travelog 78






Teotihuacan



Wir rumpeln auf einer kleinen Strasse Richtung Osten. Plötzlich erhebt sich vor uns im schwindenden Licht des Tages ein Hügel. Sehr regelmässig sieht er von weitem aus und als wir näherkommen stellen wir fest, dass es die berühmte Sonnenpyramide von Teotihuacan sein muss. Wir fahren einmal auf der Ringstrasse um den ganzen Komplex herum und sehen so auch die Mondpyramide und daneben viel überwucherte Flächen mit Bäumen, die bestimmt weitere Ruinen unter sich verstecken. Dank unseres Schweizer Besuches haben wir es endlich auch bis nach Teotihuacan geschafft!



Für Reisende wie unsereiner, die sehr früh und möglichst als erste am Eingang stehen wollen, empfiehlt es sich, ein Hotel in der Nähe zu suchen und nicht von Mexico City her anzureisen. An der Ringstrasse gibt es das Club Med Hotel Villa Arqueologica. Schon bei der kurzen Anfahrt stellen wir fest, dass dies eindeutig nicht in unserer Preisklasse liegt, schauen uns aber trotzdem kurz um und lassen uns ein Zimmer zeigen. Die Zimmer sind sehr schön und geschmackvoll eingerichtet. Im grossen Innenhof gibt es einen Swimming Pool und viele schattige Sitzmöglichkeiten. Das Hotel ist von einer schönen Grünanlage umgeben, doch leider liegen die Preise bei 900-1200 Pesos, was uns für eine Uebernachtung eindeutig zu viel ist. Nahe San Juan Teotihuacan werden wir dann aber im Bed & Breakfast Sol y Luna, wo es kein Frühstück gibt, fündig. Abends schlendern wir noch etwas durch die kleine geschäftige Stadt und finden ein Lokal, wo uns noch ein Bier serviert wird. Der Bartender und seine Freundin begleiten uns nachher unter die Arkaden beim Markt, wo sie uns die besten Tacos am Platz zeigen. Hier reiht sich Stand an Stand und die Leute versuchen, sich durch die Massen durchzudrängeln. Wir ergattern bald drei Stühle und geniessen unsere Tacos al Pastor mit verschiedenen scharfen Saucen und gegrillten Zwiebelchen und Chiles.



Am nächsten Morgen sind wir sehr früh schon auf den Beinen und fahren nochmals zum Markt. Die süssen Brötchen haben wir schon am Vorabend erstanden, nun fehlt nur noch ein Kaffee und Orangensaft. Um 7:30 stehen wir dann auf dem Parkplatz nahe der Mondpyramide. Wir sind die ersten und werden ohne Murren schon hereingelassen. Die Souvenirstände sind noch alle geschlossen, die Wärter erst gerade am eintrudeln. Wir eilen vorbei am Palacio de Quetzalpapalotl, dem Palast von Quetzal Schmetterling, und stehen auf einem grossen Platz. Nun erklimmen wir die Stufen zur Mondpyramide und kommen leider nur bis zur ersten Plattform, der Rest ist mit grellorangen Bändern abgesperrt. Trotzdem haben wir die gigantische Sicht die drei Kilometer lange Calzada de los Muertos, Strasse der Toten, entlang, die wir uns erhofft haben. Keine Menschenseele ist zu sehen auf der breiten Strasse oder den sie säumenden Pyramiden. Einzig die grellorangen Bänder, die Touristen den abgesperrten Gebieten fernhalten sollen, stören das wunderschöne Bild. Bei anderen archäologischen Stätten sind die Absperrungen viel dezenter gehalten und passen fast perfekt in die Umgebung. Dies hätte sicherlich auch hier gemacht werden können.



Archäologen vermuten, dass die Entdeckung einer Höhle um 100 vor Christus unter der heutigen Sonnenpyramide der Auslöser dafür war, dass die Population im Valle de Teotihuacan von ca. 7'000 Einwohnern auf bis zu 200'000 Menschen explodierte. Diese Höhle, die erst 1971 entdeckt wurde, ist Ost-West ausgerichtet und der Eingang liegt überein mit verschiedenen astronomischen Phänomenen wie z.B. Sonnenuntergang und Aufgang der Pleiaden an der Tagundnachtgleiche. Ueber Jahrhunderte hinweg wurde Teotihuacan zu seiner heutigen Grösse aufgebaut. Ungefähr 300 nach Christus waren alle bedeutenden Strukturen aufgebaut und es gab keine grossen Neuerungen ausser bei den Behausungen des normalen Volkes. Die ehemals chaotischen Ansammlungen von Hütten wurde durch ungefähr 2000 geplante Siedlungen ersetzt, in denen 50-100 wahrscheinlich miteinander verwandte Menschen untergebracht wurden. Ausserdem waren die Menschen in diesen einzelnen Wohnkomplexen nicht nur durch Familienbande miteinander verbunden. Sie gingen dem gleichen Gewerbe nach und stammten oft aus der gleichen Gegend. Heutzutage ist von diesen Wohnkomplexen nicht mehr viel zu sehen. Wenn man allerdings in der Umgebung von Teotihuacan graben würde, stiesse man bestimmt auf Ueberreste dieser Häuser. Wir haben uns auf der anderen Seite der Ringstrasse eine luxuriösere Wohnsiedlung, Tetitla, angesehen, doch davon später mehr. Um 600 nach Christus begann dann der Zerfall von Teotihuacan. Es wurden keine neuen Gebäude mehr erstellt, keine neuen Gemälde mehr gemalt und die Wohnkomplexe wurden langsam verlassen. Man weiss bis heute nicht genau, was diesen Zerfall auslöste, doch Forscher vermuten, dass eine schlechte Verwaltung, der Zusammenbruch des Tausch- und Tributsystems, Gesundheitsprobleme wegen Ueberbevölkerung und eine Serie von extrem trockenen Jahren dafür verantwortlich sein könnten. Archäologen glauben, dass die Stadt um 750 A.D. geplündert und völlig abgebrannt wurde. Teotihuacan wurde allerdings nie ganz verlassen, doch die wenigen Einwohner campierten eher in den Ruinen, als dass sie sich dort eine Existenz aufbauten. Das Machtgefüge verschob sich von Teotihuacan zuerst nach Tula und dann nach Tenochtitlan. Die Azteken hatten ihre eigenen Theorien über die Entstehung von Teotihuacan. Sie glaubten, dass die Stadt von den Göttern aufgebaut wurde und dass aus der Höhle unter der Sonnenpyramide die Sonne, der Mond, die Sterne und die Menschheit herausgekommen waren.



Von der Mondpyramide aus schlendern wir im Morgenlicht über die Strasse der Toten zur Sonnenpyramide. Links und rechts ist die Strasse flankiert von niedrigen Tempeln und Pyramiden. Besonders schön ist das Wandgemälde eines gelben Pumas mit scharfen Krallen. Am Fusse der Sonnenpyramide angekommen sind wir nicht mehr die einzigen Besucher. Die Pyramide ist eine der grössten präkolumbianischen Strukturen der westlichen Hemisphäre. Jede Seite misst 221m. Man vermutet, dass die Fassade der Pyramide verputzt und rot angemalt war. Verschiedene Tunnel wurden in die Pyramide gegraben, da Archäologen ein Königsgrab im Inneren vermuten, doch es wurde bis heute nichts gefunden. Wir haben die Stufen bis zur Spitze der 64m hohen Pyramide nicht gezählt, aber einige von ihnen sind so hoch, dass zur Unterstützung der Kletterer Seile angebracht wurden, an denen man sich in die Höhe hangeln kann. Auf dem Abwärtsweg sind diese Seile ebenfalls sehr hilfreich, hat man doch ab und zu das Gefühl, fast senkrecht nach unten zu steigen. Wir mit unseren langen Beinen haben hier einen Vorteil, doch welche Anstrengung muss es für die damaligen Bewohner gewesen sein, die kleiner und kurzbeiniger als wir gewesen sind! Jede Plattform auf dem Weg nach oben bietet eine wunderbare Gelegenheit, etwas zu verschnaufen und die Sicht zu geniessen. Je weiter man nach oben kommt, desto eindrucksvoller wird der Blick auf die Ueberreste dieser perfekt geplanten und angelegten Stadt. Von der Spitze hat man einen sagenhaften Blick in alle Himmelsrichtungen und die umliegenden Siedlungen, die alle auf den Ruinen des damaligen Teotihuacan aufgebaut sind. Es sind hauptsächlich frühaufstehende Europär, die es schon bis nach oben auf die Pyramide geschafft haben. Auch zwei bunte Heissluftballone schweben langsam über die riesige Pyramide.



Nun wandern wir langsam zurück zur Mondpyramide. Gruppen von Tschechen, Deutschen und Franzosen sind fleissig am fotografieren. Zwei Amerikanerinnen haben ihren Hund mitgebracht. Ein deutsches Ehepaar hat einen radebrechenden mexikanischen Führer zur Seite. Eine Gruppe junger Mexikaner ist von Souvenirverkäufern umringt. Später besteigen sie mit ihren soeben erstandenen Obsidianmessern, Alabastergöttern und Federschmuck - das Wort Kitsch kommt einem in den Sinn - die Stufen der Sonnenpyramide. Auch wir werden immer wieder von fliegenden Händlern angesprochen, die einem ab und zu sogar ein "ganz echtes Stück" verkaufen wollen, doch wir winken generell dankend aber freundlich ab. Als nächstes sehen wir uns den Palast mit den Wandmalereien von gefederten Jaguaren an. Danach folgt der Palacio de Quetzalpapalotl. Hier kommen wir durch verschiedene Räume mit Wandmalereien und Säulen umringten Innenhöfen. Acht Säulen eines Innenhofes sind mit Reliefs eines Tieres verziert, das einer Mischung aus einem Schmetterling und einem Quetzal-Vogel gleicht.



Auf dem Parkplatz ist mittlerweile schon einiges los und andere Besucher besetzen sofort unseren Schattenparkplatz. Wir fahren nordwärts um die Mondpyramide herum und parken am Eingang hinter der Sonnenpyramide. Eigentlich wollen wir hier vorbeifahren, doch dann sehen wir das Schild Jardin Botanico, den wir uns dann anschauen gehen. Die kleine Anlage ist in bedauernswertem Zustand und hat mit einem Botanischen Garten absolut gar nichts gemein. Glücklicherweise haben wir hier gestoppt, sonst hätten wir das 1994 erbaute Museum glatt verpasst. Die Räume sind wunderschön ausgeleuchtet und die Ausstellungsstücke sehr schön präsentiert. In einem grossen Raum gibt es ein Diorama von Teotihuacan. Der Besucher spaziert über einen Glasboden über die dreidimensionale Darstellung der archäologischen Stätte. Licht kommt durch eine Wand aus Glas, durch die man von hinten direkt auf die imposante Sonnenpyramide schauen kann.



Unser nächstes Ziel ist die Ciudadela, wo es wieder einen Parkplatz gibt. Die grossen Cars laden ihre Leute oft ausserhalb der Parkplätze ab, um Geld zu sparen. Pro Auto und Car wird nämlich eine Parkgebühr verlangt, die aber für alle Parkplätze rund um die Anlage herum gültig ist. Hier müssen wir uns zuerst an unzähligen kleinen Souvenirgeschäften vorbeikämpfen, die alle das gleiche verkaufen. Wieder ist es v.a. Kitsch, Bücher und Postkarten. Von der Plattform rund um die Ciudadela herum, deren Seiten 390m lang sind, blickt man auf einen grossen Platz, auf dem anscheinend 30'000 Menschen problemlos Platz haben sollen. Soviele sind glücklicherweise heute nicht hier! Leider ist der Tempel der gefiederten Schlange gerade in Restauration und es werden neue Ausgrabungen vorangetrieben. Von einer erhöhten Pyramide aus erhaschen wir aber trotzdem einen Blick auf einige der steinernen Schlangenköpfe, die aus der Tempelwand herausragen.



Mittlerweile brennt die Sonne unerbittlich auf die ganze Anlage hinunter. Im Schatten eines Jacarandabaumes bestaunen wir die vielen Touristen, die ohne Kopfbedeckung und mit nackten Schultern unterwegs sind. Deutsche Mädels wollen wohl die Bräune zur Schau stellen, die sie am Strand erworben haben. Amerikanische Jungs haben die Baseballkappe verkehrt herum an und lassen sich ihre eh schon rote Nase noch mehr verbrennen. Mexikaner denken, sie seien ihrer dunklen Haut wegen geschützt. Blasshäutige Nordländer schmieren sich mit Kokosnussöl ein. Nur die fliegenden Händler und Verkäuferinnen wissen, wie unerbittlich die Sonne hier herunterbrennt und sind von oben bis unten bedeckt und tragen breitkrempige Sonnenhüte. Als wir zum Parkplatz zurückkommen, hat sich eine grosse Menge um einen hohen Pfahl versammelt, von dessen Spitze in Trachten gekleidete Männer an Seilen durch die Luft schwingen. Langsam kommen sie immer tiefer und tiefer und landen schliesslich auf dem Boden. Zwar hat diese Vorführung ihren Ursprung in Guatemala, doch die Menge applaudiert begeistert und die wunderschön gekleideten Männer machen nachher die Runde mit einer Schale für kleine Spenden.



Nun fahren wir zum Wohnkomplex Tetitla. Als wir ankommen, steht nur ein anderes Auto auf dem Parkplatz. Ein Junge liest im Auto, wahrscheinlich hat er schon genügend Kultur geschnuppert für heute. Der ganze Komplex ist mit Wellblechdächern abgedeckt und geschützt. Dicke Plastikvorhänge schützen die Wandmalereien vor dem direkten Sonnenlicht. Wir wandern durch verschiedene Räume und Innenhöfe mit verschieden gut erhaltenen blassfarbigen Wandmalereien von Göttern und phantastischen Tieren. Niedrige Becken, die mit Rinnen miteinander verbunden und mit Wasser gefüllt sind, spenden angenehme Kühle. Bald treffen wir auf die anderen Besucher. Es ist ein deutscher Vater mit Sohn, was unschwer an seinen Belehrungen zu identifizieren ist. Der Vater ist damit beschäftigt, seinem Sohn die Funktionen der neuen Digitalkamera zu erklären. Der Sohn hört geduldig zu und wir beginnen zu erahnen, weshalb es der andere Jüngling vorgezogen hat, im Auto zu warten. Immer wieder muss der Sohn sich an einen Altar lehnen oder seinen Kopf vor eine Wandmalerei schieben, um vom Vater in verschiedenen Varianten aufgenommen zu werden. Schliesslich klingelt dessen Handy und wir können dem laut geführten Gespräch entnehmen, dass sie sofort aufbrechen müssen, um rechtzeitig bei Muttern in Mexico City zum Mittagessen einzutreffen. Auch wir brechen auf und stöbern noch etwas durch ein paar Souvenirgeschäfte. Am Eingang wird gerade eine Gruppe Amerikaner zur Tequila Degustation eingeladen. Innendrin hat man die Qual der Wahl zwischen Tausenden von Obsidian Tlalocs, Alabaster Gottheiten, Messern, kitschigen Schlüsselanhängern oder für Mexico recht untypische Postkarten.



Um in Teotihuacan wirklich alles zu sehen, braucht man natürlich mehr als die immerhin 6 Stunden, die wir dort verbrachten. Aber um einen Ueberblick und einen guten Einblick zu bekommen, ist ein halber Tag sicherlich genügend. Wer wirklich etwas erleben will, der sollte so früh wie möglich dort sein, um die grossen Pyramiden und die Strasse der Toten menschenleer oder zumindest ohne grossen Rummel zu sehen. Da unser Besuch aber auch etwas von Mexico City sehen möchte, der Verkehr in diesem Moloch von Stadt nicht ganz einfach zu meistern ist und da auch die Sonne einem zu schaffen macht, machen wir uns am frühen Nachmittag auf, um unser Hotel in Mexico City zu erreichen. Von dieser Stadt werden wir noch etwas berichten müssen.



April 2007



Julia Etter & Martin Kristen