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Gaumenfreuden auf mexikanisch



Gurkenpyramiden und rote Radieschen laden zum Kauf ein. Mangos, Guayabas und Ananas kommen aus dem Süden des Landes. Frischer Koriander ist an jedem Stand zu bekommen. Attraktiv aufeinandergestapelte Gemüse und Früchte sind hier reif gepflückt und frisch und erfüllen den ganzen Markt mit ihrem Duft. Am Stand gleich daneben kann man sich mit den verschiedensten getrockneten Chiles eindecken. Eine Metzgerei reiht sich neben die andere. Hier findet man ganze Kuh- oder Schweineköpfe in der Auslage. Rinderhälften baumeln an den Wänden und von grossen Fleischstücken wird einem das Gewünschte abgeschnitten. Die Fliegen feiern hier jeden Tag Weihnachten ! Ganze Fische, die eine 10-köpfige Familie locker ernähren könnten, Fischfilets, Muscheln und andere Meeresfrüchte warten auf ihre Käufer. Etwas weiter findet man Korb- und Töpferwaren. Am Stand nebenan kann man auch Jeans, Hemden und Turnschuhe finden. Oder in einer Sombrerería einen typischen Mexikanerhut aus Palmblättern oder Reisstroh erstehen. In diesem ganzen Gewirr von Ständen und Menschen wuseln kleine Kinder umher, die dem unschuldigen Touristen hausgemachte Tamales oder süsse Brötchen anbieten. Meist können wir nicht widerstehen, nicht weil wir hungrig sind, nein, weil die Kinder so hübsch sind und glücklich strahlen, wenn man ihnen für einige Pesos etwas abkauft. Ein blutiger Kuhkopf ohne Kopfhaut wird auf einer kleinen Sackkarre hinter dem Kunden her zum nächsten Taxi geschoben. In der Käseabteilung locken frische Käselaiber aus der Region, Ricotta in grossen Eimern, Butter und Schweineschmalz. Überall kann man ein Eckchen probieren, bevor man sich zum Kauf entscheidet. Neben der Toilette verkauft ein Hutzelweiblein teils frische, teils getrocknete Heilkräuter und sonstige Volksmedizin.



Der "Mercado Publico" ist ein Ort, wo man sich stundenlang herumtreiben kann. Um das Geschehen zu beobachten, setzt man sich am besten an den langen Tresen einer der vielen Garküchen, die Tacos, Quesadillas, Suppen oder Eintopf anbieten. Die Señoras preisen ihre Gerichte mit lauter Stimme an und hungrige Gäste werden mit "muy sabroso" (=sehr schmackhaft), "pasen le" (=treten Sie doch näher !) oder "que le damos a comer" (=was dürfen wir Ihnen zum essen geben ?) angelockt.



Kulinarisch hat jede Ecke Mexikos etwas anderes zu bieten. Richtige Mehltortillas, die mit Butter oder Schweineschmalz zubereitet werden, gibt es nur im Norden. Im ärmeren Süden, der allerdings schon sehr weit nördlich beginnt, ernährt man sich von Maistortillas, die jeden Tag mehrmals frisch zubereitet werden. Carne machaca gibt es ebenfalls nur in den nördlichen Staaten. Dieses getrocknete, zerkleinerte Fleisch gibt es vom Rind (man munkelt, dass viel billiges Eselfleisch beigefügt wird) oder als Delikatesse vom Reh. Für Haushalte ohne Kühlschrank, und solche gibt es hier viele, ist es perfekt, weil es monatelang ohne Kühlung haltbar ist. Zubereitet wird es z.B. mit Rührei oder mit Zwiebeln, Knoblauch und Tomaten knusprig angebraten und in Tacos serviert. Sonora und Chihuahua sind grosse Fleischproduzenten, die Leute grosse Fleischesser. Am Wochenende versammelt sich die Grossfamilie auf dem Rancho oder man fährt an den Strand, und auf einem kleinen Feuerchen werden dünne und grosse Fetzen Fleisch gebraten. Die Küste von Sinaloa ist berühmt für Pescado zarandeado. Ein ganzer Fisch, bevorzugt Huachinango (Red Snapper) wird quer auseinandergeschnitten, aufgefaltet, mit einer pikanten Gewürzmischung mariniert und auf dem Grill gebraten. Dazu gibt es die unvermeidlichen Tortillas und eine scharfe grüne Sauce, die mit Tomatillos zubereitet wird. Durango hat grosse Mennonitenkolonien, die den Queso mennonito herstellen. Erstaunlich für uns Europäer - die wir eine grosse Vielfalt an Käsen und Würsten gewohnt sind - ist nur, dass die Auswahl von Käsen sich auf zwei oder drei Arten beschränkt. Nach Würsten sucht man meist vergebens, obwohl ja die Spanier, des Mexikaners europäische Urahnen, so schmackhafte Würste zuwege bringen. Süssigkeiten aus Mandeln sind eine weitere Spezialität. Überhaupt sind die Mexikaner ein süsses Volk. Bäckereien führen eine grosse Auswahl an süssen Brötchen, für unseren Geschmack viel zu trocken, doch man kann darunter auch Leckereien wie Berliner, Crèmeschnitten oder sonstige gefüllte Teigstückchen finden.



Die beste, schnellste und billigste Art, sich in Mexico zu ernähren, sind die vielen Stände mit ihren köstlichen Gerichten am Strassenrand. Tacos sind wohl das bekannteste. Taco-Stände verfügen an strategisch wichtigen Orten wie Bushaltestellen ab und zu sogar über einige Stühle und mal sogar über einen Tisch. An diesen Ständen heisst die Schlüsselfrage normalerweise: "de maiz o de harina ?". Wenn man sich mal für Mais- oder Weissmehltortillas entschieden hat, werden die Tacos mit den unterschiedlichsten Zutaten gefüllt: carne asada ist besonders in Sonora beliebt; in würziger Brühe gekochtes Schweine- oder Rindfleisch (bei genauerer Erkundigung kann es passieren, dass man herausfindet, dass es ein Eintopf aus ausgekochtem Rinderkopf ist = birria); panierte Fischfilets; Innereien. Dazu kommen Zwiebeln, gehackter Kohl, Limeschnitze, scharfe Chiles, Guacamole und natürlich verschiedene scharfe Salsas, die an der Theke oder auf kleinen Tischchen zur Auswahl stehen. Aus Tortillas kann man natürlich noch viel mehr machen und auch all dies ist an der Strasse zu bekommen: Quesadillas sind Tortillas, die mit Käse gefüllt und auf einem Comal gebraten werden, bis der Käse geschmolzen ist. Oder die Tortillas werden mit einer Masse aus Kartoffeln und Fleisch bestrichen und in Öl ausgebacken (= Chimichangas). Übergossen mit Guacamole, etwas Mayonnaise und scharfer Salsa, dazu etwas gehackter Kohl und Zwiebeln, gehört dies wohl zu den besten Mittagessen, die wir je in Mexico gehabt haben.



Natürlich hat jeder schon gehört (und gelesen), wie gefährlich es ist, z.B. in Mexiko an der Strasse oder im Markt bei einer Garküche zu essen. Unhygienisch, ohne Wasser, Fliegen, kein Kühlschrank, etc., etc. Unserer Meinung nach ist dies jedoch die sicherste Art, wie man sich vor der Rache Moctezumas schützt. In Restaurants werden Salsas zwischen Kühlschrank und Kunde hin und her verschoben. Was man heute nicht braucht, kommt wieder in den Kühlschrank, oder schlimmer, den Tiefkühler. Die Touristen werden's schon nicht merken, schliesslich rechnen sie ja damit, sich eine Magenverstimmung mit kräftigem Durchfall einzufangen. Die Taco-Stände aber funktionieren nach einem ganz anderen Prinzip: die Ware ist frisch und es hat eben, solange es hat. Diese Stände sind kleine Einfrau/mann- oder Familienbetriebe, die nur ein bestimmtes Quantum an Essen zubereiten. Wenn die Tortillas aufgebraucht sind, schickt man den Angestellten schnell um die Ecke zur nächsten Tortillería. Ist aber das Fleisch alle oder sind die Muscheln aufgebraucht, dann schliesst man seine Garküche und verschwindet. Entweder, um den Rest des Tages zu geniessen, oder, was eher der Fall ist, um seinem zweiten Job nachzugehen. Selbstverständlich lässt man auch bei diesen Taco-Ständen eine gewisse Vorsicht walten. Man sucht sich nur die besonders beliebten aus und würzt immer kräftig mit scharfer Salsa und frischen Zwiebeln, um allfällig vorhandenen Untierchen keine Chance zu lassen - wenigstens wirkt dies psychologisch, wenn sich auch die Tierchen einen Dreck um die scharfen Chiles kümmern. Wenn man sich aber die Geschichten so anhört von Touristen, die sich aus Angst vor Verdauungsstörungen nur in Restaurants (möglichst empfohlene und gute, damit auch teure) verpflegt hatten und sich dort dann grundsätzlich eine Magenverstimmung oder Schlimmeres eingefangen haben, dann erscheint doch unser Vorgehen nicht ganz unlogisch, oder ?



Ein weiteres Thema, das angeschnitten sein will, ist das Wasser. Trinkwasser ist in Mexico grundsätzlich Agua Purificada (normalerweise über Umkehrosmose-Geräte zu Trinkwasser gefiltertes Wasser - absolut sicher für Leib und Leben). Und für dieses Trinkwasser zahlt der Mensch. Im Verhältnis zu dem, was er verdient, nicht einmal wenig. So ist für einen Garrafón (= Behälter mit 19 Litern Trinkwasser) etwa 2 Franken zu berappen - eine für den Mexikaner nicht unbedeutende Summe, gleichbedeutend mit etwa 10 Franken für den Schweizer oder 12 Mark für den Deutschen. Zwar gibt es immer wieder Menschen, die unvernünftigerweise Flusswasser oder das durch das Wassernetz ins Haus gelieferte Brauchwasser trinken. Ausserdem wird Wasser oft in grossen Tongefässen aufbewahrt, um es kühl zu halten. Das führt dann immer wieder zu epidemisch auftretenden Cholera- Herden oder Dengue-Fieber, vor denen in ganz Mexico allerorts gewarnt wird. So z.B. auf einer Milchpackung der Firma "Fatima": "¡¡Llegaron las lluvias, pero tambien puede llegar el Dengue !! Limpia tu casa de cacharros y evita depositos de agua estancada." (=Der Regen ist gekommen, aber auch Dengue kann nun auftreten ! Befreie dein Haus von Tontöpfen und vermeide stehende Wasservorräte). Die meisten Brauchwasser-Systeme sind mit Koli-Bakterien durchsetzt, was einen vor dem Genuss jenes Wassers grundsätzlich abhalten sollte. In manchen Kommunen allerdings ist das Wasser, das aus den Leitungen fliesst, reines Trinkwasser. Das sind dann auch die Gemeinden, die mit hauswandgrossen Anschlägen darum bitten, dieses Wasser nicht zum Autowaschen oder Abspülen des Gehsteigdrecks zu verschwenden, Motto: ...denn, una gota es una gota (= ein Tropfen (Wasser) ist und bleibt ein Tropfen (Wasser)) ! Wir sind beeindruckt.



Bushaltestellen, Ampeln und generell Strassenecken sind besonders beliebte Orte für den Strassenhändler. Hier bekommt man (fast) alles, was man tagsüber so braucht: Zeitungen, Süssigkeiten, Chips, Zigaretten, Orangensaft in Plastikbechern, ganze Kokosnüsse mit Strohhalm, Erdbeeren und Trauben aus Chile. Früchte werden dekorativ arrangiert und in Plastikbechern verkauft. Mit Limesaft beträufelt, etwas Cayennepfeffer oder scharfe Salsa darüber, und schon ist der Snack für Zwischendurch fertig. Kaum stellt die Ampel um auf rot stürzen sich die Strassenhändler mit ihrer Ware auf die (armen) wartenden Autofahrer: 4 Melonen in einer grossen Tüte, ein Netz Orangen, oder sogar 1 Kilogramm Riesengarnelen aus der Kühlbox - meistens natürlich zu unverschämt überhöhten Preisen. Kostet des Kilo Orangen im Supermercado um die Ecke etwas um die 2 Pesos, dann versuchen einem die Strassenhändler dasselbe Kilo für 5 Pesos anzudrehen. Geschäftstüchtig muss man sein.



Restaurantnamen, Schilder und wie die angebotenen Produkte angeschrieben sind, das ist ein weiteres, interessantes Studienobjekt. Viele Restaurants heissen "Drive Inn", bieten allerdings keine Übernachtungsmöglichkeit an, wie man aus dem "Inn" ableiten könnte. Hier hat man einfach einen englischen Begriff in einen lateinamerikanischen umgewandelt. Mitten auf dem Lande in Sinaloa haben wir sogar eine japanische Garküche angetroffen: "Shushi, comida japonesa". In der Bäckerei werden die in den USA unter dem Namen "Brownies" bekannten Schokoladestückchen als "Braunis" verkauft. Im Supermarkt gibt es Gläser, die Nicht-Mexikaner für den "Highball" benützen. In Mexiko werden sie als "Hai-Boll" angepriesen. Möchte der Mexikaner auf dem Schild seiner Pizzeria anpreisen, dass seine Gericht leicht zu verdauen sei, dann schreibt er schon mal "ligth" dahinter - und serviert eine Kombination von Pizza, Spaghetti und Salat. Manchmal gehört schon etwas Kombinationsfähigkeit und Intuition dazu, herauszufinden, was nun damit gemeint sein könnte.



Anlässlich von Strandbesuchen in eher touristisch besuchten Zonen Mexicos trifft man auf einen weiteren fliegenden Händler: den Fisch-Verkäufer, der einem - natürlich heute oder vor einer halben Stunde gefangenen - Fisch, Muscheln, Riesencrevetten oder sogar Langusten aus einer mitgebrachten Kühlbox anbietet. Ganz günstig, wie er sagt (und sich wohl denkt, dass diese Touristen sicherlich nicht die hiesigen Preise kennen). 160 Pesos soll das Kilo Jakobsmuscheln kosten. Wir diskutieren kurz, lehnen dann aber ab. Plötzlich bietet uns der gute Mann dasselbe Kilo für ganze 100 Pesos an. Aus solchen kleinen Begebenheiten lernt der Mensch !



Die interessantesten kulinarischen Erfahrungen, die wir in Mexico machen dürfen, sind die Besuche bei neu gewonnenen Freunden auf den verschiedenen Ranchos. Von zwei Ranchos haben wir in unserem letzten Reisebericht ein wenig erzählt. Hier gibt es die Möglichkeit, in den Hausküchen den Señoras über die Schulter zu gucken, nach deren Tricks zu fragen, sich Handgriffe zeigen zu lassen und sich in der Anwendung des soeben neu Gelernten auch gleich ein wenig zu üben. Ausnahmslos alle Frauen sind hier glücklich, wenn sie mal das ihnen gebührende Interesse zu spüren bekommen und einen Teil ihrer Fähigkeiten vorführen können. So lernen wir, schmackhafte Caldos (Suppen - das arme Huhn wurde am gleichen Morgen von unserem Gastgeber in die ewigen Jagdgründe befördert), riesenhafte hauchdünne Sobaqueras (spezielle Tortillas) oder Bayusa (gekochte Agavenblüten, siehe auch unser Rezept hier) zuzubereiten.



Innerhalb des letzten halben Jahres konnten wir uns an die völlig andersgeartete kulinarische Szene in Mexico gewöhnen - und schätzen sie ausserordentlich.



Wie wird es uns ergehen, wenn wir wieder einmal heimatlichen Boden unter die Füsse bekommen ? Werden wir es nicht komisch finden, dass die Mangos statt 1 Franken das Kilo plötzlich 2-2,50 Franken pro Stück kosten sollen ? Wie werden wir uns zurechtfinden im europäischen Riesenangebot von Käsen, Broten und Würsten ? Wie werden wir in Europa trauern um das phänomenale Angebot von herrlichen tropischen Früchten, dem fangfrischen Fisch und dem (noch) unverdorbenen Fleisch !



Mexico ist kulinarisch gesehen (Gott sei Dank ! noch) ein Land mit hoher Lebensqualität. Das Angebot ist anders gelagert als in den USA oder in Europa, dafür aber (noch) unverdorben von Raffgier und technischen Kinkerlitzchen. Kein Rinderzüchter denkt hier daran, seine armen Tiere (nur um des schnöden Mammons Willen) mit zermahlenen anderen Tieren zu füttern. Praktisch kein Fruchtproduzent nimmt seine Früchte vor der Reife vom Baum und bestrahlt sie radioaktiv, damit sie länger frisch aussehen (und dafür innerlich verfaulen - siehe USA). Keine Behörde (à la EU) hat hier Bestimmungen erlassen, die vorschreiben, wie lang und wie gebogen eine Banane sein muss.



Möge es noch lange so bleiben ! Viva México !



Mai 2001



Julia Etter & Martin Kristen