travelog 55






Auf Pflanzensuche - Pachyphytum caesium



In der Erstbeschreibung von Pachyphytum caesium kann man alles ganz genau nachlesen. Wir geben hier also keine Geheimnisse preis, die als Beitrag zur Standortausraubung verstanden werden könnten. Auf einer etwas genaueren Mexikokarte kann man die genannten Ortschaften auch leicht finden. Und man kommt sogar mit einem normalen Auto hin. Bleibt einem nur noch, die Pflanzen auch tatsächlich zu finden !



Nichts einfacher als das, denken wir. Schliesslich haben wir Echeveria cante, die in der Sierra Chapultepec wachsen soll, auch ganz einfach gefunden. Und eine Angabe wie "Sierra Chapultepec" ist ja wohl nicht so arg genau, diese Bergkette zieht sich nämlich über ein paar Kilometer dahin. Da muss es mit einer Angabe wie "gleich nördlich, d.h. ca. 2km nördlich von Presa de los Serna in einer Schlucht, die in die Hochebene eingesunken ist" ja wohl viel einfacher sein. Tönt nicht schlecht, doch weit gefehlt !



Von Tabasco (Zacatecas) nehmen wir die Abkürzung, was auf mexikanisch soviel wie "Brecha" (Pfad) heisst, eine mehr schlechte als rechte Piste, die über einen 2300m hohen Pass nach Aguascalientes hineinführt. Die Sicht ist spektakulär, blattlose Ipomoea schmücken sich mit grossen weissen Blüten, Myrtillokakteen und Pachycereen bevölkern die steilen Berghänge, Burseras werden als Zaunpfähle angepflanzt, und dazwischen gibt es natürlich das übliche Kleingemüse, das uns so interessiert. Hier z.B. eine Villadia painteri, die wir in schattigen Felsen zwischen Moos und Farn entdecken.



Presa de los Serna ist ein kleines Nest. Tatsächlich führt neben der Kirche eine Strasse Richtung Norden aus dem Dorf hinaus. Innert 2 Kilometern haben wir zwar einige interessante Felsen gesehen und auch erkundet, doch besagte Schlucht ist nicht zu finden. Wir fahren weiter und finden weitere Felsen, aber keine richtige Schlucht, die aus der Ebene absinkt. Die Polizisten, die uns etwas verdächtig finden, wie wir so langsam die Strasse entlangtuckern, meinen, wir sollten unser Glück doch in der Barranca gleich am Dorfeingang versuchen. Ein Bauer, der am Rande einer Felswand wohnt, wo sich weiter unten ein kleiner Stausee befindet, kann uns ausser Tillandsien auch nichts Neues zeigen. Eine rote Echeveria, die in besagter Schlucht zusammen mit dem Pachyphytum wachsen soll, hat er hier noch nie gesehen. Was wir schon etwas verdächtig finden, wissen doch normalerweise die ansässigen Bauern sehr gut Bescheid über die lokale Flora und Fauna ! Eine weitere Wanderung zu schattigen Felswänden, wo es sogar noch etwas brackiges Wasser in Pfützen gibt, fördert ausser Tillandsien, Mammillarien und sonstigem (meist fürchterlich kratzendem...) Kleingemüse nichts zutage. Alle Bauern, die wir fragen, haben hier noch nie eine rote Echeveria gesehen. Auch Bilder aus einem Buch helfen nicht weiter. Schliesslich werden wir an einen Mexikaner verwiesen, der die Gegend wie seine Hosentasche kennen soll.



Er muss wohl Vögeln nachstellen, denn im Dorf, wo wir nach dem Häuschen von Señor Rogelio Vargas fragen, fragen uns die Leute sofort, ob wir denn Vögel sammeln würden. Doch auch unser Señor Vargas hat noch nie so eine Pflanze gesehen und meint, die Gegend hier sei wohl zu trocken für sowas. Wir müssten unser Glück schon etwas weiter östlich versuchen. In der Verzweiflung übersehen wir nun die Angabe "nördlich vom Dorf" und suchen die kleine Schlucht gleich am südlichen Dorfeingang nach unseren Pflanzen ab. Es stinkt vertraut und tatsächlich ergiesst sich ein kleiner Wasserfall mit den ganzen Abwässern des Dorfes über die senkrechten Felsen. An anderen Orten haben wir bei solchen wasserreichen Schluchten schon viel Glück gehabt. Doch auch hierher haben sich unsere Pflanzen nicht verirrt. Dem Geruch nach zu urteilen, ist ihnen das auch nicht zu verübeln. Langsam fangen wir an, an der Angabe zu zweifeln, die noch dazu den (bei Botanikern geheiligten) Typstandort bezeichnen soll. Ausserdem wissen wir, dass Charles Glass (ein für Sukkulentenliebhaber kein unbekannter Name) den gleichen Ort schon fünfmal nach diesem Pachypytum abgesucht hat und besagte Schlucht auch nie gefunden hat. Mysteriös, die ganze Sache !



Immerhin gibt es aber noch eine zweite Angabe für einen Ort, der nur ca. 40km weiter nordöstlich gelegen ist. Von Calvillo aus fahren wir in bergiges Gebiet mit tiefen Schluchten und weiten Hochebenen. Eine Piste schraubt sich hinter Milpillas in die Höhe und als erstes entdecken wir eine aussergewöhnlich schöne Form von Agave filifera ssp. schidigera. Grosse Pflanzen mit für diese Art sehr breiten und hübsch markierten Blättern und kurzen, weissen Haaren - die erste Pflanze dieser Art, die der Erstbeschreibungs-Tafel von Lemaire wirklich nahe kommt. Es stellt sich heraus, dass auch die zweite Angabe nicht so ganz eindeutig ist, weil die Schlucht "Agua Zarca" sich über mehrere Kilometer erstreckt und ganz woanders ist, als in der Erstbeschreibung des Pachyphytums beschrieben. Die Leute schauen uns hier sehr schräg an und tauen erst ein wenig auf, als wir sie in Spanisch ansprechen. Sie mögen wohl keine Fremden und schon gar keine Amerikaner, für was sie uns zuerst immer halten. Auch sind alle Tore von Pisten, die zu interessanten Canyons führen könnten, feinsäuberlich mit Schlössern abgeschlossen (was sicherlich früher nicht der Fall war - moderne Zeiten eben !).



Schliesslich finden wir einen Zugang der "herkömmlichen" Art, der zur erwähnten Montoro Ranch führt und treffen da sogar einen freundlichen Nachkommen der Montoros an, der uns herzlich einlädt, zu campieren, wo immer es uns gefällt. Wir fahren durch mindestens 5 Tore auf kleinen Fahrspuren bis nahe an einen Seitencanyon heran und parken bei einem knorrigen Eichenbaum. Auf einem kurzen Erkundungsspaziergang entlang der teils senkrecht abfallenden Felswände entdecken wir viele interessante Pflanzen. Darunter auch das Pachyphytum caesium, das ganz violett gefärbt ist und so in den grauen Felswänden nicht zu übersehen ist. Mit etwas Klettern kann man auf Kuhpfaden bis unten an die Felsen gelangen, wo sich die Pflanzenpolster in greifbarer Nähe befinden. Und sie blühen sogar ! Aber auch die restliche Vegetation lässt sich sehen: eine Echeveria paniculata, von der wir einen frischen Blütenstand finden, der rot ist. Bei einer normalerweise gelb blühenden Pflanze schon etwas seltsam.



Natürlich gibt es noch mehr Crassulaceen: Sedum moranense und Villadia painteri, alles versteckt in Moos und Farn an eher schattigen Stellen. Aber auch hübsche Kakteen wie Mammillaria petterssonii und ein Stenocactus mit wirren "Haaren", die ihn in den gelben Grasbüscheln fast unsichtbar machen. In den Felswänden Ferocactus histrix und ein Echinocereus. Eichenbäume und Juniperus spenden Schatten, aber auch Agave filifera ssp. schidigera und eine Manfreda gedeihen hier. Immer wieder eröffnen sich fantastische Blicke weit in die verschiedenen Canyons hinein, wo die Vegetation schon etwas tropischer aussieht. Alle Versuche, bis tief in den Canyon abzusteigen, enden an diversen Felswänden oder rutschigen Geröllpartien. Auch Martin versucht sich zweimal als Bergziege, muss aber seine Bemühungen, bis an den Canyonboden zu kommen, wegen dichtem (kratzendem) Gestrüpp und allzu steilem Gelände immer wieder aufgeben.



Morgens pfeift ein eiskalter Wind, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt herum keine grosse Einladung zum Wandern. Es verwundert uns schon, dass die Dickblatt-Gewächse (Echeverien, Pachyphyten, Seda etc.) diese eisigen Konditionen aushalten. Jetzt wissen wir auch, warum die ganze Bergkette "Sierra Fría" (die kalten Berge) heisst ! Nach einem weiteren Morgenspaziergang (dick vermummt, versteht sich), bei dem wir in der Nähe unseres Campingplatzes grössere Mengen unserer Pflanzen entdecken und diese noch mit steifen, klammen Fingern mit unserer Digitalkamera ablichten, brechen wir auf: Zurück ins wärmere Tiefland. Schliesslich haben wir ja eine der Pflanzen gefunden, die wir gesucht haben ! Bleibt nur noch, das Rätsel um den geheimnisvollen Typ-Standort bei Presa de los Serna zu lösen !



Januar 2003



Julia Etter & Martin Kristen