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Wie im Film...



Grelles Mündungsfeuer, dann ein Knall. Eine wilde Verfolgungsjagd beginnt, zwei Autos rasen über eine Piste, ziehen eine riesige Staubwolke hinter sich her, der Beifahrer des Verfolgungsautos hängt aus dem Fenster und schiesst wild um sich, bum-bum-bum, ein Einschlag. Ein Actionfilm ? Weit gefehlt !



James Bond, Steven Seagal, Bruce Willis, jeder kennt die Helden von Actionfilmen, die aus rasenden Autos wild um sich schiessen - und natürlich immer treffen. Alles ganz spannend, wenn man es sich auf einer Leinwand ansieht, gemütlich in die Polster zurückgelehnt, mit einem kalten Bier und Nüsschen zum knabbern.



Diesmal wollen wir Euch von unserem persönlichen Actionfilm erzählen:



Auf unserer Reise 'gen Norden (da ja auch unsere halbjährige Aufenthaltsbewilligung Anfang Juli ausläuft) der US-amerikanischen Grenze zu, denken wir, wir können der Küste des mexikanischen Bundesstaates Sonora folgen und auf wenig befahrenen Pisten Caborca erreichen. Ein Teil unseres Weges soll uns durch die Reservation der Seri-Indianer führen, von Bahia Kino ("Kino Bay", eine amerikanische Exklave mit vielen in Sand gebauten Edel-Bungalows) aus nach Norden Richtung Desemboque. Zwei Jahre vorher waren wir schon nahe Desemboque, campten dort in aller Ruhe einige Tage lang an einer einsamen Bucht und hatten nur gute Erinnerungen.



In Miguel Aleman, dem Hauptort der Region, warnen uns Passanten, dass der Weg durch die Seri-Reservation wohl keine sonderlich gute Idee sei, denn jene Indianer seien Fremden nicht sehr gut gesinnt. Doch unsere positiven Erinnerungen lassen uns diese Warnung in den Wind schlagen.



Tags darauf wollen wir die Gegend um Bahia Kino etwas erforschen und fahren an der Küste entlang nach Norden. An einem offenstehenden Tor, das uns anzeigt, dass man Privatgrund betreten würde, fragen wir einen Ortsansässigen, der mit seinem Auto auch da durch will, ob es denn möglich sei, hier weiterzufahren. Es ist ein Angestellter einer kleinen Seafood-Fabrik, der uns auch sogleich vor bewaffneten Überfällen von zwielichtigen Gestalten warnt. Tagsüber seien die schönen Strände nördlich von Bahia Kino zwar einigermassen sicher, übernachten sollen wir dort aber unter keinen Umständen, da die Gegend mehr als unsicher sei und selbst die Einheimischen immer wieder überfallen würden. Die Warnung wird so eindringlich vorgetragen, dass wir sie ernst nehmen. Obwohl die nächste Bucht, in die wir kommen, menschenleer ist und ideal zum campen, kehren wir nach einem kurzen Besuch wieder nach Bahia Kino (in die Zivilisation) zurück und übernachten dort in der Mitte des Dorfes auf einem öffentlichen Parkplatz.



Da Bahia Kino keine sonderlichen Attraktionen bietet, brechen wir am nächsten Tag, es ist der 27. Juni, nach Norden auf. Die Piste ist breit und recht uneben, das Wetter gut und so nehmen wir den Weg durch die Seri-Reservation über Punta Chueca (der "Hauptstadt" der Seris) in Richtung Desemboque in Angriff. Julia fährt langsam und gemütlich. Zum einen Teil, weil wir von der Vegetation etwas sehen wollen und zum anderen, weil das Wellblech der Piste sehr unangenehm ist. Nach rund 6 Kilometern passieren wir ein grosses Schild (mit den üblichen Einschusslöchern), das uns auf dem Hoheitsgebiet der Seri-Indianer begrüsst und Besucher bittet, die Gepflogenheiten der Seri zu respektieren. Ein sicherlich verständliches Anliegen.



Nach einer kleinen Fotopause tuckern wir durch den Hauptort der Seri-Reservation, durch Punta Chueca. Eine Ansammlung von etwa 100 moderneren Hütten, von der mexikanischen Regierung in Reih und Glied aufgestellt (nachdem sei die Indianer unter windigen Vorwänden von ihrer Heimat, der Insel Tuburon, aufs Festland umgesiedelt hat), die Fensterscheiben längst zerbrochen. Ein weithin sichtbarer Wasserturm, ein Fussballfeld mit kleiner Tribüne, staubige Pickups neben einigen Hütten, viel herumliegender Unrat und herumlungernde Jugendliche - das alles in einer fantastischen Szenerie, mit dem azurblauen Wasser der Sea of Cortez und den Umrissen der Isla Tiburon im Hintergrund. Junge Männer heben die Hand und wir grüssen zurück. Ohne anzuhalten passieren wir den Dorfplatz und verlassen den Ort Richtung Norden.



Nach etwa weiteren 3 Kilometern kommen wir zu einer idealen Bucht, die uns so ins Auge sticht, dass wir uns entschliessen, hier etwas nach Muscheln zu suchen. Kaum haben wir PocoLoco, unser Häuschen, geparkt, als schon ein modernerer silbergrauer Pickup hinter uns anhält aus dem zwei Seri-Indianer älteren Semesters aussteigen und auf uns zukommen. Wir begrüssen uns freundlich und wir fragen sie, ob es ihnen etwas ausmachen würde, wenn wir uns hier aufhalten würden. Sie stellen sich vor als die Eigentümer und Wächter dieser Gegend und warnen uns eindringlich vor bewaffneten Überfällen. Wortwörtlich sagen sie: "Mitglieder unserer Gemeinschaft, die dort in unserem Dorf leben, überfallen regelmässig Touristen und rauben sie aus ! Es ist daher keine gute Idee, sich hier aufzuhalten und wir fordern Euch auf, entweder zurück nach Bahia Kino zu fahren oder die Reservation bei Desemboque in Richtung Norden zu verlassen. Auch eine Übernachtung sonstwo auf dem Gebiet der Reservation können wir Euch nicht empfehlen, da die Verbrecher auf frische Reifenspuren achten und Euch sicherlich finden würden, auch wenn man Euch von der Strasse aus nicht sehen kann". So entschliessen wir uns also schweren Herzens, unsere Reise fortzusetzen und brechen in Richtung Desemboque auf.



Rund 500 Meter später hört Julia ein rhythmisch wiederkehrendes Zischgeräusch. Wir halten an und müssen feststellen, dass einer unserer Hinterreifen einen seitlichen, etwa 5 cm langen Riss hat, aus dem bei jeder Umdrehung des Rades Luft entweicht. Na Prost ! Zwar können wir mit unserer Reifendruck-Regelanlage noch den Luftverlust ausgleichen, jedoch 60 Kilometer wollen wir nicht damit fahren. Das Risiko, dass wir den Reifen irgendwo auf der Piste werden wechseln müssen, ist uns zu gross. Also drehen wir um und kehren nach Punta Chueca zurück, wo wir den Reifen in der Mitte des Dorfes wechseln wollen. Kaum haben wir umgedreht, als uns ein weinroter geschlossener Pickup des Typs GMC Jimmy entgegenkommt. Die schwarz getönten Scheiben lassen uns nicht sehen, wieviele Leute in diesem Auto sitzen. Verwundert sind wir nur, dass uns dasselbe Auto kurz vor dem Dorfeingang von Punta Chueca in entgegengesetzter Richtung wieder überholt.



Im Dorf angekommen finden wir niemanden, der willens ist, uns zu helfen. So parken wir also zwischen den Häusern, wimmeln die Frauen ab, die uns irgendwelche Souvenirs verkaufen wollen, halten die neugierigen Kinder auf Distanz (während die Luft deutlich hörbar aus unserem Reifen entweicht) und machen uns in Windeseile daran, unseren Wagenheber vom Dach zu holen und unter die sich langsam senkende Achse zu kriegen. Schnell ist der Ersatzreifen vom Fahrerhausdach abgeseilt, etwas langsamer gewechselt, jedoch nach einer runden Stunde ist es geschafft. Während unserer Arbeit sehen wir unsere Freunde mit dem weinroten Pickup mindestens zweimal wieder. Langsam passieren sie und hier sehen wir, dass es mehrere junge Männer sein müssen, die uns aufmerksam studieren. Diesmal wundern wir uns, woher die Typen das Geld für das teure Benzin haben. Müssen von der Regierung gesponsert sein oder unschuldige Touristen ausrauben, witzeln wir...



Dann verlassen wir Punta Chueca in Richtung Bahia Kino, um anschliessend auf der Teerstrasse im Landesinneren um die Seri Reservation herumzufahren. Auch dieses Mal fährt Julia und auch dieses Mal sehr langsam wegen der schlechten Piste. Wir wundern uns nicht, dass uns auch dieses Mal wieder das weinrote Auto überholt. Zwei Autos kommen uns entgegen und wir nähern uns langsam der Südgrenze der Reservation. Plötzlich überholt uns der weinrote Pickup erneut von hinten, was uns stutzig macht. Sie müssen also irgendwo im Gelände gestanden sein, als wir vorbeifuhren. Wir passieren die Grenze und befinden uns auf mexikanischem Hoheitsgebiet.



Dann sieht Julia links von der Piste das genannte Auto hinter Kakteen geparkt und meint nur: "Da sind ja unsere Freunde schon wieder". Kaum sind wir auf etwa derselben Höhe, da sieht sie einen der Typen auf uns zurennen, hört einen Knall und sieht das Mündungsfeuer. Sie meint nur trocken: "Das darf doch nicht wahr sein ! Die schiessen ja auf uns !" und gibt Vollgas. Da die Piste leicht ansteigt, ist es recht schwierig, mit dem grossen schweren Gefährt auf Touren zu kommen. Das Wellblech ist uns plötzlich mehr als egal und ab einer gewissen Geschwindigkeit wird es richtiggehend ruhig, die Reifen fliegen nur so über die Wellentäler. Und dann sehen wir sie hinter uns. Mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern und blinkenden Warnleuchten zeigen sie uns wohl an, dass wir anhalten sollen. Doch nach den Schüssen haben wir absolut keine Lust, die Typen persönlich kennenzulernen, und versuchen ihnen zu entkommen. Leichter gesagt, als getan ! Schliesslich haben wir auch viel mehr Gewicht zu verschieben. Endlich erreichen wir eine Kuppe und ab da geht es im schnellsten Tempo, das wir vorlegen können, mit rund 90 Sachen, über die Piste. Im Rückspiegel sehen wir, wie sich der Beifahrer aus dem Fenster lehnt und mit einem Gewehr auf uns schiesst. Wir beten darum, dass er nicht den Reifen treffen möge und Julia gibt weiter kräftig Gas. Wir hören einen trockenen Schlag, offensichtlich durch einen Einschuss im Hinterteil unseres armen PocoLoco ausgelöst. Im Zickzack rasen wir Richtung Süden und kommen in immer staubigere Abschnitte. "Silt" nennt man unsere Rettung ! Puderfeiner Staub, der sich wenn man drüberfährt zu einer undurchdringlichen Staubwolke formt, die auch starker Wind nicht so schnell von der Piste bläst. Die Staubfontäne, die wir hinter uns nachziehen, ist kolossal ! Gleichzeitig werden die Längsrinnen auf der Piste tiefer, was zwar kein Problem für unseren Unimog darstellt, was jedoch kleinere Autos in recht grosse Probleme bringen kann. Und darin bleiben die Gauner wohl stecken !



Nach weiteren runden 4 Kilometern erreichen wir Bahia Kino, wo wir sofort die Polizei aufsuchen und Anzeige erstatten. Aufgrund unserer Beschreibung wissen die Herren von der Polizei genau, um welche Typen es sich handeln muss. Da jene Leute sich jedoch in die Reservation zurückziehen würden, die ausserhalb der mexikanischen Rechtssprechung sei, sei es recht schwierig, sie zu fangen. Und die Seri-Polizei, die würde nichts gegen diese Leute unternehmen. So rät uns der Leiter der örtlichen Filiale des Amtes zur Förderung des Tourismus, doch am nächsten Tag die 50 Kilometer zurück nach Miguel Aleman zu fahren und dort offiziell Anzeige zu erstatten, damit etwas unternommen werden könne.



Wir campieren diesmal mitten in der Feriensiedlung, verriegeln alle Türen, verschlingen zwei Tafeln Schokolade und leeren eine halbe Flasche Mezcal, die wir noch im Kühlschrank hatten. Richtig gut und ohne böse Träume schläft man, erst am nächsten Tag plagt einem ein schrecklicher Kater. Immerhin können wir am nächsten Tag beim Kommissariat sitzen, während wir unsere Anzeige aufgeben. Das Büro ist klein, den meisten Platz nehmen Kisten mit Bierflaschen und Säcke mit Dünger ein, die anscheinend konfisziert wurden und nun auf ihre richtigen Besitzer warten. Dazwischen arbeiten die Angestellten, nehmen Anzeigen auf und beantworten Telefonate. Man verspricht uns, dass die Angelegenheit nicht einfach in irgendeiner Schublade verschwinden wird. Wir sind gespannt...



Der Schaden, den unser PocoLoco genommen hat, ist nicht sonderlich gross. Der Erfahrungswert, den wir gewinnen konnten, umso grösser ! 10cm oberhalb des Reifens (auf den die Gauner wohl gezielt hatten) durchschlug ein recht starkes Geschoss eine Plastikplatte, die Aussenhaut mit rund 2cm dickem GFK, zwei etwa 5mm dicke Stahlplatten und verformte dann eine Werkzeugschublade aus Stahl in nicht unbedeutendem Mass. Von dem Projektil (siehe Bild) ist kaum mehr etwas übrig geblieben. Amerikaner, mit denen wir das Geschoss aus dem Hinterteil unseres PocoLoco herausoperierten, meinten, dass es sich wohl nicht um Kaliber 22 (wie uns die mexikanische Polizei sagte), sondern um ein grösseres Kaliber gehandelt haben müsse, damit ein solcher Schaden entstehen würde. Gleichzeitig meinten sie auch, dass es wohl kaum möglich sei, einen unter Druck stehenden Reifen eines sich bewegenden Fahrzeugs so einfach zu durchschiessen. Nun, falls irgendein Leser mehr über solche Themen weiss, würden wir uns freuen, wenn er mit uns Kontakt aufnehmen würde.



So fröhlich sich diese Begebenheit erzählt auch anhört, sie ist es im realen Leben nicht ! Etwas von den Gefühlen und Ängsten, von dem trotzigen Willen zu entkommen, hier rüberzubringen, das ist schwer möglich. Lassen wir es bei diesem Versuch bleiben.



Und trotz dieser Begebenheit wollen wir hier ausdrücklich sagen, dass wir in den 22 Monaten, die wir total in Mexico verbracht haben, nie irgendwelche Probleme mit Kriminalität gehabt hatten, ganz entgegen der v.a. in den USA herrschenden Meinung vom gefährlichen Mexico. Unserer Meinung nach ist Mexico ein Land voll spannender Schönheit und liebenswürdiger Menschen. Die grossen Städte haben sicherlich dieselben Probleme mit Kriminalität wie alle Grossstädte dieser Welt, aber draussen, auf dem Land, wo wir uns normalerweise aufhalten, da leben die einfachen, vertrauenswürdigen und friedliebenden Menschen, mit denen wir uns so gern befassen.



P.S.: Wir entschuldigen uns, dass es in diesem Bericht nur wenig Bilder zu sehen gibt. Wir hatten zur Tatzeit andere Sorgen als Fotos zu schiessen.



P.S. (Oktober 2003): Mit dem Beauftragten zur Förderung des Tourismus stehen wir immer noch in Kontakt und er hat uns versichert, dass die richtigen Uebeltäter in Hermsosillo für längere Zeit hinter Gittern sitzen.



Juli 2002



Julia Etter & Martin Kristen