travelog 6



Was tun die beiden denn so...



Eigentlich wollten wir ja in einem Jahr halb Nordamerika "erschliessen". Wir hatten uns vorgestellt, unser Fahrzeug von Europa an die Ostküste von Nordamerika zu verschiffen, um dann möglichst ohne lange Umwege den amerikanischen Südwesten zu erreichen. Dort wollten wir unsere eigentliche Reise beginnen - inmitten "unserer" sukkulenten Pflanzen. Alle westlichen US-Staaten, den Westen Kanadas und Alaska wollten wir bereisen. Und dies innert eines Jahres.



Es hat nicht sollen sein...



Für die Fahrt vom Zielhafen (Portsmouth, Virginia) durch die südöstlichen Staaten North Carolina, South Carolina, Georgia und den nördlichen Teil Floridas (Panhandle) brauchten wir alleine rund vier Wochen - gab es doch immer wieder einige interessante Details zu sehen (und besonders die frischen Meeresfrüchte zu geniessen !). Für die Ost-/West-Durchquerung über Alabama, Mississippi, Louisiana (New Orleans lässt grüssen !) und den östlichen Teil von Texas gingen weitere zwei Wochen ins Land. An Weihnachten erreichten wir die erste grössere Kakteen-Region, den Big Bend Nationalpark im Südwesten von Texas, direkt an der Grenze zu Mexico. Alleine diese Region hielt uns mehr als 3 Wochen fest.



Seither drängt uns schier nichts und niemand mehr. Hier ist mal ein schönes Plätzchen gefunden; dort lässt es sich auch mal ein paar Tage oder gar eine Woche gut an. Die fest vorgenommene Route (inklusive Besuch von Alaska) verschwimmt, rückt in immer weitere Ferne - weil sie einfach nicht zu realisieren ist. Alleine der Staat Arizona bietet so viel Spannendes, dass es gar nicht möglich ist, diese Vielfalt innert "nützlicher" Zeit zu sehen, zu erleben. Der Niño - bei den Amerikanern nicht nur für das Wetter verantwortlich - trägt sicherlich einen grossen Teil der "Schuld" an dem aussergewöhnlichen Frühling in dieser Region. Trotz ungewöhnlicher Kälte ist das Blütenmeer, das wir in gewissen Gebieten vorfinden, einfach überwältigend. Eine anscheinend seit 1972 (!) nicht mehr dagewesene Erscheinung. Wir geniessen die optischen Reize und bannen dies und das dann auch auf Film.



Die ernüchternde Bilanz: das Jahr hat nicht genügend Wochen !



An unserem Reisebeginn im amerikanischen Osten getrauten wir uns kaum, uns mal ausserhalb eines offiziellen Campgrounds irgendwo in die Landschaft zu stellen. Und wenn wir es taten, dann waren wir die ganze Nacht lang unruhig - ob wohl irgendwer eine Polizeistreife vorbeisenden werde, die uns des Platzes verweisen würde ?!



Wir haben uns diese Ängste gründlich abgewöhnt. Im amerikanischen Westen gibt es die nützliche Einrichtung des sogenannten BLM-Landes und der National Forests. Hierbei handelt es sich um öffentliches Land, das unter der Aufsicht des Bureau of Land Management (BLM) oder der amerikanischen Waldbehörde steht. Auf diesem Land darf (ausser es ist explizit verboten und so angeschlagen) überall gecampt werden, sofern man sich an gewisse Regeln hält (kein Off-Road-Fahren, möglichst gesicherte Campfeuer etc). Dies drückt den Geld-Ausgabepegel bedeutend nach unten, da ja kein Obolus zu entrichten ist für eine Nacht auf öffentlichem Grund. Von anfänglich 300$ pro Monat ist unser Aufwand für Campinggebühren auf einen Bruchteil - auf 40$ - gesunken. Nur ab und zu, besonders wenn die Lust nach einer ausgiebigen Dusche übermächtig wird, "genehmigen" wir uns einen Besuch auf einem offiziellen Campingplatz - meist von einem State Park. Von Besuchen von KOA-Campgrounds (KOA=Kampgrounds Of America) nehmen wir jedoch gebührend Abstand, handelt es sich dabei um "Edel"-Campgrounds mit den entsprechenden Übernachtungspreisen - wir hörten von 68$ pro Nacht in Südflorida (notabene nur, um das Fahrzeug dort zu parken !). Amerikanische Camper schwärmen von KOA, da dort immer darauf geachtet wird, dass "easy roll-on und roll-off" gewährleistet sei - was nichts anderes heisst, als dass der Campingplatz direkt am Interstate, der amerikanischen Autobahn gelegen ist. Amerikaner scheinen in Sachen Lärm ja nicht so empfindlich zu sein. Wir dafür umso mehr.



So haben wir uns denn auf die "Querspangen" verlegt, Verbindungen, die die Amerikaner manchmal etwas übertrieben "Scenic Byway" oder auch nur ganz profan "Backcountry Byway" nennen. Strassen, die im Atlas nur noch gestrichelt (wenn überhaupt) aufscheinen. Strassen, die kaum noch Strassen genannt werden können. Pisten, die nur die Eingefleischten unter den Off-Road-Freaks befahren. Etwas breitere Kuh-Trampelpfade (mit entsprechender Oberfläche), gerade so breit, dass wir mit unserem PocoLoco draufpassen - mit dem Erfolg, dass wir all die Camper, die tage- und halbnächteweise ihre Generatoren tuckern lassen, die fragenden Horden und die sogenannten "Fulltimer" und "Snowbirds" einfach los sind (Fulltimer = Rentner, die ihre ganze Zeit mit einem Camper unterwegs sind; Snowbirds = ein etwas despektierlicher Begriff für Rentner, die mit ihrem mobilen Heim 'gen Süden ziehen, wenn der Schnee hereinbricht).



Da kommt dann tagelang niemand vorbei. Mal ist's ein einsamer Reiter. Mal ist's am Wochenende ein mit Freaks vollgestopfter Jeep Wrangler, deren Inhalt grölend seine Bahn zieht oder auch mal zwei Biker auf ihren Enduros. Und sonst ? Stille - Natur - Einsamkeit - phänomenale visuelle Eindrücke - Gerüche - ein Bad im Evas/Adams-Kostüm in einem natürlichen Bach-Pool - die einmalige Möglichkeit, die einheimischen Tiere in ihrer natürlichen Umgebung beobachten zu können - natürlich auch Schlangen, Eidechsen, Spinnen oder die riesige Tarantula Wasp (eine etwa 6cm lange Wespe, die Taranteln als Bruthilfe verwenden) - und natürlich die putzigen Hummingbirds (Kolibris), die wir in unser Herz geschlossen haben !



Da geniessen wir auch die Lagerfeuer, denen wir nicht nur Wärme und Gemütlichkeit abgewinnen - die uns auch regelmässig mit aussergewöhnlich gutem Essen vom Grill "verwöhnen". Dazu gibt's dann die hausgemachten Saucen, Dips oder die mit verschiedenen Ingredienzien angereicherte Butter. Die auf dem Laptop-Computer gespeicherten Rezepte (die auch immer wieder um neue Rezepte erweitert werden) helfen, eine geeignete Beilage frisch zuzubereiten. Wenn auch nicht immer nach dem Originalrezept gearbeitet wird, gearbeitet werden kann (Improvisation ist in), so schmeckt's doch in den meisten Fällen überraschend gut. Dass dann dabei der richtige Tropfen, in Massen genossen, nicht fehlen sollte - Amerika bietet hier Aussergewöhnliches - diese Frage erübrigt sich von selbst... Prost !



Es ist ein eindeutig ruhigerer Lebensstil. Jeglicher Stress, jeglicher Druck ist Vergangenheit. Die einzigen Dinge, die einem immer wieder fehlen, sind:



- Treffen und Gespräche mit FreundInnen und Bekannten (was wir versuchen, mit einem regelmässigen E-Mail-Kontakt ein wenig zu sublimieren)

- gewisse Lebensmittel (gutes knuspriges Brot, europäischer Käse etc.)

- Kultur im allgemeinen (Theater, Oper, Konzert)



Was uns "auf Trab" hält, sind die vielen schönen Orte, die es auch noch zu sehen gibt und natürlich die Pflanzen, denen wir nachspüren - primär, um sie zu finden, zu sehen und zu dokumentieren. Doch dieses Thema werden wir in einer unserer nächsten Reise-Notizen genauer beleuchten.



Mai 1998



Julia Etter & Martin Kristen