travelog 65






Tequila



Blaue Agavenfelder so weit das Auge reicht. Sanft geschwungene Hügel, steile Abhänge, sogar Strassenböschungen, die eigentlich Bundesgebiet sind und niemals Privatbesitz, sind mit Agaven bepflanzt. Blauer Himmel, rote grobschollige Erde, hellblaue Agaven, was für eine Kombination fürs Auge ! Und das Endprodukt erst für den Gaumen !



Wenn man durch Mexiko reist, kommt man unweigerlich in den Genuss von mexikanischem Schnaps. Die vielen Varietäten werden von verschiedenen Agavenarten und durch unterschiedliche Herstellungspraktiken gewonnen. Praktisch im ganzen Land wird Mezcal produziert, ein etwas rauchig schmeckender Agavenschnaps, der oft in kleinen Familiendestillerien von Hand hergestellt wird. Raicilla wird nur an der Westküste und angrenzender Bergregion in Jalisco produziert. Bacanora hingegen kommt aus Sonora, wo er u.a. mit Agave parviflora ssp. flexiflora, einer extrem kleinen Agave, versüsst wird. Sotol, ein Schnaps aus Chihuahua, wird nicht aus Agaven, sondern aus Dasylirion gewonnen. Pulque hingegen ist quasi die Urform von Tequila. Und die Liste kann beliebig weitergeführt werden. Schon die Azteken vor mindestens 2000 Jahren entdeckten, dass der Saft der Agave (Aguamiel) sich in Kontakt mit der Luft in ein milchiges, leicht alkoholisches Getränk verwandelte, das sie "octili poliqhui" nannten. Die Spanier machten daraus später "Pulque". Der Konsum von Pulque war, ausgenommen an speziellen Feiertagen, der aztekischen Elite vorbehalten. Den Spaniern schmeckte das Getränk nicht sonderlich gut, doch bald fanden sie heraus, dass ein süsserer Saft entstand, wenn sie den Brei der Agave zuerst kochten. Dieser süsse Saft wurde dann destilliert und daraus entstand der heutige Mezcal. Bald stellte sich heraus, dass ein Mezcal aus einer blauen Agave, der in der Gegend von Tequila, einer kleinen Stadt in Jalisco, hergestellt wurde, eine besonders hohe Qualität hatte. Daraufhin wurde der in Tequila produzierte Mezcal nicht mehr Mezcal, sondern einfach "Tequila" genannt. Bis vor ca. 20 Jahren durfte Tequila nur in Jalisco destilliert werden. Geändert hat sich seither nicht viel. Tequila darf auch heute nur in ganz wenigen Staaten von Mexico hergestellt werden. Der Löwenanteil kommt aus Jalisco. In Guanajuato und Tamaulipas gibt es je genau eine Fabrik, und in Nayarit, Michoacan und Tamaulipas wird nur agave azul angebaut, aber nicht destilliert.



Tequila wird aus der Agave tequilana hergestellt, die in Mexico unter dem passenden Namen "agave azul" bekannt ist. Die Pflanzen werden nach ca. 8-10 Jahren geerntet, kurz bevor die Pflanze zu blühen beginnt. Die Blätter werden so abgeschnitten, dass nur noch das Herz, die sogenannte "piña" übrigbleibt, die zwischen 30-50 Kilogramm, in Extremfällen bis 100 Kilogramm wiegt. Je nach Grösse werden die Piñas in der Fabrik geviertelt und in einem urtümlichen Dampfofen gegart, bis sich die Stärke in Zucker verwandelt hat. Danach werden sie gemahlen und zerdrückt, was früher durch riesige Mahlsteine, die von Eseln gezogen wurden, geschah. Danach wird der Brei ausgepresst, bis der Aguamiel, das Zuckerwasser, extrahiert werden kann. Der weitere Prozess entscheidet, ob ein Tequila rein oder gemischt, ein "Mixto", ist. Richtiger Tequila wird aus 100% Agavensaft und wenig Wasser fermentiert und dann destilliert. Für gemischten Tequila darf bis zu 49% anderer Alkohol, der oft aus Zuckerrohr gewonnen wird, verwendet werden. Exportiert werden darf kein 100% Tequila, so senden viele Tequilaproduzenten 99% Agavenschnaps in die USA, wo er dann z.T. von den dortigen Abfüllfabriken mit bis zu 51% anderem Alkohol verdünnt wird. Der Aguamiel wird mit Wasser gemischt und in grossen Tanks, die heute aus Edelstahl sind, mit Hefe zur Fermentation angesetzt, die zwischen 2-4 Tage dauert. Danach wird destilliert. Das Produkt nach der ersten Destillation heisst "Ordinario". Es ist eine klare, stark nach Alkohol riechende Flüssigkeit. Danach wird ein zweites und evt. sogar drittes Mal destilliert, bis der Alkoholprozentsatz auf ca. 39° steigt. Dann wird der Tequila gelagert. Ein "Blanco" muss laut Gesetz minimal 2 Wochen und maximal 2 Monate gelagert werden. "Reposado" wird in Eichenfässern mindestens 2 Monate bis zu 1 Jahr gelagert, was ihn leicht hellbraun färbt. Und der "Añejo", der beste der Tequilas, muss mindestens 1 Jahr, oder besser noch länger, in Eichenfässern gelagert werden, was sich nachher natürlich auch im Preis niederschlägt - mal abgesehen von seiner recht dunklen braunen Farbe.



Es ist gar nicht so einfach, eine Tequilafabrik zu besuchen. In der Nähe von Tequila gibt es natürlich die besten Gelegenheiten, doch dort muss man sich meist einer grossen Touristenführung anschliessen. Eine berühmte Fabrik in Amatitan, Tequila Herradura, lässt einen nicht einmal die bunten ehemaligen Wohnhäuschen der Arbeiter ansehen, wenn man nicht mit dem Tequila-Express, einem Zug, aus Guadalajara angereist kommt. Doch gegenüber haben wir mehr Glück. Bei "Tradicional" geht gerade eine Aktionärsversammlung zu Ende. Die Aktionäre wanken alle mehr oder weniger betrunken vom Gelände, doch wir treiben einen jungen Mann auf, der sich bereit erklärt, uns die Fabrik kurz zu zeigen. Er ist sichtlich erleichtert, dass er die Führung auf spanisch machen kann. Im nahegelegenen Tequila dann halten wir uns doch lieber ans kühle Bier. Das ganze Städtchen scheint vom Tequila zu profitieren und ganze Strassenzüge verkaufen Shotgläser, Karaffen, kleine Eichenfässchen, um den Mezcal zu Hause zu lagern, 4-Liter Plastikflaschen mit verschiedenem Mezcal, aber auch Hunderte von Tequilas. Wie diese Geschäfte, die alle das gleiche verkaufen, überleben können, ist uns ein Rätsel. Wenn man es etwas privater haben will, dann sucht man sich am besten eine Fabrik, die irgendwo in den "Los Altos" von Jalisco in einem kleinen Dorf Tequila produziert. Zwar kann es einem dort passieren, dass man aus Ansgst vor Spionage z.B. nicht fotografieren darf, doch spannend ist es alleweil. Bei "Siete Leguas" ist das Fotografieren etwa verboten. Traditionellerweise werden die gekochten Piñas dort noch mit Eseln und Maultieren gemahlen, doch die Besitzer wollen nicht, dass jemand ein Foto schiessen kann, wenn z.B. eines der Tiere grade Wassert lässt, das sich natürlich mit dem Aguamiel vermischt. Bei "Quiote", was soviel heisst wie Agavenblütenstand, haben wir da schon mehr Glück. Wir können uns dank Beziehungen frei auf dem Gelände herumbewegen und können mitverfolgen, wie die Piñas geviertelt und in einen urtümlichen Garofen gefüllt werden. Nebenan befinden sich die riesigen Tanks, in denen fermentiert wird und gleich daneben geht die Destillation vor sich. In einen riesigen Tanklaster wird 99% Tequila eingefüllt, der später auf die Reise in die USA geht, wo er unter anderem Namen verkauft wird. Im nächsten Raum entdecken wir Eichenfässer, in denen Tequila seit 2002 gelagert wird. Auch ein richtiges Labor befindet sich auf dem Gelände, wo analysiert und getestet wird. Die Fabrik produziert drei verschiedene Tequilas. "Toril" kommt als Blanco und Reposado. "Quiote" wird als Blanco, Reposado und Añejo verkauft. Und für den Touristenmarkt gibt es "Puerto Vallarta", der wie es der Name schon sagt, an die Gringos in Puerto Vallarta verkauft wird. In nächster Zukunft soll auch in den USA einer ihrer Tequilas auf den Markt kommen, der "Don xz" heissen wird.



Tequila wird in Mexico zu den unterschiedlichsten Anlässen getrunken. Tequila aus dem Shotglas mit einer Prise Salz auf der Handfläche und einem Limonenschnitz in der anderen Hand ist eine amerikanische Erfindung und wird eigentlich nur von Touristen so getrunken. Normalerweise wird Tequila in einem "caballito" serviert. Zum Mittagessen bestellt man sich ein Bier und einen Tequila. Wer es weniger hart mag, der mischt den Tequila mit Limonade, Mineralwasser und Eis. Oder trinkt ihn als "Changuito" oder "Cuba", ein Mix aus Tequila, Coca Cola, Mineralwasser und Eis. Auf dem Land wird Tequila aber oft auch schon morgens getrunken. So z.B. nachdem die Kühe gemolken sind. Man sieht dann entweder handgemalte Schilder, die "Pajarete" ankündigen, oder Gruppen von Männern mit Sombreros, die meisten schon mit einer leicht roten Nase. Für den "Pajarete" wird in einem Glas Tequila mit Zucker und Schokoraspeln gemischt. Danach wird frisch gemolkene Kuhmilch dazugegossen und fertig ist der morgendliche Kraft-Drink. Natürlich gibt es auch "Margaritas", doch auch diese scheinen sich auf die Touristenzentren zu konzentrieren. Die Kenner trinken Tequila pur. Liebhaber haben übrigens wie für Wein auch für den Tequila eine eigene Sprache, um die Geschmacksnoten zu beschreiben. Tequila hat fruchtige Nuancen, delikate Harmonie, würzige Noten, schmeckt nach Apfel und Vanille, und man kann Töne von Karamel, Zimt und Butter erschnüffeln. Aber da auch die einfachen Bauern auf dem Land Tequila trinken, machen wir uns nicht allzugrosse Sorgen um diese teils hochgestochenen Feinschmeckerattitüden und geniessen den Tequila wie er kommt: Pur !



Zum Schluss wollen wir aber doch noch etwas die Legende ansprechen. Das Sprichwort "Para todo mal, mezcal. Para todo bien, tambien!", was etwa soviel heisst wie "Mezcal, in guten wie in schlechten Zeiten" scheint in ganz Mexico bekannt und befolgt zu werden. Wir haben Leute kennengelernt, die jeden Morgen ein Gläschen Mezcal trinken und dazu ein Stückchen getrocknetes Klapperschlangenfleisch knabbern. Sie glauben fest daran, deswegen nicht krank zu werden. Andere verschreiben einem bei jedem Wehwehchen einen Tequila. Ganz nach dem Motto: Hilft's nichts, so schadet's auch nicht ! Mit Verstand konsumiert senkt Tequila, wie Wein übrigens auch, im Blut die Werte des "bösen" Cholesterin und hebt die "guten" Cholesterinwerte an (Like wine it increases the good cholesterol levels in our blood while decreasing the bad cholesterols). Ausserdem optimiert Tequila die Herzfunktionen, ist ein guter Verdauungshelfer und hilft auch gegen Stress. Natürlich gilt das wie beim Wein für den Genuss eines Glases pro Tag und nicht etwa einer halben Flasche oder gar mehr !



Darauf können wir nur noch anstossen: Viva Mexico und sein Nationalgetränk ! Und da sage einer, wir studieren die falschen Pflanzen...



März-Mai 2005



Julia Etter & Martin Kristen