travelog 5



Famous Route 66



Hier sind wir wieder mit unserem neusten Bericht von der amerikanischen Front. Dieses Mal aus dem nordwestlichen Arizona, von der weltbekannten Route 66.



Die Route 66, einst DIE Strecke quer durch die Vereinigten Staaten, auf der man von Chicago bis nach Los Angeles durchfahren konnte. Die Strecke, die bei vielen Leuten nostalgische Gedanken aufkommen lässt an James Dean oder John Steinbeck...



Wir gehen eines der letzten noch verbliebenen Teilstücke dieser sagenumwobenen Strasse mit unserem PocoLoco an - in "Golden Shores", einem verschlafenen Kaff mit etwas angestaubter Tankstelle und gegen 20 Häusern. Da die Strasse mehr schlecht als recht unterhalten wird (es werden nur die nötigsten Reparaturen durchgeführt), rumpeln wir gegen Nordosten, den Black Mountains entgegen. An einem kleinen geschotterten Parkplatz informiert eine Tafel über den weiteren Verlauf dieser "National Historic Route" und dieses "Scenic Byways".



Ein vorbeifahrender National Forest-Ranger packt die Gelegenheit am Schopf, unser Fahrzeug von allen Seiten zu begutachten - er fährt einfach langsam drumherum...



Ein völlig von Schüssen durchlöchertes Autowrack mahnt uns an die Gefahren des Wilden Westens. Wir jedoch sehen dem Tod wacker ins Auge und fahren weiter !



Die Berge kommen näher, die Strasse wird zusehends enger und steiler. Immer wieder machen Schilder darauf aufmerksam, dass es verboten sei, die Strasse mit Fahrzeugen über 30 Fuss Länge zu befahren - dafür begegnen uns dauernd riesige Ami-Wohnmobile (von uns "Schlachtschiffe - Battleships" genannt), bei denen schlauerweise das normalerweise mitgezogene Auto abgekoppelt voraus- oder hinten nachfährt (mal kommt auch Muttern zum Einsatz !). Allesamt natürlich über 30 Fuss lang, aber wen stört das denn auch in diesem Lande ?!



Bald kündigen grosse Schilder die Ortschaft OATMAN an. Es sei eine der am besten erhaltenen Goldgräber-Siedlungen des Wilden Westens, bei "Cactus Joe" könne man jederzeit Klapperschlangen vom Grill, gedünstet, gebraten oder eingepökelt geniessen und ähnlich marktschreierische Werbetafeln säumen den Weg. Wir stellen unser Vehikel am Dorfeingang auf einem Gratis-Parkplatz ab (ein Glück, wie wir später feststellen, denn auf allen anderen Parkplätzen sind die Geldeintreiber am Werke !).



Von den Goldgräber-Zeiten ist nicht mehr viel übrig geblieben, ausser vielleicht der Spürsinn, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu scheffeln - heute werden dafür Touristen ausgenommen, "a tourist trap" nennt sich sowas dann. Für die wilden Esel, die sich gerne streicheln lassen, kann man Karotten kaufen, und natürlich gibt es die üblichen T-Shirts, bemalten Gläser und Aschenbecher, Wild-West-Kochbücher, Tabascosaucen, Postkarten und Kitsch, Kitsch, Kitsch. Nach drei Geschäften kennt man das Angebot und wir gehen auf die Suche nach einem Fresstempel - und landen in einer hergerichteten Spelunke mit Fellen an den Wänden und Hirschgeweihen an der Balustrade. Zuerst bestellt man ein Bier, dann entscheidet man sich für etwas Essbares. Eine geschickte Art, Geld zu verdienen, wie wir feststellen, v.a. dann, wenn die Hälfte der Karte gerade ausgegangen ist ! Wir könnten aber sonst "alles" haben, was soviel bedeutet wie Hamburger oder Hotdogs... So trinken wir also nur das Bier und suchen fluchtartig das Weite, als der Barde des Ortes gerade anfängt, von den guten alten Zeiten zu singen. Am Ende landen wir beim Italiener (!) und Onion Rings. Hier hackt ein Faktotum gekonnt auf seinem Seemannsklavier herum und gegen Geld kann man sich sogar seinen Lieblingssong wünschen. Wir sind aber v.a. fasziniert von all den "Bikern" in ihrer tollen Kluft: Lederhosen mit Fransen, die nur den knackigen Hintern und die potente Männlichkeit (in Jeans) freilassen (und sowas im prüden Amerika...), Lederdecolletés für Frauen und dazu das passende Tüchlein, wenn geht als Amiflagge, à la Pirat um den Kopf gebunden.



Die Krönung unseres Besuches aber ist die abschliessende Fotosession. Sonntags, wir haben uns genau den richtigen Tag ausgesucht, findet zweimal täglich eine "Gun Show" statt und so fotografiert einer von uns den anderen im fahrenden Unimog ausgerechnet zwei Minuten bevor die Schiesserei losgeht. Natürlich ist die Strasse gesäumt von Menschen - die früher bei einer echten Schiesserei höchstens das Weite gesucht hätten. Langsam durch ein fotografierendes Menschenspalier tuckernd verlassen wir Oatman mit der Gewissheit, wieder einmal etwas für den Umsatz der Filmproduzenten getan zu haben.



Einen Kilometer nach Oatman bergwärts wird's ruhig, man fährt durch richtig tolle Kakteengärten mit Millionen von Chollas (kleine strahlend gelbe "Bäumchen"), die die Hänge säumen, und kommt an einer Goldmine vorbei, die von echt bewaffneten Guards bewacht wird und deren Stacheldrahtverhau nicht gerade einladend aussieht.



Kurz darauf erreichen wir auf einer steilen Serpentinenstrecke den Sitgreave Pass, von dem man eine phänomenale Sicht in den Osten und den Westen Nordarizonas hat. Hier muss gerastet werden, nicht nur um dem Unimog ein wenig Zeit zum Verschnaufen zu geben (Kühlwassertemperatur abkühlen), sondern auch um eine Pflanze zu suchen, deren Typstandort dieser Pass sein soll. Natürlich finden wir sie auf Anhieb nicht. So beschliessen wir, auf einem kleinen (geraden !) Plateau neben der sich auf der östlichen Bergseite hinabwindenden Route 66 zu übernachten. Wir stehen da wie auf einem Präsentierteller und merken auch bald, dass das nicht nur den Vorteil der phänomenalen Weitsicht sondern auch Nachteile hat. Jedenfalls meinen einige vorbeifahrende 4x4-Freaks, sie müssten einen kurzen Abstecher auf dieses Plateau machen (natürlich nicht, um die Aussicht zu geniessen, weit gefehlt !) und so geht die Knipserei eben in einem etwas geringeren Mass weiter. Störender sind da die Horden mit den grossen, laut knatternden Motorrädern (je lauter, desto stolzer sind sie drauf), von denen die Berghänge angenehm donnernd widerhallen. Zwar tragen die meisten irgendwelche Brillen, aber sind natürlich ohne Helm (nur das ist cool). Mehr als einmal fragen wir uns, wie sie wohl aussehen würden, wenn sie mal von ihrer Maschine fallen sollten oder geschleudert würden...



Da Martin einen etwas lädierten linken Fuss (in Rekonvaleszenz !) hat, steigt eben Julia in den späten Sonnenstrahlen durch die etwas steilen, steinigen Hänge und entdeckt auch tatsächlich die gesuchte Pflanze - meist unter Büschen hübsch versteckt wachsend. Die meisten alten Blütenstände jedoch, an denen man Agaven normalerweise über grosse Entfernungen leicht mit dem Fernglas entdeckt, scheinen von den hier lebenden verwilderten Esel abgefressen worden zu sein.



Während des Herumkletterns entdeckt Julia aber einige interessant aussehende Steine, die sie zum Fahrzeug zurücknimmt, um sie Martin zu zeigen. Wir beschliessen, am nächsten Morgen die Hänge näher unter die Lupe zu nehmen und ein paar Steine zu sammeln. Es sind Chalzedonplatten mit teilweise roten Blasen (hier Feuer-Achat genannt). Wir finden auch ausnehmend schöne und grosse Stücke (eine Meile bergab kommen wir später an einem grossen Schild vorbei, dass es hier nicht erlaubt sei, Steine zu sammeln - da Privatgrund - zu spät, zu spät !) und bedauern einmal mehr, nicht alles mitnehmen zu können. So muss Martin nach einer Putz- und Waschaktion die schönsten Steine raussuchen, von denen wir zwei in einem Bild zeigen.



Nach ein paar Serpentinen kommen wir an Ed's Camp vorbei, eine Ansammlung von Wellblechhütten, deren Vorgärten verziert sind mit edlem Schrott. Dann läuft die Route 66 schnurgerade aus in eine weite schier endlose Ebene, an deren Ende man wieder auf einen obligaten Interstate (Autobahn) trifft, wo sogar den Fahrradfahrern erlaubt wird, auf dem Pannenstreifen zu fahren, da es keine anderen Verkehrsverbindungen mehr gibt.



Soweit aus einer etwas nostalgischeren Ecke Arizonas...



April 1998



Julia Etter & Martin Kristen