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Lowfat & Fatfree



Der erste Eindruck von Amerika ist: GROSS. Alles ist grösser als in Europa, die Städte, die Häuser, die Autos, die Strassen, die Einkaufszentren, die Menschen ("gross" ist hier jedoch stellvertretend für "breit" gemeint...). An Grossstädte kann man sich gewöhnen, an Hochhäuser ebenfalls, unser Auto ist auch nicht gerade klein, und mit einer guten Strassenkarte findet man auch durch den schlimmsten Strassendschungel. Die Einkaufszentren erstaunen uns aber immer von neuem. Genauso wie wir uns nie an den vielen dicken (und wir meinen richtig fetten, nicht nur europäisch dicken) Menschen sattsehen können. Sowas darf man zwar kaum mehr sagen, ohne gleich wegen Diskriminierung oder sonstwas verklagt zu werden, trotzdem wollen wir Euch hier einmal einen kleinen intimen Einblick in die Supermärkte, Restaurants und überhaupt die Ernährungsgewohnheiten der Amerikaner geben.



Eine Einkaufstour in einem amerikanischen Supermarkt ist jedesmal ein Erlebnis für sich ! Die meisten Städte verfügen über mehrere Supermarkt-Ketten, die an strategisch günstigen Orten, sprich Ortsein- und -ausfahrten, wie Pilze aus dem Boden schiessen. Richtig auf dem Land kann es einem dann schon passieren, dass man nur an der Tankstelle ein paar Dosen und Chips bekommt, weil die Dorfbewohner es vorziehen, ihren Einkauf alle paar Wochen in der 200km entfernten grösseren Stadt zu tätigen. In Yuppie-Orten und anderen In-Zentren findet man ab und an sogar einen Wochenmarkt oder einen Naturkostladen. Betritt man aber einen der richtigen Konsumtempel, wird man überwältigt von der Grösse und v.a. von der Auswahl, die sich einem bietet. Man fragt sich unweigerlich, wer denn das alles essen soll...



Zig Gestelle reihen sich aneinander, von vorne bis hinten vollgepackt mit Lebensmitteln. Spaghetti als Beispiel gibt es nicht nur von zwei Herstellern, nein, man wühlt sich durch zig Hersteller hindurch, bis man das passende Produkt gefunden hat. Um den Ueberblick nicht ganz zu verlieren, wird einem auf einem Zettelchen mitgeteilt, was 100g Spaghetti eines Herstellers kosten. So kann man sich viel lästige Kopfrechnerei ersparen. Einen grossen Bereich nehmen die Tiefkühlschränke ein mit unendlichen Möglichkeiten von Fertigmahlzeiten, Snacks, Pizzas, etc. Gleich daneben befinden sich die Regale mit den Dosensuppen, Dosenfleisch, Dosengemüse, Dosenfrüchten und Dosenwürstchen. Frisches Gemüse und Früchte glänzen unnatürlich und werden in kurzen Abständen beregnet. Für Neulinge immer wieder eine Ueberraschung, wenn aus einem Lautsprecher plötzlich Donnergrollen erklingt und man danach mit Wasser bespritzt wird, wenn man sich ausgerechnet dann einen Salatkopf aussuchen will. Sogar Medikamente, in Europa oft nur mit Rezept oder in einer Apotheke erhältlich, gibt es hier im Gestell - die meistverkauften Pharmaka bequem in Griff- und Augenhöhe.



Der Broteinkauf gestaltet sich besonders für Europäer schwierig, weil wir knuspriges Brot gewohnt sind. Hier wird Brot entwickelt, das möglichst wenig Kruste hat - und das wenige, was noch als "Kruste" zu erkennen ist, schneiden viele Leute ab, weil es ihnen zu hart ist. "Wonder Bread" ist z.B. eine Marke, die man nicht so schnell vergisst. Einen Laib von 30cm Länge, natürlich vorgeschnitten, kann man ohne Gewaltanwendung auf 5cm zusammendrücken (vielleicht lässt es sich so bequemer transportieren...), so gummig ist das Zeugs. Schwarzwälderbrot, von dem naive Schweizer denken, dass es in Anlehnung an den Schwarzwald und dunkles deutsches Vollkornbrot so benannt wurde, entpuppt sich als ein süsses Gummibrot, das wohl eher nach der Schwarzwäldertorte benannt wurde. Hat man dennoch mal das Glück und findet frisch gebackenes und knuspriges Brot, dann wird es bestimmt vorgeschnitten und in Plastik eingepackt. Erst so langsam gibt es in einigen Supermärkten Gestelle, wo man aus einer kleinen Auswahl knusprigen Brotes selber aussuchen kann - sogar Papiertüten gibt es zum verpacken.



Wurstwaren und echten Käse sucht man meistens vergebens. In den Delikatessenabteilungen, sprich Kühltruhen mit importierten Lebensmitteln, kann man zwar zu horrenden Preisen zu jungen Brie oder Camembert, italienische Salami (in Kanada hergestellt), Mortadella, oder Schweizer Gruyère und Emmentaler finden, doch diese Produkte wurden speziell für den amerikanischen Markt hergestellt und sind lange nicht so schmackhaft wie das Original. Auch hier wird mit Vorliebe alles vorgeschnitten und vakuumverpackt, der Hygiene wegen, was die meisten Käse bekanntlich nicht sonderlich mögen.



Die grösste Überraschung erlebt man aber bei den Milchprodukten. Echte Butter fristet ein Aussenseiterdasein in einer Ecke der Kühltruhe, dafür gibt es 'zig Varianten von Margarine und Pseudo-Butter, die laut Werbung alle wie das Original schmecken sollen, nur natürlich viel gesünder sind. Käse wird in grossen quadratischen Blöcken verkauft, das Farbspektrum variiert zwischen gelb und dunkelorange, der Geschmack wird durch Pfefferkörner, Kümmel oder Chilischoten erzeugt, gleicht aber dennoch nur Gummi. Joghurt gibt es in allen Geschmacksrichtungen, nur leider sind sie alle "lowfat", "fatfree", "nonfat", "2% fat" oder "light" und schmecken nach gar nichts - oder identisch. In Europa ist der Trend zu "light" Produkten ja auch bekannt, doch hier ist es wie eine Seuche ! Da wundert man sich dann doch ein wenig, weshalb trotzdem so viele Leute viel zu fett sind...



Mit einem Cholesterinproblem kämpft hier praktisch jeder, sei es auch nur ein von den Medien eingeredetes. Nun verzichtet man also auf alles Fett, benützt nur Substitute, kann dafür aber mehr essen. Pommes Chips gibt es fettfrei, Truthahn steht hoch im Kurs, Eiscreme ist fettfrei, Kekse gesund, .............Was dabei vergessen wird ist der Zucker - kein Wunder ist mindestens die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung übergewichtig.



Der Gang zur Kasse hält weitere Ueberraschungen bereit. Der Kunde ist hier wirklich König und muss deshalb seine Einkäufe nicht selber einpacken, geschweige denn seine eigenen Tüten oder Körbe mitbringen. Plastiktüten gibt es hier im Ueberfluss, man darf richtig verschwenderisch damit umgehen, sie sind gratis. Eier kommen deshalb bevorzugt separat in eine Plastiktüte. Fleisch wird doppelt verpackt, sicherheitshalber. Toilettenpapier bekommt eine eigene Plastiktüte. Wenn man Lebensmittel und eine Zahnpasta kauft, wird die Zahnpasta in einer separaten Plastiktüte verpackt. Jede Weinflasche wird einzeln in eine Papiertüte gesteckt, dann in zwei Plastiktüten. Die Papiertüte verhindert, dass andere Leute sehen können, dass man Alkohol gekauft hat. In einigen Staaten ist die Papiertüte vom Gesetz her vorgeschrieben, da nützen alle Argumente mit Verpackungswahnsinn und Umweltschutz nichts. Und bei der 24/7-Mentalität (24 Stunden und 7 Tage die Woche geöffnet) muss man aufpassen, dass man nicht aus Versehen an einem Sonntag vor 12 Uhr mittags Alkohol einkaufen will, das ist nämlich vom Gesetz her auch verboten. Und wenn es ein Verkäufer besonders genau nimmt, kann es schon mal vorkommen, dass man einen Ausweis zeigen muss, um zu beweisen, dass man wirklich schon 21 Lenze zählt. Wer sich nun wundert, ob es hier drüben deshalb weniger Alkoholiker gibt, dem dürfen wir getrost vermelden, dass diese Strategie auch keinen grossen Erfolg hat.



Restaurants sind ein anderes Highlight in Amerika. Surf & Turf, was soviel heisst wie Steak & Lobster, sind der absolute Luxus. Mexikanisch ist amerikanisiert. Chinesisch schwimmt alles in der gleichen Sauce. Schweizerisch wird mit Käse überbacken. Allgegenwärtig sind Hamburger in allen erdenklichen Variationen. Fastfood- Ketten wie McDonalds, Burger King (auch bekannt unter dem Namen Murder King, zu deutsch Mörder König), Pizza Hut, Arby's, Subway Sandwiches, Schlotzky's Deli (klingt schon appetitlich...), Boston Buffet, und viele mehr, bieten billiges ungesundes Essen, das einen hungrig und mit aufgeblähtem Bauch zurücklässt. Am Mittagsbuffet bei Pizza Hut häuft man sich den Teller voll, bis die Pizzatürme einzustürzen drohen. Bei McDonalds ist der "Drive-through"-Schalter bis weit nach Mitternacht besetzt. Beim Boston Buffet wird einem eine dicke weisse Salatsauce als echt italienisch verkauft. Und überall auf den Tischen stehen die Reliquien der amerikanischen Küche: Ketchup und giftiggelber Senf - Mahlzeit !



Zum Trinken bestellt man sich einen Eistee, der meistens aus mehr Eis als Tee besteht. Oder Cola und Verwandtschaft. Eine wirklich tolle Erfindung auf diesem Sektor (wir wollen ja auch mal etwas positives vermelden !) ist der "refill": Man bezahlt für ein Getränk und kann sich sein Glas, sooft man will, nachfüllen lassen. Das gilt auch für Kaffee, der jedoch immer noch nur an den Film "Out of Rosenheim" erinnert, wo Marianne Sägebrecht im Bagdad Cafe ganz entsetzt vermeldet, dass dies ja "brown water" (braunes Wasser) sei.



Und wenn wir schon bei den positiven Dingen sind, muss natürlich auch angefügt werden, dass RaucherInnen hier ein Ausgestossenendasein fristen. Restaurants sind normalerweise rauchfrei, wenn es trotzdem eine Raucherecke gibt, ist sie extrem gut belüftet, so dass NichtraucherInnen nicht belästigt werden. An dieses rauchfreie Dasein gewöhnt man sich extrem schnell, umso schlimmer trifft es einen, wenn man zurück nach Europa fliegt, wo einem jedes Essen, jeder Kaffee in einem Lokal durch den allgegenwärtigen Rauch vermiest werden und wo man sich nach dem Ausgang am besten inklusive Kleider in die Waschmaschine steckt, um den kalten Rauch aus den Kleidern und vom Körper zu bringen. In den USA verziehen sich nicht die Nichtraucher, um nicht vom Rauch belästigt zu werden. Hier verziehen sich die Raucher, freiwillig, um nicht die Nichtraucher zu belästigen (und nicht zu risikieren, dass sie von einem militanten Nichtraucher für Unsummen verklagt werden) !



Alles, was man von seiner meist zu grossen Portion nicht verdrücken kann, darf man in einem Styroporbehälter mit nach Hause nehmen. Der "doggie-bag" ist hier eine ganz normale Sache und keiner schaut einem schief an oder denkt sich, dass man zu den Bedürftigen gehört. Den Behälter stellt man am nächsten Tag einfach in die Mikrowelle und fertig ist die schnelle Mahlzeit.



Wenn man mal keine Zeit für einen Restaurantbesuch hat, fährt man einfach mit dem Auto an einem Schalter vorbei und sucht sich von einer riesigen Tafel einige Leckereien aus. Damit fährt man gleich weiter und verliert keine Zeit mit gemütlichem Hinsitzen, weil man alles während der Fahrt erledigen kann.



Ueberhaupt muss man sich hier relativ wenig bewegen, wenn man mal hinter alle Tricks gekommen ist. Bei der Post fährt man in einer speziellen Spur an Briefkästen vorbei, die sich auf Autofensterhöhe befinden. Bei der Bank holt man sich so sein Geld. Sogar Telefone gibt es, die mit einem kleinen Regendach versehen genau auf Autofensterhöhe angebracht sind - unschuldige Europäer wundern sich dann, weshalb sie sich zum telefonieren so verkrüppeln müssen. Auch die Friedhöfe sind oft praktisch angelegt, so dass man mit dem Auto bis zu der Reihe vorfahren kann, wo der geliebte Verstorbene begraben liegt. Sogar Alkohol kann man am "Schalter" kaufen, obwohl dies eher umstritten ist, weil man ja bekannterweise am Steuer nicht trinken soll.



Unsere Ueberzeugung ist es, dass die Leute hier so fett sind, weil sie zuviel Ungesundes und generell zu viel fressen, und zusätzlich auch keine Bewegung bekommen. Trotzdem gibt es immer noch Leute, die fest daran glauben, dass die Regierung irgendwelche Zusätze ins Essen mischt, die einem dick machen. Meist sind dies Menschen, die gerne als Snack eine Packung fettige Chips verschlingen und den Tag am liebsten in einem bequemen Sessel verbringen.



November 2001



Julia Etter & Martin Kristen