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Ein Besuch in Wien



Bevor die Swiss tatsächlich und endgültig Konkurs macht und unsere vielen Meilen verfallen, machen wir doch lieber noch etwas Urlaub in Europa. Wien wird gerade im Sonderangebot bei der Swiss geführt, was liegt also näher als die österreichische Hauptstadt nach langen Jahren wieder einmal zu besuchen. Zumal Sommer ja für solche Unternehmungen sowieso die beste Zeit ist.



Eine ganze Woche lang wollen wir uns die Sehenswürdigkeiten anschauen und uns den Magen vollschlagen mit den vielen Schmankerln. Wohnen können wir bei Martins Schwester Karla, die in einer ganz zentral gelegenen Wohnung am Rand der inneren Stadt wohnt.



Als erstes kaufen wir uns eine Wochenkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel. Wir stellen fest, dass sich da auch viele andere Städte (Zürich miteinbegriffen) Wien als Vorbild nehmen können, kostet doch eine Einzelfahrt 2 Euro und die Wochenkarte für unbegrenzte Benützung des öffentlichen Verkehrs gerade mal 12,50 Euro - ideal für Touristen, die auf Taxis verzichten wollen. Nun können wir auf dem ganzen Netz der Wiener Strassenbahnen, Busse, Schnellbahnen und Untergrundbahnen herumkurven. Wirklich die einfachste, billigste und stressfreieste Art, sich in einer Grossstadt fortzubewegen. Zum Willkommen gehen wir am ersten Abend gleich in ein nettes Restaurant, wo man draussen unter alten Kastanienbäumen sitzen kann. Was bestellt man wohl an seinem ersten Abend in Wien ? Ein echtes Wiener Schnitzel natürlich ! Gut ist es, doch in unseren Erinnerungen, die auch schon so einige Jährchen alt sind, sehen wir immer noch die Riesenschnitzel vom Figlmüller vor unseren Augen. Danach ein Verdauungsspaziergang im Garten von Schönbrunn, wo zu dieser Zeit die halbe Stadt joggenderweise unterwegs zu sein scheint.





Wien hat sich in den Jahren, die wir nicht hier waren, extrem verändert. Positiv, würden wir sagen. Dank der EU, die anscheinend kräftig dafür gezahlt hat, können wir die alten Schlösser, Denkmäler, Brunnen und altehrwürdigen Stadthäuser in neuer Pracht bewundern. Verschwunden ist das Düstere aus den Strassen Wiens - wenigstens wenn die Sonne scheint ! Die Fassaden sind alle heruntergeputzt, die Gebäude sehen durchweg freundlich aus. Museen wurden renoviert und einige gar neu gebaut und zum Museumsquartier zusammengeschlossen. Jede Gaststätte nützt auch noch den kleinsten Platz auf den Gehsteigen, um ein paar Sonnenschirme, Stühle und Tische nach draussen zu stellen. Abends gibt es Freiluftkino oder Musikerlebnis vor dem Rathaus. In der Innenstadt, am Graben und der Kärntnerstrasse, kann man an den edelsten Geschäften von Wien entlangschlendern. Beim Delikatessengeschaft "Meinl" sind Gemüse und exotische Früchte, Käse und Wurstwaren, Wein und Fisch sogar noch teurer als beim Globus (Delikatessengeschäft an der Zürcher Bahnhofstrasse) in der Schweiz. Trotzdem gibt es genügend Leute, denen dort nicht nur das Wasser im Mund zusammenläuft, sondern die da auch noch einkaufen ! Aber es gibt auch preisgünstigere Gegenden, wo Wiener und Touristen gleichermassen auf Schnäppchenjagd gehen.



Um nicht nur von einem Gasthaus ins nächste zu pilgern, haben wir uns auch etwas Kultur vorgenommen. Eine Ausstellung über Parasiten im Naturhistorischen Museum erscheint uns ziemlich verstaubt und altmodisch. Ein paar wenige Schautafeln, einige Plastik-Gross-Modelle, in Gläsern eingemachte mit diversen Bandwürmern verseuchte Lebern, und nur jeweils ein Mikroskop und eine Video-Filmvorführung informieren über die netten Tierchen, die einem im Verdauungstrakt, unter der Haut oder sonstwo im Körper mittlere bis grössere Beschwerden bescheren können. Und doch finden wir das Informationsangebot mehr als dürftig, ganz besonders wenn man den doch recht heftigen Eintrittspreis von 8 Euro pro Person dagegenhält. Nun ja, wahrscheinlich sind wir von den amerikanischen Nationalparks und deren Ausstellungen zu sehr verwöhnt. Trotzdem geht einem die Sache unter die Haut: Hatten wir nicht kürzlich dieses unerklärliche Fieber ? Und was war mit diesem seltsamen Hautausschlag ? Sieht es in unserer Leber nach dem Fleischgenuss in Mexico auch so aus ? Scherz beiseite, bloss nicht hysterisch werden.



Im Museumsquartier gibt es eine Toulouse-Lautrec Ausstellung. Das gesamte graphische Werk des französischen Künstlers wird ausgestellt. Nachdem wir uns auch einen Film über den kleinen Mann angeschaut haben, bekommen die Darstellungen eine ganz andere Dimension, wirken plötzlich wirklich wie aus dem vollen Leben gegriffen. Das Hundertwasserhaus steht natürlich auch auf dem Programm. Wirklich eine ganz spannende Architektur, farbenfroh, wunderschön begrünt. Leider kann man nicht mehr in die Wohnanlage hinein, die Bewohner fühlten sich (verständlicherweise) von den vielen Besuchern leicht belästigt. Aber es gibt ja noch mehr Gebäude, die Hundertwasser gebaut hat: eine Autobahnraststätte; das Fernwärme-Gebäude, das man aus der Strassenbahn heraus bewundern kann; die Müllverbrennung und ein weiteres Gebäude, das in ein Museum inklusive gut besuchtem Souvenirshop umfunktioniert wurde. Auch einige sehr alte Kirchen, die wesentlich weniger überlaufen als der Stephansdom sind, besuchen wir. Doch natürlich gehört letzterer auch aufs Pflichtprogramm, schade nur, dass daran immer etwas renoviert wird. Und einem der Geruch von Pferdeausscheidungen immer wieder weiterscheucht. Die vielen Fiaker (Kutschen), die in langen Reihen am Dom entlang auf Kundschaft warten, haben zur Sommerszeit Hochbetieb.



Zwischendurch schlendern wir natürlich immer wieder durch die diversen Parks der Stadt. Schönbrunn ist riesig und bietet viele Attraktionen. Sogar ein Wüstenhaus kann man hier besuchen. Für 9 Euro erscheint uns das aber dann doch etwas zu teuer, v.a. weil wir ja bald wieder mit dem eigenen Auto durch die nordamerikanischen Wüstengebiete fahren können. Und überall locken gemütliche Cafes oder Eisbuden, die bei dem heissen Sommerwetter Hochbetrieb haben. Aber auch abends muss man auf Kultur nicht verzichten. Auf dem Rathausplatz zum Beispiel kann man sich erst an verschiedenen Ständen mit exotischen Kleinigkeiten verköstigen. Mit etwas Glück und viel Geduld findet man vielleicht sogar ein paar freie Stühle und setzt sich an die äusserste Ecke eines Tisches. Nach dem Eindunkeln werden auf einer riesigen Leinwand Musikfilme gezeigt, so z.B. Verdi's Requiem. Viele junge Leute, die nicht nach klassischer Musik aussehen, haben sich nach vorne gesetzt und lauschen der Musik. Hinter uns beschwert sich ein Mann bei seinen Nachbarinnen, die die bequemen Stühle für eine intensive Diskussion über Erlebnisse der vergangenen Woche benützen. Ab und zu piepst ein Handy, ein Glas geht in die Brüche, es herrscht reges Kommen und Gehen. Diese Atmosphäre ist sicherlich für Popmusik besser geeignet als für Requiems und Opern, aber Spass macht es alleweil.



Unsere Tage müssen wir uns gut einteilen, denn schliesslich wollen wir alle möglichen Köstlichkeiten ausprobieren. Auf den Naschmarkt sollte man aber nur mit vollem Magen gehen, die Verführung wäre sonst allzu gross ! Hier bieten v.a. türkische Händler Gemüse und Früchte an. Ihre Waren haben sie zu farbigen Türmen gestapelt und je weiter vom Stadtzentrum man sich entfernt, desto normaler werden auch die Preise. Daneben gibt es Gewürzläden, Weinhandlungen, Bäckereien und kleine Imbissbuden. In diesem Quartier finden wir mit Hilfe eines Gastroführers einige ganz nette Restaurants. Besonders erwähnenswert ist "Die drei Buchteln", dessen einziger Nachteil ist, dass man nur drinnen sitzen kann. Als Nichtraucher ein nicht so einfaches Unterfangen, v.a. weil bei unserem Besuch grade eine grosse Gruppe Kettenraucher am Nebentisch sitzt. In der kleinen Küche steht eine untersetzte Frau mit Kopftuch osteuropäischer Herkunft. Eine weitere Frau richtet die Speisen auf den Tellern an und serviert Essen und Trinken. Mehr Bedienung oder Köchinnen gibt es nicht, man muss eben etwas Geduld mitbringen, doch das lohnt sich alleweil. Die Entscheidung fällt uns sehr schwer, alles klingt so verlockend. Piroggen mit Entenfleischfüllung und Linsen und Krauttaschen mit Speck schmecken hervorragend. Doch noch viel besser sind die Buchteln und die handgewuzelten Mohnnudeln (dicke Nudeln aus einem Kartoffelteig, die mit flüssiger Butter, gemahlenem Mohn und Puderzucker serviert werden).



Ein Aufenthalt in Wien ohne dem "Figlmüller" einen Besuch abgestattet zu haben, ist natürlich unmöglich. Wenn man ins Lokal hinter dem Stephansdom gehen will, muss man schon vor 12 Uhr mittags antreten, um noch einen Platz zu ergattern. Dann kann man aber gemütlich sitzen und wird überhaupt nicht mehr gedrängt, den Platz für wartende Gäste freizugeben. Wer den "Figlmüller" nicht kennt, bekommt wahrscheinlich grosse Augen, wenn das Wiener Schnitzel serviert wird. So ein Schnitzel kommt auf einem grossen weissen Teller, von dem allerdings überhaupt nichts mehr zu sehen ist ! Keine Angst, man kann sich die Reste auch einpacken lassen, der doggie-bag ist sogar in Wien salonfähig geworden. Die Schnitzel sind natürlich aus Kalbfleisch, hauchdünn geschnitten und perfekt paniert. Mit einem Kartoffelsalat und einem Glas "Heurigen" (junger Wein) ein wunderbares Mittagessen.



Auch die k. & k. Hofzuckerbäckerei (k.&k. = kaiserlich-königliche) Demel gehört zu den altwehrwürdigen Institutionen. Letztere hat sich zwar etwas dem Tourismus angepasst und verkauft nun auch Salate, Schnitzel und belegte Brötchen, doch das Kuchenbuffet auf der linken Seite ist immer noch die Hauptattraktion. Am besten man wirft keinen Blick auf die Preisliste, denn ein Kaffee für 4,60 Euro liegt doch schon bedenklich nahe an der Schmerzgrenze, auch wenn der Kaffee in einem Mini-Kännchen und mit Schlagsahne serviert wird. Wir fangen ganz leicht mit einer Topfentorte (Quarkkuchen mit Früchten) und einem Marillenstrudel (Aprikosenstrudel) an. Danach gehen wir zu schwererem Geschütz über: Eine Trüffel- und eine Senegaltorte, beides Kalorienbomben, bei denen man die Fettringe am Bauch geradezu wachsen spürt. Und was bestellen wir als nächste Süssigkeit ? Leider müssen wir uns nach längerer Ueberlegung beidseitig gestehen, nicht mehr weiter essen zu können ! (Auch Martin, der dem Süssen ja nicht sonderlich abhold ist). Absolut unmöglich, noch ein weiteres Stück Torte zu verzehren !



Abends fahren wir fast immer mit der Strassenbahn und dem Bus irgendwo in die Randbezirke von Wien. Die "Heurigen"-Kultur hat es uns angetan ! Es gibt berühmte (und berüchtigte) Heurigengemeinden wie z.B. Grinzing, doch da werden die Touristen gleich carweise hingekarrt. Wir suchen uns da schon lieber die kleinen Familienbetriebe, wo die Auswahl am Buffet zwar nicht immer riesig ist, doch dafür umso schmackhafter und typischer. Ein "Heuriger" ist ein Restaurant, das typischerweise einen Tannenzweig über dem Eingang hängen hat, damit man sieht, dass er geöffnet ist. Lange Tische und Bänke stehen unter schattenspendenden Kastanienbäumen oder Weinrebenlauben, die voller blauer Trauben hängen. Den Wein, am besten einen süffigen "Heurigen" (der junge Wein der Weintrauben des letzten Jahres), bestellt man gleich karaffenweise. Dazu ein Mineralwasser aus einer Siphonflasche. Am Buffet kann man sich nun verschiedene Köstlichkeiten aussuchen: Am besten fängt man mit Brotaufstrichen wie Liptauer (klicke hier um das Rezept zu sehen) und Grammelschmalz an. Dazu Schwarzbrot oder Salzstangen. Danach geht man zum warmen Teil über mit verschiedenen Braten, Strudel, Brathendl, Gemüseauflauf, Knödel und natürlich verschiedenen Salaten. Auch die Nachspeisen lassen sich sehen. Meist sind es Mehlspeisen wie Marillenstrudel, süsse Knödel (siehe auch unser Rezept für Marillenknödel à la Karla; klicke hier um das Rezept zu sehen), Cremeschnitten, aber auch verführerische Kleinigkeiten, die mit Schokolade überzogen sind. Wenn man dieses gemütliche Beisammensein noch mit etwas Kultur verbinden will, kann man sich zum Beispiel in den "Mayer am Pfarrplatz" in Heiligenstadt setzen. Dieser Heuriger befindet sich in einem Haus, in dem Beethoven seine 6. und 9. Sinfonie komponiert und gleichzeitig auch gewohnt hat. Die Musikanten allerdings spielen eher volkstümliche Musik auf Geige und Handorgel.



Wenn man natürlich Verwandtschaft in Wien hat, bekommt man auch noch etwas von der Umgebung zu sehen. So besuchen wir Karla in ihrem Wochenend- und Ferienhäuschen ca. 1 Stunde ausserhalb Wiens. In der Nähe gibt es viele Wandermöglichkeiten. Wir entscheiden uns für die Johannesbachklamm (eine Schlucht), wo wir ganz bestimmt viele interessante Pflanzen finden würden, wären wir in Mexico. Für einen kleinen Mittagsimbiss besuchen wir einen "Most-Heurigen" auf dem Lande. Hier können die ansässigen Bauern für 2 Wochen im Jahr ihre Scheune öffnen und frischen oder schon etwas vergorenen Most (Apfelsaft) zusammen mit kalten Köstlichkeiten anbieten. Wieder sitzt man an langen Tischen und Bänken zwischen der Scheune und dem Bauernhaus. Es gibt dick beschmierte Schmalzbrote, jungen Ziegenkäse mit Kürbiskernöl und kalt aufgeschnittenen Kümmelbraten. Die vielen Fliegen lassen in uns grad fast heimische, nämlich echt mexikanische, Gefühle aufkommen.



Als wir nach einer Woche mit einigen Kilos mehr auf den Rippen und zufrieden am Wiener Flughafen stehen, merken wir, dass Wien wirklich für jeden Geschmack etwas hat. Neben allen Souvenirshops, Designerkleidern, Alkohol- und Parfumläden, entdecken wir, dass auch Beate Uhse ihren Weg hierher gefunden hat. Welcher Geschäftsmann also vergessen haben sollte, seiner Frau ein kleines Präsent in Wien zu kaufen, kann hier noch schnell ein neckisches Dessous erstehen. Oder er kann sich natürlich anderweitig die Zeit bis zum Abflug vertreiben und etwas in Magazinen und Filmen wühlen. Wien ist immer einen Besuch wert !



Juli 2003



Julia Etter & Martin Kristen