschlossen, doch als wir an das Tor ihres Privathauses klopfen, streckt Luis schon bald den Kopf heraus. Und erkennt uns doch tatsächlich nach 7 Jahren noch als die Besitzer "dieses grossen Fahrzeuges". Wir erzählen hin und her, was in unseren Leben in der Zwischenzeit alles passiert ist und verabschieden uns mit dem Vorsatz, nicht wieder 7 Jahre bis zum nächsten Besuch verstreichen zu lassen.



Mai 2008



Julia Etter & Martin Kristen