travelog 40






Canyon de Chelly



Rote, gelbe, orange, beige Felswände ragen auf beiden Seiten senkrecht in den blauen Himmel. Herablaufendes Wasser hat seine Spuren als graue und schwarze Muster hinterlassen. In einer etwas gebogenen Felswand kauern sich gelbe Steinruinen in einen Felsüberhang. Einige Felsmalereien sind erkennbar. Die Sonne erleuchtet mit den ersten Strahlen, die über die Canyonwand kriechen, die hellgrünen Blätter der Cottonwoodbäume. Die White House Ruins im Canyon de Chelly sind die einzigen Ruinen in diesem Canyon, die man ohne indianischen Führer besuchen darf. Die Wanderung vom Canyonrand ist höchstens in der Sommerhitze anstrengend, dafür wird man aber immer wieder mit wunderschönen Blicken in den Canyon belohnt. Diesmal sind wir allerdings mit einer geführten Tour unterwegs. Für all diejenigen, die sich jetzt denken, wir wären uns untreu geworden und würden seit neuestem mit den grossen Massen herumziehen, wollen wir hier die Geschichte der Reihe nach erzählen.



Unsere Freunde in Prescott luden uns zu einem speziellen Trip zum Canyon de Chelly ein. Seit langem stehen sie in Kontakt zu dort ansässigen Navajoindianern, die jedes Jahr einen "Sundance" (Sonnentanz) veranstalten und immer Spenden benötigen, um diesen wichtigen Anlass für mindestens 1000 Personen zu organisieren. Mit einer kleinen, sorgfältig unter Freunden ausgewählten Gruppe gehören wir zu den Versuchskaninchen, die auf eine erste Tour mitkommen. Später sollen mehrmals im Jahr Touren durchgeführt werden, deren Erlös der Navajo-Familie helfen soll, den Sonnentanz durchführen zu können.



Die Woche vor dem grossen Ereignis ist etwas hektisch, weiss man doch noch nicht so genau, worauf es ankommt, wer was mitbringt und wie alles ablaufen wird. Thilo ist aufgeregt wegen seiner Autos, die alle gut gewartet und vorbereitet werden. Margaret ist erlöst, als Lavina und Danny, unsere Gastgeber, zwei Tage vorher anrufen und bestätigen, dass sie tatsächlich anwesend sein werden. Im Navajoland lebt man nach einer anderen Zeit, und da die beiden weder Telefon noch Fax oder so etwas ähnliches haben, ist die Kommunikation etwas schwierig.



Morgens um 7 Uhr trifft sich die ganze Gruppe bei Thilos Garage und die Autos werden beladen. Ein kleiner Pinzgauer wird auf einem Anhänger mitgeführt, er soll erst im Canyon zum Einsatz kommen. Mit den vielen Taschen, Stühlen, Wasserkaninstern und Kühlboxen sind alle Autos bald vollgestopft. Inzwischen haben wir uns auch alle miteinander bekanntgemacht. Es ist eine Multikulti-Gruppe, die aus Amerikanern, Japanerinnen und Europäern besteht. Wir sind eine bunt gemischte Gruppe, die wohl alle aus unterschiedlichen Beweggründen auf diesen Trip mitkommen. Im Konvoi fahren wir endlich los, wir haben einen langen Weg vor uns ! Ca. 500km sind es von Prescott bis zum Canyon de Chelly. Und mit den vollbepackten Autos kommen wir nicht sehr schnell vorwärts.



In Holbrook, etwa auf der Hälfte der ganzen Strecke, erleben wir dann die erste Überraschung. „Talula", der Ford, der den Pinzgauer auf einem Anhänger schleppen muss, gibt den Geist auf. Alle schauen betreten in den Motorraum und Thilo überlegt auf dem Klo (hier gibt wenigstens keiner gute Ratschläge...), was am besten zu tun ist. Schliesslich wird der Pinzgauer vom Anhänger gefahren und alles Gepäck aus dem Ford muss in den anderen Autos untergebracht werden. Bei einem Motel an der Autobahn kann Talula sicher geparkt werden. Nun geht's weiter, doch schon bei der nächsten Ausfahrt legen wir wieder eine Pause ein. Hier gibt es Bisons, versteinertes Holz und Yucca baileyi (dies ist natürlich nur für uns interessant) zu bewundern. Und da wir die Versuchskaninchen sind, darf natürlich nicht alles wie geplant gehen: Wir verpassen die richtige Abzweigung und fahren einen kleinen Umweg durch wunderschönes Navajoland mit farbigen Hügelketten, Wacholderbüschen und vielen blühenden Yuccas.



Gegen Abend erreichen wir endlich das Grundstück von Lavina und Danny, wo wir von den beiden schon erwartet werden. Neben dem heiligen Platz für den Sonnentanz und den Gerüsten für das Schwitzbad dürfen wir unsere Zelte zwischen Pinien und Wacholderbüschen (Juniperus sp.) aufbauen. Als Unimog-reisende Globetrotter schlafen wir seit Ewigkeiten wieder einmal in einem Zelt, richtig abenteuerlich ist das. Die Küche und das Lagerfeuer werden zentral aufgestellt. Hier herrscht schon bald reger Betrieb. Randy, die Seele des ganzen Camps, baut Gasherd, -lampen und Wasserkanister auf. Kaffee wird gebraut und schon einmal von den Salsas probiert. Jennifer hat einen grossen Topf mit einem schmackhaften Chili mitgebracht, der praktischerweise nur erwärmt werden muss. Zusammen mit Gina und Keiko brate ich auf dem Feuer verschiedene Gemüse, die nachher alle in Tortillas gewickelt werden. Mit scharfen Salsas und Chips schmeckt das Essen köstlich. Knapp wird es erst, als noch die ganze Navajo-Familie mit Kind und Kegel zum Essen kommt und unsere Gruppe im Heisshunger schon fast alles aufgegessen hat.



Später sitzen wir alle ums Lagerfeuer und erzählen Geschichten. Dion und Danny (der Dritte), die Enkelkinder, braten Marshmallows auf dem Feuer, eine typisch amerikanische Eigenheit. Aufregung kommt erst wieder auf, als Lavina ein Tier verscheucht, das anscheinend sehr aggressiv und gefährlich sein kann, wenn es zubeisst. Es sieht aus wie eine Mischung aus einer Spinne und einem Skorpion. Als wir alle mit den Taschenlampen danach suchen, lässt es sich natürlich nicht mehr blicken. Erst viel später, als das Thema schon lange wieder gewechselt ist, stürzt sich ein seltsames Tier aus einem Haufen trockenen Holzes direkt in die heissen Flammen des Feuers. Sofort ist es tot und wir können es gemütlich untersuchen. Es ist tatsächlich das Spinnen-Skorpion-Tier, vor dem uns Lavina gewarnt hatte. Etwas vorsichtig geworden, steigen wir behutsam über die vielen alten Äste und begeben uns langsam Richtung Zelt. Im Mondschein putzt man sich die Zähne unter einem sagenhaften Sternenhimmel. In unserem Zelt kann sich nur eine Person auf einmal umziehen und bewegen. Die Liegematten sind gerade so lang und breit wie das Zelt selber, doch wir sind über den begrenzten Raum sehr glücklich, denn auf rund 2000m Höhe wird es nachts immer noch empfindlich kalt.



Nach einem improvisierten Frühstück im Stehen drängt uns Danny, möglichst früh aufzubrechen. Eine Zeit kann er nicht angeben, er will losziehen, wenn die Sonne grade mal über die höchsten Tannenspitzen gekrochen ist. Natürlich ist das ein Ding der Unmöglichkeit, denn in dieser herrlichen Ruhe schlafen alle wunderbar. Höchstens diejenigen, die nie in einem Zelt schlafen und eine weiche Matratze dem Waldboden vorziehen, treffen sich etwas früher am Feuer zu einem wärmenden Kaffee. Vor der Abfahrt lässt Danny eine selbstgedrehte Zigarette im Kreis herumgehen, was ein Gefuehl der Verbundenheit schaffen soll. Die eine Hälfte der Gruppe fährt im offenen Pinzgauer mit Danny als Führer, die andere Hälfte sitzt in Victor, dem Chevrolet Surburban.



Die Einfahrt in den Canyon ist unspektakulär, fast versteckt zwischen Tamariskenbüschen. Zwei Schilder weisen darauf hin, dass man hier nur in Begleitung eines indianischen Führers fahren darf. Durch relativ tiefen Sand kämpft sich der Pinzgauer tapfer vorwärts, dicht gefolgt von Victor, der anscheinend überhaupt keine Probleme hat. Doch beim ersten Halt, Anasazi-Ruinen weit oben in einer senkrechten Felswand (rätselhaft bleibt, wie die Indianer damals da hochgekommen sind), stellt sich heraus, dass Victor völlig überhitzt ist, weil eine unkundige Garage einen falschen Lüfter eingebaut hat. Die Ruinen kommen uns gerade recht, dem armen Victor eine Pause zu gönnen.



Dion und Danny (der Dritte) haben ganz rot angemalte Gesichter. Die Paste wird aus einem hauchfeinen roten Lehmstaub hergestellt und schützt die beiden Jungen gegen Sonnenbrand. In einer roten Felswand üben sie sich als Fotomodelle, wobei sie sich beide immer wieder vor die Kamera drängeln und dem anderen kein Bild gönnen. Danny (der Erste) erzählt derweil von den Ruinen und dem heutigen Leben im Canyon. Er selber wuchs am Canyonrand auf, musste aber fast tagtäglich in den Canyon hinuntersteigen, um Gemüse, Früchte oder andere in Felsnischen geschützt aufbewahrte Lebensmittel heraufzutragen. Auch heute noch leben Indianer hier unten im Canyon. Immer wieder fahren wir an verlassenen Hogans (Rundhäusern) vorbei oder passieren Getreidefelder oder Fruchtbaumplantagen. Doch mit dem zunehmenden Tourismus kann man sich sein Geld auch als Führer verdienen und so wollen die wenigsten noch das harte unabhängige Leben im Canyon unten führen. Danny, der natürlich einen anderen indianischen Namen hat, den die amerikanischen Behörden nicht aussprechen, geschweige denn schreiben konnten (uns gelingt es auch nicht, übersetzt heisst Danny aber „Der unter Häuptlingen geht", er gehört mit seiner Frau zusammen ja auch zu den bekannten Medizinmännern der Navajo), versucht seinen Kindern und Enkelkindern die alten Geschichten und die ursprüngliche Lebensweise wieder näherzubringen. Die beiden Jungen sind aber oft weniger an Grossvaters Geschichten interessiert als unsere Gruppe und spielen lieber in den Büschen oder am Wasser mit den Kaulquappen.



Wir fahren etwa 20 Kilometer weit in den Canyon hinein. Durch dichtes Tamariskengebüsch, unter riesigen Cottonwoodbäumen, vorbei an einer Schafherde, die im Schatten der Felswände etwas Kühlung sucht. Immer wieder bricht einer in begeisterte Rufe aus, weil sich wieder ein neuer Blick in den Canyon auftut, eine natürliche Brücke den Blick auf sich zieht oder Ruinen versteckt in den Felswänden erscheinen. Ab und zu halten wir auch an und Danny zeigt uns heilige Orte, Ruinen, verlassene Felder, alte Vorratskammern. Das Ziel der Tour ist „Spider Rock", zwei fast 300 Meter hohe Felsnadeln, die atemberaubend mitten im Canyon aufragen. An dere Fusse lagern wir für ein improvisiertes Mittagessen im Schatten einiger Büsche, während Danny uns die Geschichte von "Spider Woman" erzählt. Auf diesen Felsen soll die Spinnenfrau wohnen, die den Navajo einst das Weben gelernt hat. Heute erzählen Navajoeltern ihren ungehorsamen Kindern, dass die Spinnenfrau sie auf ihre Felsen holt, wenn sie den Eltern nicht zuhören. Die Zeit vergeht viel zu schnell und gerne wären wir länger hier unten unterwegs gewesen. Ein Gruppenfoto vor den zwei Felsnadeln darf natürlich nicht fehlen ! Auf dem Rückweg entdecken wir dann noch zwei Wasserschlangen, die sich von uns gar nicht gross stören lassen. Ein Rabe zieht weit oben seine Kreise, während die Nachmittagssonne die Felswände erglühen lässt.



Zurück beim Lagerplatz waschen wir uns alle erst einmal den Staub vom Gesicht und schütteln die Kleider aus. Einige der Frauen treffen sich nachher bei Lavina in der Küche wieder, wo fleissig gekocht wird. Heute abend sind wir alle bei Danny und Lavina eingeladen und Lavina verwöhnt uns mit Navajo-Tacos (Fladen aus fritiertem Teig werden mit Salat, Hackfleisch, Zwiebeln, Bohnen, Tomaten und freiwillig scharfer Salsa belegt). Der Teig für die Tacos wird wie die mexikanischen Tortillas zubereitet und Lavina knetet und formt mit den Händen Fladen, die in Öl ausgebacken werden. Als jemandem ein Teil des Essens auf den Boden fällt, greift Lavina sofort ein und belehrt uns, dass man heruntergefallenes Essen nicht aufhebt. Es hat seinen Sinn gehabt, dass das passiert ist und die Grossmutter wird für diese unverhoffte Mahlzeit dankbar sein. Ausserdem, was Grossmutter nicht erwischt, schnappen sich die Katzen und Hunde !



Unser letzter Tag ist für viele ein neues Erlebnis. Von der Familie werden wir in die „Sweat Lodge" (Schwitzhaus) eingeladen. Ein Sohn, Danny (der Zweite), feuert schon um 4 Uhr morgens grosse Pinienhölzer an, damit wir genügend Glut für die Sauna haben werden. Zwei iglu-artige Zelte sind mit vielen dicken Wolldecken eingemummelt, damit ja keine Hitze entweichen kann. Frierend stehen wir in der Morgenkälte im Kreis um das Feuer herum. Die Männer in kurzen Hosen und im T-Shirt, die Frauen in langen Röcken und einem T-Shirt. Im Feuer glühen die Steine rot, die nachher unsere Sauna erhitzen werden. In den ersten Sonnenstrahlen begrüssen uns Danny und Lavina, die je eine „Sweat Lodge" leiten werden. Im Uhrzeigersinn kriechen wir Frauen auf allen Vieren ins Zelt hinein und setzen uns im Kreis um eine Grube herum. Rebecca hat die Ehre, Lavina zu helfen und die heissen Steine und die Wassereimer hereinzubringen. Lavina ist eine sehr angenehme Leiterin dieses Schwitzbades, sie will es uns allen recht machen und verschont uns mit zuviel Hitze und Dampf. Jeder Stein wird begrüsst, wenn er ins Zelt getragen wird. Lavina besprenkelt die Steine mit dem Harz des Saguaro-Kaktus und mit Pinienharz, was einen wunderbaren Duft verbreitet. Ein indianischer Singsang stimmt auf die Gebete ein. Lavina erklärt uns vor jeder Runde auf englisch, wofür wir beten, danach fällt sie in ihren Navajo-Dialekt. Nacheinander beten wir für uns nahestehende Menschen, für Alte und Kranke, für Kinder und Babies, für Gefangene und Abhängige, für Säugetiere und ganz zum Schluss auch für alle kriechenden und fliegenden Lebewesen. Rebecca bringt bei jeder Runde wieder neue rotglühende Steine aus dem Feuer, die mit Harz besprenkelt werden. Immer wieder giesst Lavina grosse Schöpfkellen mit Wasser über die heissen Steine, die einen schönen Dampf entwickeln. Im Uhrzeigersinn kriechen wir nach 4 Runden alle wieder ins Sonnenlicht und verbeugen uns in alle Himmelsrichtungen.



Lavina bereitet uns danach ein kräftiges Frühstück zu, das uns für den langen Heimweg stärken soll. Lange betet sie in ihrem Navajo-Dialekt und lädt uns alle auch zum Sonnentanz ein, der auf ihrem Gelände stattfinden soll. Für zwei Wochen wird diese friedliche Oase von ca. 1000 Leuten bewohnt, die tanzen, singen, musizieren, reden, meditieren, schwitzen, beten und heilen. Viele Kranke kommen nur für einen Tag, um sich von einer Krankheit heilen zu lassen.



Nachmittags ist endlich alles zusammengepackt und verstaut und die Rückreise kann angetreten werden. Talula, der Ford, wartet treu in Holbrook und nach gutem Zureden und etwas schrauben läuft das Auto plötzlich wieder und schafft den Weg bis nach Prescott. Erschöpft von der langen Fahrt und glücklich über die neuen Freunde und die vielen tollen Eindrücke, schlafen wir in Prescott wieder in unserem kleinen PocoLoco, allerdings auf einer bequemen Matratze.



Juni 2001



Julia Etter & Martin Kristen