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Sierra de Lampazos



"Real de Minas Viejas 20km" steht auf dem Strassenschild etwas nördlich von Bustamante, Nuevo Leon, an der Mex 1 nach Colombia. Das Tor ist verschlossen. Auch in einer Ausgabe von Mexico Desconocido über Nuevo Leon wird Real de Minas Viejas erwähnt, allerdings als Uebernachtungsmöglichkeit für Bustamante. Sogar auf dem Internet kann man diesen Ort finden, wenn man hier klickt. Weshalb wir unbedingt dorthin wollen, fragt Ihr Euch jetzt bestimmt. Narürlich einer Pflanze wegen, wie hätte es denn auch anders sein können. Von dort wurde nämlich 2002 eine neue Agave, A. ovatifolia, beschrieben. Ausserdem scheint es bei genauerem Hinschauen der einzige mit einem Auto einigermassen gut zugängliche Ort in diesen Bergen zu sein.



In Bustamante spielen wir zuerst Touristen. In der Panaderia La Superior am Ortseingang erstehen wir das süsse Brot, für das die Ortschaft unter anderem bekannt ist. In dieser Bäckerei wird hinter dem kleinen Haus noch in einem Steinofen mit Holzfeuer gebacken. Das Brot ist süss und schmeckt ähnlich wie ein Lebkuchen. Dann statten wir der lokalen Mezcal-Brennerei, La Guadalupana, einen Besuch ab. Hier wird noch traditionell mit Eseln gearbeitet. Alles geschieht von Hand. Agave asperrima ssp. asperrima wird hier seit Jahrzehnten zu Alkohol verarbeitet, wie uns einer der Angestellten erzählt. Praktischerweise bekommen wir hier auch gleich die Handytelefonnummer von Don Pedro mitgeteilt, dem Besitzer von Real de Minas Viejas. Selbstverständlich degustieren wir die diversen Mezcal-Arten und erstehen auch eine Flasche. Weshalb allerdings auf einem Plakat Werbung für die Firma mit dem Bild eines Dasylirions gemacht wird, ist wieder so eine mexikanische Eigenart. Denn Dasylirion findet man hier in weitem Umkreis kein einziges, wie uns obenerwähnter Angestellter weiter erklärt. Was natürlich auch nicht stimmt, denn man braucht nur ein paar Kilometer nach Ojo de Agua, einer weiteren Attraktion von Bustamante, zu fahren, um Tausende von Dasylirien bestaunen zu können. Eben dieses Ojo de Agua besuchen wir denn auch kurz. Es ist eine hübsche Schlucht mit steilen Felswänden, grünen Bäumen und heissem Wasser, das in verschiedenen Pools gefasst wurde. Entlang der Strasse sind unter schattigen Bäumen Tische und Grillstationen gemauert. Zu dieser Jahreszeit und noch dazu unter der Woche ist allerdings überhaupt nichts los.



Nachdem wir dreimal mit Don Pedro und seinem Sohn telefoniert haben, verabreden wir uns für 16 Uhr auf dem Hauptplatz von Bustamante. Wir versichern ihnen, dass sie uns und das Fahrzeug bestimmt erkennen würden, als die beiden Bedenken äussern, wie wir uns denn finden würden. Pünktlich um 16 Uhr sitzen wir auf dem Hauptplatz und essen ein Eis. Und warten, warten, warten. Kurz vor 17 Uhr kommen die beiden ganz nach mexikanischem Brauch endlich angefahren. Don Pedro ist begeistert von unserem Unimog und es stellt sich heraus, dass er sich selber einen in Monterrey kaufen wollte, um so Touristen zu seinem Anwesen zu fahren. Don Pedro ist ein richtiger Mexikaner, noch ganz nach dem alten Holz geschnitzt, wie man sich eben einen Don Pedro vorstellt. Er scheint es sich gewöhnt zu sein, dass Leute der Agave ovatifolia wegen, die im Volksmund noga genannt wird, sein Rancho Real de Minas Viejas besuchen wollen. Als wir uns kurz nach den Kosten erkundigen, meint er grosszügig, dass wir so lange dort oben bleiben könnten wie wir wollten, selbstverständlich ohne etwas zu bezahlen. Wir würden schon sehen, wie schnell wir uns in den Ort verlieben würden und nicht mehr weiterfahren wollten. Und es wäre nett, meint er so nebenbei, wenn wir den Verwaltern bei unserer Abreise ein kleines Trinkgeld geben würden. Nun begleiten uns die beiden noch bis ans verschlossene Tor und wir bekommen die Kombination für das Vorhängeschloss. Don Pedro informiert auch seine Verwalter, die uns in 15 Kilometern bei einem zweiten Tor empfangen sollen.



Zuerst fahren wir auf einer guten Piste über eine Ebene und kommen gut vorwärts. Dann erreichen wir die Ausläufer der Sierra de Lampazos und die Piste wird steiniger und schlechter. Langsam nähert sich die Sonne bedenklich dem Horizont. So schnell wie eben irgend möglich schaukeln und rumpeln wir nun rund 800 Höhenmeter den Berg hinauf. Die 15 Kilometer wollen und wollen nicht schnell weniger werden. Langsam beginnt es einzudunkeln und wir sehen immer weniger vom Untergrund. Bald müssen wir mit Scheinwerfern fahren. Nach einer Ewigkeit erreichen wir endlich besagtes Tor, wo uns Rosi und Abel, das Verwalter-Ehepaar, schon erwarten. Da es schon finsterste Nacht ist, beschliessen wir, nicht mehr weiterzufahren sondern gleich hier mitten auf der Piste zu übernachten.



Am nächsten Morgen stehen Rosi und Abel pünktlich wie abgemacht um 8 Uhr am Tor. Sie sind pünktlicher als wir Schweizer, da wir noch immer am aufräumen sind. Das gibt den beiden Gelegenheit, aus einem Kanister Diesel in ihr Auto einzufüllen. Rosi muss am Schlauch ansaugen, denn Abel scheint diese Arbeit lieber den Frauen zu überlassen. Später fährt auch sie das Auto, was uns ebenfalls etwas spanisch und wenig mexikanisch vorkommt. Don Pedro hatte uns schon gesagt, dass wir mit unserem grossen Auto nicht auf der alten Piste, die früher von einer kleinen Eisenbahn zum Abtransport des Minengutes befahren wurde, nach oben fahren könnten, denn diese Piste sei stellenweise zu schmal und wir würden nicht an den Ueberhängen vorbeikommen. Doch es gäbe eine neue Piste, auf der auch schon Busse mit Touristengruppen hochgefahren seien. Das stellen wir uns relativ einfach vor, doch weit gefehlt! Schon nach den ersten paar Metern fragen wir uns, wie hier ein normaler Bus je hochgekommen ist. Die Piste ist ausgewaschen und verläuft die meisten Zeit über puren Felsen. Die Steigungen betragen teils 80 % und ein Fahrzeug mit langem Radstand würde unweigerlich auf der Bodenplatte aufsetzen. Für die letzten 5 Kilometer auf der sogenannten "neuen" Piste benötigen wir eine ganze Stunde. Rosi sagt später, dass sie oft Angst gehabt hätte, wenn sie den Unimog im Rückspiegel habe hin und her schwanken sehen. Oben angekommen müssen wir noch vorsichtig unter ein paar uralten Eichenbäumen durchfahren, doch das ist pures Manövrieren und ein Kinderspiel zur Schwitzerei von vorher. Endlich stehen wir vor dem alten Steingebäude, das vor 100 Jahren als Werkstatt für die Minen diente und nun das Restaurant ist. Hier lernen wir auch den Vaquero Nacho, den Cowboy, kennen. Bei einem Kaffee unterhalten wir uns ein bisschen und es ist faszinierend, den dreien zuzuhören, wenn sie mit grossen Augen von Laptop Computern, Google Earth, GPS und dem Internet erzählen. Hier sehen wir auch die Fotos von einem Bus, der tatsächlich auf der neuen Piste bis vors Restaurant gefahren war. Damals war die Piste aber wirklich ganz neu, versichert uns Nacho. Ausserdem habe sich der Busfahrer trotzdem fast in die Hose gemacht aus Angst, seinen schönen Bus zu ruinieren. Jetzt sei es aber langsam wieder an der Zeit, die neue Piste auf Vordermann zu bringen. Falls wir irgendetwas benötigen würden, sollten wir es einfach melden, denn Don Pedro habe nochmals angerufen, um sicherzustellen, dass es uns auch an nichts fehle. Als nächstes machen wir uns mit einem Pickup zu einigen alten Minenschächten auf. Auf einigen dieser Pisten würde der Unimog hoffnungslos steckenbleiben. Bei der Mine Buenavista, die entlang der alten Strasse liegt, parken wir den Pickup und wandern in den Minenschacht hinein. Nacho und Abel haben Taschenlampen mitgebracht und wir kommen gut vorwärts, denn der Minenschacht ist relativ hoch. Im Schein der Taschenlampen glitzert das Gestein um uns herum wunderschön. Bei einem steinernen Wasserfall, über den immer noch Wasser tröpfelt, und der mit unzähligen kleinen Kristallen übersät ist, stoppen wir für ein Foto. Nacho weist uns auf blaue Bänder hin, die in kurzen Abständen an Steinen festgemacht sind. Die amerikanischen Touristen würden diese Bänder immer festmachen, um sich bloss nicht zu verirren. Wenn man ca. 1 Stunde lang weitergeht, dann kommt man am anderen Ende des Berges wieder heraus, erzählt uns Nacho. Uns interessieren aber eher die Pflanzen, die es in der Gegend gibt und so verschieben wir die unterirdische Erkundungstour auf ein anderes Mal.



Wir holpern mit dem Unimog noch ein paar Kilometer auf einer Piste, die weit bis auf eine Felsnase hinausführt und suchen einen schönen Uebernachtungsplatz. Feuerholz gibt es genügend. Und die Sicht auf die Sierra Pajaros Azules mit ihren diversen Zacken und Zinnen ist atemberaubend. Besonders angetan hat es uns ein Berg, der wie ein Zahn aus der ganzen Kette herausragt. Er heisst "El Iman", die Leute vom Rancho allerdings nennen ihn "La Chiche", umgangssprachlich und nicht ganz gesellschaftsfähig für Brust. Wir sind umgeben von Agave ovatifolia. Es sind wunderschöne Pflanzen, die ihrem Namen mit ihren extrem schaufelförmigen und breiten Blättern alle Ehre tun. Die Hochebene des Berges hier besteht aus scharfkantigem Kalkstein. Wie grosse Lego-Steine ragen scharfkantige Kalkfelsen aus dem Boden, dazwischen wächst Gras und kleine Büsche und man muss gut aufpassen, dass man sich nicht die Füsse vertritt. Wenn man etwas genauer hinschaut kann man zwischen den grauen Steinen auch zwei verschiedene Seda entdecken. Und plötzlich stolpern wir über die kleinen Rosetten einer Echeveria. Zu Fuss wandern wir auf der Piste bis sie bei alten Gemäuern bis an die senkrechten Felswände führt. Hunderte von Metern fallen die Klippen hier senkrecht in die Tiefe. Geier kreisen weit über uns. Ein alter Saumpfad führt in den Felsen entlang Richtung Minas Viejas. Und hier finden wir noch viel mehr Echeverien. Die Rosetten sind hier tellergross und wunderschön regelmässig geformt. Es muss Echeveria runyonii sein, die erst kürzlich an einem anderen Ort in Nuevo Leon wiederentdeckt wurde. Die ganzen Felswände stehen voll mit den blauen Rosetten. Dazu gibt es Sedum palmeri, Lenophyllum guttatum, Agave tenuifolia, A. lechuiguilla, A. asperrima, ein paar seltene Ferocactus hamatacanthus, Mammillarien und Echinocereen, Dasylirion sp., und in den Tälern grosse Bestände von Yucca rostrata. Von Agave ovatifolia sind oft die massiven Blütenstände abgeschnitten. Nacho, der vaquero, erzählt uns später, dass sie ein ideales Viehfutter seien. Bei einem Spaziergang am späten Nachmittag, als das Sonnenlicht angenehme Farben auf die Landschaft zaubert, stolpert Martin fast über eine Korallenschlange, von den Einheimischen Coralillo genannt, die erst einmal keinerlei Angst zeigt, sondern nur still da liegt und ihren 'Gegner' beobachtet. Der will ihr aber nichts antun und hält still, beobachtet sie nur. Als dann Julia dazukommt, um sich ihre Farben auch anzusehen, wird es ihr zu bunt und sie verschwindet schnell in ihr nahegelegenes Schlupfloch. Wie wir später anhand eines Fotos feststellen können, muss es sich jedoch um eine der vielen ungiftigen Varianten gehandelt haben, die das hochgiftige Coralillo imitieren. Aber darauf sollte man sich besser nicht verlassen und Distanz halten und nur beobachten.



Nachdem wir uns so mühsam auf die Sierra de Lampazos hinaufgekämpft haben, wollen wir es auch geniessen und nehmen Don Pedros Angebot, so lange zu bleiben, wie wir wollen, gerne an. Die Landschaft ist wunderschön, die Sicht atemberaubend, die Ruhe unglaublich, der Sternenhimmel mit der Milchstrasse zum Greifen nah. Jeden Abend zünden wir ein Lagerfeuer an. Das verknorrte Wacholderholz brennt wunderbar langsam und duftet herrlich. Das darauf gegrillte Fleisch, von dem der Metzger behauptete, es sei das beste in ganz Mexico, schmeckt wirklich so gut wie noch selten. Nur leider geht uns langsam der Tequila aus, der uns die Abende am Lagerfeuer versüsst hatte. Zum Konzert der Grillen rücken wir näher ans wärmende Feuer, suchen nach Sternschnuppen, lauschen den Coyoten singen, und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein.



Don Pedro hatte recht. Wir können ihn gut verstehen, weshalb er sich in diesen Ort verliebte und ihn als den schönsten auf der ganzen Welt bezeichnet. Wenn es nicht noch so viele andere schöne Orte auf der Welt und in Mexico gäbe, würde es uns hier oben zwischen den Agaven auch ganz gut gefallen. So verabschieden wir uns für dieses Mal mit dem Versprechen, bald einmal zur Agavenblüte wiederzukommen.



November 2007



Julia Etter & Martin Kristen