travelog 68

Arroyo Chihuahua
Sollen wir diesen Geheimtip wirklich verraten ? Warum auch nicht, schliesslich fahren die meisten Leute, die nach Mexico kommen sowieso an irgendeinen Strand und nicht in die Berge. Auch wir haben nur zufälligerweise auf den Rat unseres Freundes Michael hin hierhergefunden. Doch nun kommen wir regelmässig für ein paar Tage, wenn wir irgendwo in der Nähe von Durango sind. Vielleicht treffen wir ja eines Tages auf einen von Euch ? Aber wahrscheinlich werden wir eh nur unsere alten Bekannten, die Rindviecher und ihre Hüter antreffen.
Es bereitete uns einige Schwierigkeiten, diesen Ort beim ersten Mal im Januar zu finden. Unser Freund Michael hatte von hier eine neue Pflanze beschrieben, etwas Krautiges würden wir Agaven- und Crassulaceenfreaks sagen. Er gab uns eine exakte GPS-Position und den Namen "Arroyo de las Flores". Vor Ort und Stelle stellte sich dann allerdings heraus, dass er den Namen auf einer Landkarte herausgesucht hatte und sich um einen Canyon geirrt hatte. Der Arroyo de las Flores liegt weiter nördlich und hat mit einer Schlucht nicht viel zu tun. Es ist einfach ein weites, breites Tal mit Feldern und Wiesen. Die Leute im kleinen Ort El Carmen wussten aber genau, wo wir hinwollten, nämlich sicherlich in den Arroyo Chihuahua. Weshalb sonst würden sich Touristen in ihr kleines Nest verirren, das ausser ein paar kleinen Lebensmittelgeschäften, die nur das allernötigste im Sortiment führen, nichts zu bieten hat ? Und siehe da, wir folgen ihren Angaben und landen exakt an der GPS-Position unseres Freundes Michael.
Der Arroyo Chihuahua ist nur ca. 40km von Durango entfernt und deshalb am Wochenende ein beliebtes Ausflugsziel für die Städter. Erstaunlicherweise ist es aber (immer noch) relativ sauber und die Leute scheinen ihren Abfall brav wieder mitzunehmen. Die Anfahrt ist etwas beschwerlich und meist nur für hochbeinige Fahrzeuge zu meistern, denn die kleine Piste, die zwischen Weiden durchführt, ist vom Regen oft ausgewaschen, schief oder stark zerfurcht. Man muss einige Gatter passieren, doch dann kommt man in einen breiten Canyon, der sich langsam verengt. Die Piste führt bis zu einem runden Tafelberg in der Mitte des Canyons, einem wunderschönen Platz zum campieren unter alten Eichenbäumen. In der Abendsonne beginnen die umliegenden Felsen so richtig rot und orange zu glühen. Wir sind umgeben von bizarren Felsformationen, aufeinandergetürmten Felskugeln, steinernen Zinnen und Türmen.
Doch unser Interesse gilt als erstes dem Tafelberg, der sich verlockend vor uns erhebt. Die Rindviecher haben praktischerweise schon einige Pfade in die Höhe zurechtgetrampelt und so kommen wir schnell nach oben. In Moos und Selaginella versteckt entdecken wir Graptopetalum pusillum. In den mit Humus gefüllten Felsritzen haben sich Kakteen angesiedelt. Dasylirien und Agaven gedeihen hier oben ebenfalls. Ab und zu stossen wir auf eine Bonsai-Bursera, die hier wahrscheinlich in jedem Winter weit zurückfriert. Wir klettern bis zum höchsten Punkt und es eröffnen sich uns wunderschöne Blicke weit in die Canyonlandschaft hinein, die aus der Ebene heraus gar nicht sichtbar ist. Auf dem Rückweg klettern wir abenteurlich durch die Felstürme hindurch nach unten und kommen an weiteren schattigen Felswänden mit viel Graptopetalum pusillum vorbei. Im lockeren Untergrund unter Eichen und Pinien stossen wir auch auf Bodenorchideen.
Am nächsten Morgen ist unser Fahrzeug von grasenden Kühen umgeben. Wieder taucht die Sonne die umliegenden Felswände in wunderschönes Licht. Es ist noch ziemlich kalt draussen im November, unserem zweiten Besuch hier. Doch bald erwärmt die Sonne die Landschaft. Kaum öffnen wir die Türe, werden wir auch schon von der ganzen Rinderbande mit grossen Augen angeglotzt. Sie scheinen die zweibeinige und vierrädrige Gesellschaft sichtlich zu geniessen.
Natürlich wollen wir etwas weiter in die Canyons hineinkommen. Von unserem luftigen Aussichtsplatz aus haben wir auch schon einen Weg ausgemacht. Wieder ist es ein Kuhpfad, auf dem wir entlang eines trockenen Flussbettes in Richtung Westen wandern. Unter den hohen Pinien und Eichen stossen wir auf grosse Populationen von Agave parryi. Als sich der Canyon langsam verengt, erscheinen wieder die ersten Kakteen in den Felsbändern. Und plötzlich stossen wir an einer schattigen Stelle des Baches auf einige Pfützen brackigen Wassers. Auf einem runden Felsen ist ein regelrechter Graptopetalum pusillum Garten entstanden. Die hübschen Rosetten bedecken die ganze moosige Oberfläche des Steines und stehen in voller Blüte. Immer wieder treffen wir nun entlang des Baches an nassen Stellen auf dieses Graptopetalum. Die sternförmigen, rot gepunkteten Blüten ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Aber es gibt noch mehr interessante Pflanzen für uns, nämlich eine Manfreda und blühendes Sedum ebracteatum auf einem sonnigen Felsband. Nun müssen wir über die grossen Felsbrocken klettern, die den Talgrund übersäen. Der Canyon verengt sich zusehends und bald müssen wir zinnenförmige Felsen besteigen. Hier geniessen wir ein gemütliches Picknick auf einem breiten Felsband. Geier kreisen weit im Himmel über uns, erwarten wohl, dass eines dieser zweibeinigen Tiere hier verendet und eine gute Mahlzeit abgeben würde. Ein Rabenpärchen ist nicht sonderlich begeistert über die Störung und tut dies durch lautstarkes Krächzen kund. Ansonsten ist es wunderbar still in dieser abgeschiedenen Landschaft. Nur die Sonne brennt erbarmungslos vom wolkenlosen blauen Himmel.
Auf dem Rückweg kommen wir an senkrechten Felswänden vorbei, die völlig mit einer silbrigen Tillandsia überwachsen sind. Ein Anzeichen, dass es hier oft Feuchtigkeit in der Luft, tiefziehende Wolken oder Nebel geben muss. Langsam kriechen die Schatten über die Berge und es wird kühler.
Wir freuen uns auf einen von der Sonne aufgewärmten Unimog und trotz der mexikanischen, winterlichen Aussentemperaturen auf ein wohlverdientes kühles Bier ! Wir übernachten auch gleich hier, obwohl sich so manch weidendes Rindviech an unserem Bullbar wohlig die juckende Seite kratzt und das Vehikel etwas ins Schaukeln bringt. Doch an sowas haben wir uns als Dauer-Camper im wilden Mexico schon lange gewöhnt.
November 2005
Julia Etter & Martin Kristen
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