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Von Indianern und Galerien



Eine kurze Reise durch New Mexico ist eine Reise zurück in die Vergangenheit. Vor Tausenden von Jahren zogen hier nomadische Indianer herum, sie liessen sich nieder, bauten Siedlungen und hinterliessen Gebäude, von denen heute noch gerätselt wird, weshalb genau sie an bestimmten Stellen gebaut (und später verlassen) wurden.



Chaco Canyon ist einer dieser Orte. Im Sommer erreichen die Temperaturen schier unerträgliche Höhen, im Winter sacken sie ins Bodenlose. Den Canyon kann man heute nur über Pisten erreichen, auf denen man manchmal tagelang keinem anderen Auto begegnet. Die Landschaft ist endlos weit, von massiven Hochplateaus gekennzeichnet, die von wenigen trockenen Wasserläufen oder kleinen Canyons durchbrochen werden. Eine Gegend mit unendlichem blauem Himmel, kristallklarer Luft und einer unerbittlich sengenden Sonne, die auch noch im November viel Kraft hat. Chaco Canyon hat vor 1000 Jahren anscheinend nicht viel anders ausgesehen, sprich', die Gegend war genauso trocken wie sie auch heute ist. Und genau hierher haben die Indianer riesige Siedlungen hingebaut, die auch heute noch sehr gut erhalten sind. Das Holz musste kilometerweit herangeschleppt werden. Wasser wurde nach heftigen Regenfällen in Rinnen aufgefangen, die von den Canyonwänden ins Tal führten. Die einen meinen zu Gärten, die anderen behaupten zu Bauplätzen, wo frischer Mörtel gemischt wurde.



Die eindrucksvollste Siedlung ist hier wohl Pueblo Bonito, von dem heute noch 4-stöckige Gebäude sichtbar sind und das aus ca. 600-800 meist kleinen Räumen besteht. Die Grösse des gesamten Komplexes wird einem aber erst bewusst, wenn man durch einen gerade mal menschenbreiten Einschnitt in der Felswand auf die Mesa hinaufklettert, von der man einen herrlichen Blick auf verschiedene der alten Siedlungen hat. Auf kleinen Trampelpfaden kann man durch Pueblo Bonito hindurchwandern und die wunderschön gemauerten Mauern bestaunen. Die Steine wurden nicht einfach aufeinandergeschichtet, nein, je nach Bauphase wurden richtige Muster damit gezaubert. Langjährige Untersuchungen haben gezeigt, dass Pueblo Bonito (sowie auch alle anderen Siedlungen im Chaco Canyon) nach Sonne und Mond (letzteres einzigartig auf der Welt) ausgerichtet wurde. Sonnenwenden, Tagundnachtgleichen, etc., alles wurde in die Konstruktion miteinbezogen. Die Grundmauern, die Aussenmauern, alles wurde nach Sonne und Mond ausgerichtet. Zieht man Linien zwischen den verschiedenen Pueblos, so ergeben sich auch da Ausrichtungen nach Sonne und Mond. Breite Strassen verbanden Chaco mit anderen Siedlungen im weiteren Umfeld. Bis nach Mexico reichten die Kontakte, was Muscheln und v.a. Felszeichnungen und Federn von Papageien bezeugen. Der Ort besitzt auch heute noch Magie - wenn man nicht gerade mit dem Touristenstrom unterwegs ist. Im Canyon herrscht eine unglaubliche Stille, die nur von einigen Vögeln und Insektengesumme durchbrochen wird. Wenn die Sonne untergegangen ist, zieht totale Ruhe ein, kein Mucks ist mehr zu hören und die wenigen Camper, die auch noch hier sind, bemühen sich, diese Stille möglichst nicht zu stören.



Bandelier National Monument ist einen Besuch wert. Nach einem Schweizer benannt, dem einst die ganze Gegend zu Fuss erforschte, liegt es vor den Toren von Santa Fé. Mit dem Auto kann man bis in eine tiefe Schlucht, den Frijoles Canyon hinunterfahren, dessen Wände wie Schweizer Emmentalerkäse aussehen. Dieser Canyon ist sehr fruchtbar, es gibt einen kleinen Bach, dessen Wasser früher sicherlich Felder ernährt hat. Die durchlöcherten Felswände, die aus weichem Tuffgestein bestehen, haben sich die Indianer zunutze gemacht. Grosse Löcher wurden weiter ausgebaut und zu Wohnräumen umfunktioniert. Aussen an die Felswand wurden weitere Räume dazugebaut, was eine ca. 800m lange Siedlung ergab, wo heute nur noch Fledermäuse hausen. Ueber eine steile Felswand und einige lange Holzleitern, die den Ureinwohnern nachgeahmt wurden, können wir eine sorgfältig restaurierte Kiva (einen indianischen Kultraum) besuchen.



Santa Fe gilt unser nächster Besuch. Viel haben wir schon von dieser Stadt gehört, v.a. wegen des neuen Georgia O'Keeffe Museums fahren wir hin. Abgesehen von zwei Museen sind wir enttäuscht. Noch nie im Leben haben wir so viele Galerien auf einem Haufen gesehen ! Kitsch reiht sich an Geschmacklosigkeit. Dazwischen zwängen sich die üblichen Souvenirläden, die alle das gleiche anbieten. In den Galerien gibt es Indianerschmuck, Mokassins, Decken, Navajo-Teppiche, Töpfereien, moderne Bilder von jungen Künstlern, Skulpturen von Möchtegern-Künstlern, geschnitzte Elephanten aus Afrika, Buddhas aus Asien - Motto: es gibt nichts, was man hier nicht kaufen kann ! Kleine Strassen mit wunderschönen Adobehäusern sind von Wohnquartieren in Einkaufsmeilen verwandelt worden, wo man problemlos viel Geld liegenlassen kann. Dazwischen findet man mit ein wenig Ausdauer aber doch noch kleine Spezialgeschäfte mit interessanten Büchern, Musik, eine tolle Bäckerei, und einige Restaurants, in denen es sich gut speisen lässt.



Südlich von Santa Fe gibt es viele kleinere Pueblos, die heute nicht mehr sehr viel mit den ursprünglichen Pueblos gemein haben. Es sind meistens Ansammlungen von Häusern, amerikanische Fertigbauweise, nur noch ganz selten sind es hübsche Adobehäuser. In der Nähe des Cochiti Pueblos kann man sich in den Tent Rocks vergnügen. Wind und Wasser haben hier riesige Zelte und Tipis aus dem Felsen geschnitzt. Die Zeltspitzen werden meist von einem grossen runden Felsen beschützt, so dass das Wasser auch weiterhin die Zeltform herausarbeitet. Auch hier haben Indianer gewohnt, in einigen Höhlen ist noch die russige Decke zu sehen.



Rund um Albuquerque gibt es ca. 30'000 Petroglyphs. Die Westseite von Albuquerque wurde im Petroglyph National Monument unter Schutz gestellt und so vor dem krebsgeschwürartigen Wachstum der Stadt bewahrt. Hier kann man auf kurzen Spaziergängen viele Hunderte dieser Petroglyphs, in den Felsen geritzte Figuren und Zeichen, bewundern. Leider haben sich auch immer wieder Vandalen an den Felsbrocken vergangen und Namen oder Zeichen eingeritzt.





Der Höhepunkt unserer kleinen Reise aber ist das Acoma Pueblo (Ácoma ausgesprochen, die Indianer befinden sich schliesslich nicht im Koma, wie uns erklärt wurde). Das Pueblo, wegen seiner Lage auch "Sky City" genannt, liegt auf einer kleinen Mesa, einem etwa 3 km langen und 500m breiten Felsblock, der sich 120m über das umliegende Flachland erhebt. Nur mit einer geführten Tour darf man das Pueblo besuchen. Was zuerst wie eine "Tourist Trap" (Touristenfalle) aussieht, wird ein eindrucksvolles Erlebnis ! Mit einem kleinen Bus wird unsere kleine Gruppe auf einer Strasse, die John Wayne für einen Flim in den Felsen sprengen liess, ins Dorf gefahren. Seit John Wayne gibt es hier oben Autos und viel Sand und Staub, weil die Felsen zu Strassen gemacht werden mussten. Die Führerin, eine vielleicht 60-jährige Indianerin des Acoma-Stammes, versteht es, uns mit ihren lebendig erzählten Geschichten und witzigen Anekdoten nicht nur im Bann zu halten, nein, sie vermittelt uns auch etwas von der langen (und teilweise auch blutigen) Geschichte ihres Stammes. Dieses Pueblo gehört zusammen mit Taos und Oraibi zu den am ältesten und v.a. kontinuierlich bewohnten Pueblos. Zwar leben heute nur noch ca. 30 Leute ganzjährig im Pueblo, die anderen besitzen hier noch ein "Ferienhaus".



Was einem auf einem solchen Rundgang als erstes auffällt, das sind die vielen kleinen Toilettenhäuschen, die sich immer gruppenweise an den Abgrund krallen. Die Blicke auf die umliegenden Mesas, auf phantastische Felsformationen, auf grüne Viehweiden, auf Wacholder- und Pinienwälder, überhaupt in die unendliche Ferne dieser Gegend ist umwerfend ! Die Missionskirche, im Adobestil gebaut, beherrscht das Dorf. Der Friedhof ist von einer Mauer eingezäunt, deren Pfosten sich bei genauerem Hinschauen als Köpfe mit Ohren und Augen entpuppen. Es sind Krieger, die über die Toten wachen. In der Mauer Richtung Süden befindet sich ein Loch, durch das die Seele entfliehen kann. Für die Kirche mussten Holzbalken von weither herangeschleppt werden. Wenn einer dieser Balken auf dem Transport den Boden berührte, war er entweiht und wurde deshalb als unbrauchbar an Ort und Stelle zurückgelassen. Im Altar, wie auch in der ganzen Kirche, vereinigen sich Symbole der katholischen Kirche mit dem Glauben der Indianer. Alles wurde zu einer Einheit zusammengeführt und mit speziellen Farben und Formen dargestellt. Auf dem Spaziergang durch das Pueblo eröffnen sich uns immer wieder spektakuläre Blicke. Die schönsten Häuser stehen gleich über dem Abgrund, von wo aus man die beste Aussicht hat. Auf einem äusserst steilen Treppenpfad, der noch aus früheren Zeiten stammt, können wir nur sicher absteigen, weil die Indianer Haltegriffe in die senkrechten Felswände gemeisselt haben.



Da es in dieser Jahreszeit im Norden New Mexicos und natürlich auch in Colorado, das wir auch besuchen wollten, empfindlich kalt wird, entschliessen wir uns, weitere Erkundungen dieser Gebiete auf eine wärmere Jahreszeit zu verschieben. Zurück kommen werden wir aber mit Sicherheit, denn es gibt noch viele wunderschöne Ecken im weiten Land von Georgia O'Keeffes Bildern.



Oktober 2001



Julia Etter & Martin Kristen