travelog 44






Zona del Silencio



Motorengeräusch, dann Gejohle aus einem grossen grünen Mercedes Bus. Und das alles in der Zona del Silencio, der Region der Stille. Aus dem Bus quellen 12 Menschen, FotografiestudentInnen aus Durango mit ihrem "Profe" (Professor), dem "Capo" (Fahrer) und einem weiteren stillen Helfer. Sofort wird uns Bier angeboten, schliesslich sollen wir auch schnell so fröhlich und laut wie sie werden. Kurz zuvor war noch alles ganz anders:



Absolute Stille, göttliche Ruhe, ein leiser Wind, dunkelblauer Himmel, so weit das Auge reicht, wunderschöne Agaven (Agave asperrima ssp. asperrima), die wir in aller Ruhe fotografieren wollen.



Auf unserem ersten Trip in die Zona del Silencio, im April 2000, hatte es ungewöhnlicherweise vorher geregnet und ein ansonsten völlig trockenes Flussbett war ein Schlammloch sondergleichen, wo schon einige vor uns mit ihren Autos geübt hatten. Die tiefen Spuren im Schlamm sprachen für sich und so campierten wir eben etwas ausserhalb der richtigen Zona del Silencio. Wie wir später erfuhren, können diese Schlammlöcher dann auch nur noch mit Traktoren bewältigt werden.



Unser zweiter Trip ist da von mehr Erfolg gekrönt. Keine Wolke in Sicht, kein Regen gefallen seit Monaten, alles knochentrocken, staubig. Das bekommt man zu spüren, kaum gerät man ins Pistengewirr, das durch die endlosen Ebenen führt. Hier sucht man sich die beste Spur aus, die aber alle gleich staubig sind. Dann drückt man kräftig aufs Gas, um dem hauchfeinen Staub davonzufahren, und zieht eine lange Staubfahne hinter sich her. So geht es über Kilometer, bis man auf einen Hügel fährt, wo ein verlassenes kleines Rancho steht. In der Lastwagenkabine haben sich grosse Spinnen angesiedelt, im Sitzpolster wohnt eine Packrat, in einem rostigen Topf serbelt eine Aloe vera vor sich hin, ein verblasstes Coca Cola Schild zeugt von besseren Zeiten. Etwas später kommen wir zu einer Weggabelung, an der die Forschungsstation der "Reserva de la Biosfera" mit einem Schild angekündigt wird. Wir entschliessen uns, dorthin zu fahren, um uns mit den Leuten etwas zu unterhalten. Bei unserem Besuch sind allerdings alle Bewohner ausgeflogen. Und die Señora, die das Haus bewacht, versteckt sich vor fremden Leuten hinter den hohen Mauern. So können wir nur die Javelinas in einem Gehege bestaunen, die gerade Besuch von einem Truthahngeier bekommen haben.



Hier in der Nähe treffen wir auch auf die fröhliche Bande aus Durango. Wir beschliessen, zusammen mit ihnen weiterzuziehen, u.a. weil uns der Fahrer von einem Berg mit interessanten Pflanzen erzählt, den sie besteigen wollen. Natürlich muss erst der Sonnenuntergang fotografiert werden, dann wird gewartet, bis sich der Himmel rosarot färbt, und bis alle wieder auf dem Dach sitzen, ist es auch schon fast dunkel. So rasen wir wie die Wilden (PocoLoco eben) hinter dem Mercedes her, der den Weg sichtlich kennt. Er findet jede Abzweigung, jede Querspange, jede Abkürzung und wir wundern uns, wie wir bei Tageslicht je wieder aus diesem Pistenwirrwarr herausfinden sollen. Schliesslich hat auch die Mannschaft im Mercedes genug von der Rüttelpiste und wir schlagen das Lager im Nirgendwo auf. Als erstes wird ein Lagerfeuer entfacht und Kaffeewasser aufgesetzt. Dann macht die Mezcal-Flasche die Runde, die letzten kalten Bierdosen werden geköpft und über dem Feuer werden Tacos gebraten. Unter einem wunderschönen Sternenhimmel sitzen wir bis lange in die Nacht und tauschen Geschichten aus.



Am nächsten Tag können wir uns den FotografInnen anschliessen. Mit dem Bus fahren wir zuerst bis zur wirklichen Zona del Silencio, bis dorthin nämlich, wo ein Schild uns anzeigt, dass wir es geschafft haben. Laut Reiseführer soll es hier von Meteoriten wimmeln, u.a. ein Grund, weshalb wir hierher gefahren sind. Laut Fahrer (und Buch über Meteoriten) ist das alles erfunden und erlogen. Der grosse Meteorit von Allende ist in der Nähe von Parral niedergegangen, dort können auch heute noch Splitter gefunden werden. Trotzdem suchen wir nach Steinen und werden auch fündig - vielleicht sind es ja doch Meteoriten, möglich ist es alleweil. Vor einem ausgeschwemmten Flussbett ist die Piste zu Ende, wenigstens für den Mercedes Bus (Unimog sollte man haben...). Wir schultern die Rucksäcke und wandern auf einen nahen Cerro. Kaum erreichen wir die ersten Ausläufer des Berges, wird die Vegetation interessant. Im Kalkboden entdecken wir Ariocarpus fissuratus (der falsche Peyote, wie ihn die Mexikaner nennen), der ganz im trockenen Boden eingesunken ist und deshalb auch leicht übersehen wird. Daneben blüht eine kleine Mammillaria (M. lasiacantha ssp. egregia). Natürlich gibt es weitere interessante Kakteen, auch Agaven, Hechtien und Yuccas, doch wir wollen Euch ja nicht mit allzu vielen Namen auf den Geist gehen. Wir steigen bis ganz oben auf den Berg hinauf, denn dort soll auch der richtige Peyote (Lophophora williamsii) vorkommen. Wir glauben nicht so recht daran, bis wir plötzlich die blaugrünen bis blassvioletten fleischigen Kakteen in den Ritzen zwischen flachen Kalksteinplatten entdecken. Kaum hat man einen Peyote entdeckt, springen einem die anderen sofort ins Auge. Natürlich müssen unsere StudentInnen sofort einige Pflanzen auseinanderschneiden und essen. "High" macht sie später nur der Tequila und der hausgemachte Mezcal... Auf dem Rückweg können wir dann noch Bilder von einem Roundtail Horned Lizard schiessen, der hier in Mexico Chamäleon heisst. Und wirklich vertraut das kleine Tier auf seine perfekte farbliche Tarnung und sitzt ganz still, während wir mit den Kameras immer näher kriechen.



Die Gruppe aus Durango verabschiedet sich am nächsten Tag. Wir bleiben noch länger und erkunden die vielen kleinen Pisten. Kennt man einige der markanten Landschaftspunkte wie die höheren Hügel, kann man sich eigentlich gar nicht mehr verirren. Obwohl die Zona eigentlich extrem trocken und unwirtlich ist, gibt es hier doch noch einiges an menschlichem Leben. Wenige Ranchos leben von der Viehzucht - allerdings kann man auch schon mal über ein Marihuanafeld stolpern, das hier bestimmt niemand vermuten würde. Weiter östlich gibt es sogar ein Salzabbaugebiet, wo Salz eines urtümlichen Meeres abgebaut wird. Immer wieder fährt man an künstlichen Seen vorbei, Wasserstellen für die Kühe, die allerdings auch von einheimischen Tieren wie Rehen, Javelinas und mehr besucht werden. Gefällt es einem irgendwo, schlägt man sich etwas in die Büsche, sucht sich sein Opuntienholz für's Lagerfeuer, und lauscht abends unter einem funkelnden Sternenhimmel einer Eule, die in den nahen Felsen wohnt. Obwohl diese Wüste sehr unwirtlich und spärlich bewachsen aussieht, trifft man immer wieder auf spannende Pflanzen. Je mehr man herumsteigt, desto mehr entdeckt man auch. Die Berge und Abhänge sind oft sehr steinig, dafür bekommen sie auch etwas mehr Wasser ab und sind deshalb dichter mit Vegetation bedeckt. In den sandigen Ebenen ist der Creosote-Busch landschaftsprägend, der auch von den Leuten der Forschungsstation untersucht wird.



Kaum hat man die friedliche und fast menschenleere Zona del Silencio verlassen, kommt man auf die Autobahn und später unvermeidlich in eine Grossstadt, wo man seine Vorräte wieder auffüllen kann. Das wollen auch wir tun, decken uns in einem grossen Supermarkt ein, grüssen zwei Polizisten, die auf dem Parkplatz neugierig um unser Auto herumfahren, und verlassen die Stadt Richtung Osten. Da plötzlich haben wir ein Polizeiauto neben uns, der Beifahrer winkt uns auf die Seite, die beiden Herren steigen mit ihrem kleinen Büchlein aus. Es sind die gleichen beiden freundlich winkenden Beamten, die wir auf oben genanntem Parkplatz gegrüsst hatten ! Diesmal schauen sie nicht mehr so freundlich und verkünden, dass sie uns eine Strafzettel verpassen müssen. Wir hätten ein Stopschild überfahren und einem anderen Auto den Weg abgeschnitten. Wir jedoch können uns weder an ein Stopschild (die wir eigentlich immer beachten, meist als einzige Autofahrer in Mexico, denn wir sind uns bewusst, dass dies die Fallen sind, in denen die Touristen normalerweise hier gefangen werden), noch an ein anderes Auto erinnern (wirklich nicht ! das hat nichts mit "Alzi" oder anderen Alterserscheinungen zu tun !), und bestreiten deshalb mal alle Vorwürfe. Schliesslich wollen wir uns die Namen und Nummern der Polizisten aufschreiben, was sie uns verweigern. Dann einigen wir uns darauf, mit ihnen gemeinsam auf den Posten zu fahren, wo die Sache geregelt werden soll. Sie steigen ein, fahren mit quietschenden Reifen los, und verschwinden auf nimmerwiedersehen !



Mit gefüllten Kühlschränken und um eine Erfahrung reicher, verschwinden wir möglichst schnell wieder in einsamere Gegenden.



P.S. Die Touren von unserem "Capo" Walter Bishop koennen uebrigens unter www.aventurapantera.com.mx nachgeschaut werden. Falls jemand von Euch mal eine spezielle Tour in Mexico plant, diese Adresse kann da Gold wert sein !



Januar 2002



Julia Etter & Martin Kristen