travelog 38






Mexikanische Gastfreundschaft



1. Rancho El Puerto



In den letzten Reiseberichten haben wir Euch immer wieder einen Bericht über die mexikanische Gastfreundschaft versprochen. Exemplarisch für die vielen liebenswürdigen, hilfsbereiten und gastfreundlichen Menschen, die wir in Mexiko angetroffen haben, wollen wir Euch unsere Erlebnisse auf zwei Ranchos erzählen.



Generell gilt, dass man all den Horrorgeschichten von bandidos und ladrones keinen Glauben schenken sollte. Amerikaner, die eine Schwägerin haben, deren Tante einmal mit ihrem Ex-Ehemann in Mexiko ausgeraubt wurde - solche Geschichten hört man immer wieder. Auch in Mexiko selber warnt einen die Polizei vor Überfällen und vielen sehr unsicheren Gebieten. Sogar Mexikaner, besonders aus dem nördlichen Bundesstaat Sonora, warnen vor ihren weiter südlich wohnenden Landsleuten, die allesamt Diebe und Räuber seien. Kommt man dann in solch sogenannte gefährliche Gebiete und erkundigt sich nach dem Potential an dunklen Gesellen, wird einem überall einstimmig versichert, dass das eigene Dorf, die eigene Gemeinde, kurz die nähere Umgebung ein absolut friedlicher Ort sei, wo man keine Probleme habe. Allerdings müsse man sich aber im nächsten Dorf oder in der Nachbargemeinde schon etwas in Acht nehmen, weil sich dort nämlich alle Gauner dieser Erde versammelt hätten. Selbstverständlich hört man im nächsten Ort genau die gleiche Geschichte wieder. Die Gangster hausen auf jeden Fall nie da, wo wir uns gerade befinden, was wir gerne glauben wollen. Nie haben wir uns in irgendeiner Art und Weise bedroht gefühlt, nie wollte uns einer irgendwas wegnehmen - im Gegenteil, die Leute geben einem all die wenigen Sachen, die sie selber besitzen, um einen willkommen zu heissen. Bei vielen haben wir das Gefühl, dass sie alle diese Räubergeschichten vom mexikanischen Tagedieb kennen und deshalb umso eifriger versichern, wie sicher die eigene Gegend ist. Und deshalb vielleicht auch umso freundlicher zu Fremden sind, denen sie zeigen wollen, dass Mexiko ein wunderschönes Land mit friedlichen Bewohnern ist.



Vielleicht haben wir aber auch unrecht und unser Schutzengel ist andauernd schwer beschäftigt. Oder vielleicht hilft uns auch der Papst und die "Virgen de Guadalupe" (Mexikos Nationalheilige), deren Bildnisse wir mitführen und ab zu in die Fenster hängen, wenn wir auf längere Wanderungen gehen. Freunde in den USA haben uns nämlich erzählt, dass man in Lateinamerika nicht unter den Augen des Papstes stiehlt. Was es auch immer ist, wir denken, dass die gleichen Regeln wie überall auf der Welt gelten: In grossen Städten muss man aufpassen, da dort die Gauner auch genügend Klienten finden. Und auf dem Lande haben die Leute ganz andere Sorgen, als harmlose Touristen ausrauben.



Auf dem ersten Rancho, "El Puerto" (= der Pass) in Sonora, landen wir durch Zufall, weil wir die falsche Piste erwischen. Das Rancho wird bewohnt von Roberto, auch genannt "El Cuate" (= der Zwilling, seine Zwillingsschwester wohnt al otro lado, auf der anderen Seite, also in den USA) und seiner Frau Graciela und einer Tochter. Aufpassen tun die Hunde "Gringo" (weil er so weiss ist, heisst er so) und "Chapato" (was klein heisst, der Hund ist auch klein und schwarz). Weitere Bewohner sind viele Hühner und Hähne mit glänzendem Federkleid, die sich abends in den Bäumen ihren Schlafplatz suchen. Natürlich gibt es einen Esel und Maultiere. Ihren Lebensunterhalt bestreitet die Familie mit ihren Kühen, die genügend Milch geben, um jeden Tag Käse im nahen Dorf verkaufen zu können. Nachdem wir einmal eingeführt sind, heisst das Motto: "mi casa es su casa" (= mein Haus ist dein Haus).



Jeden Tag erkunden wir zu Fuss die Umgebung und finden schöne Pflanzen. Nach jeder Wanderung werden wir sofort zum Kaffee in die düstere Küche eingeladen, wo wir auch gleich frische Tortillas mit Bohnen und guajada zur Stärkung bekommen. Guajada ist das erste käseähnliche Produkt, so etwas wie Ricotta, wenn man die Milch geronnen hat. Roberto hilft beim Essen meist kräftig mit, Graciela ist dafür zuständig, dass immer heisse Tortillas auf dem Tisch liegen. Nie sitzt sie zusammen mit uns am Tisch, immer steht sie in der Nähe des Herdes und versorgt ihren Mann und die Gäste mit Essen und Trinken. Gerne erzählt mir Graciela, wie sie z.B. den chiltepín (wilden Mini-Chile, der in den umliegenden Bergen wächst und zu den schärfsten seiner Art gehört) einlegt oder wie sie ihre Tortillas zubereitet. Roberto verspricht uns immer neue typische Gerichte, die seine Frau nachher im Morgengrauen zubereiten muss, damit wir nachmittags in den Genuss einer Suppe oder eines Eintopfes kommen.



Die Kühe werden morgens bei jeder Witterung im Freien gemolken. Selbstverständlich wird das hier alles noch von Hand gemacht. Wenn eine Kuh nicht gerade aufpasst, sind schnell die frechsten der Hähne zur Stelle, die sich in ihrer Gier, etwas von dem feinen Futter aus einem abgeschnittenen Ölfass zu ergattern, fast die Kehle durchschneiden. Mit natürlichem Lab wird die Milch später angesetzt und abends zu grossen Käselaibern gepresst. Je schneller man den Käse nun verkauft, desto mehr Geld bekommt man dafür, weil er noch richtig schwer ist und erst später anfängt, Wasser abzugeben. Die Kühe, eine heisst übrigens "La Suiza", werden auf diesem Rancho mit gekauftem Futter (kein Tiermehl !) gefüttert. So kann jeden Tag gemolken werden. Allerdings können sich dies nicht viele Bauern leisten, die meisten sind darauf angewiesen, dass ihre Kühe sich an der spärlichen Vegetation den Magen so gut es eben geht füllen.



Roberto begleitet uns gerne auf unseren Wanderungen. Er kann uns neue Orte zeigen und dann gemütlich unter einem Baum sitzen, während wir fotografieren - und seine Frau zuhause den Käse formt. Die paar Tage, die wir auf dem Rancho verbringen, ernähren wir uns von Tortillas, Bohnen und guajada, die wir jeden Tag frisch geschenkt bekommen. Für etwas Schärfe sorgen die eingelegten chiltepínes, von denen wir auch sofort ein Glas geschenkt bekommen, als wir nur leises Interesse an diesen Chiles gezeigt hatten. Als wir Roberto zum Abschied ein grosses Schweizer Taschenmesser schenken, verschwindet Graciela im Schlafzimmer und kommt bald mit einem intakten Rehgeweih zurück, das sie gefunden hat. Dies will sie uns als Andenken an ihr Rancho schenken.



Im Juni, auf unserem Weg in die USA, wollen wir dem Rancho einen erneuten Besuch abstatten. So verabschiedet man sich mit "con el favor de Dios" und hofft, dass es Gott gefällt, wenn wir das Rancho auch wirklich wiedersehen.






2. Rancho La Laguna



Das zweite Rancho, "La Laguna" in Sinaloa, finden wir auch eher durch Zufall und wie immer auf der Suche nach Pflanzen. Es ist eine kleine Siedlung von drei Holzhäuschen mit Wellblechdächern. Umgeben sind die Häuser von grossen Pinien und Eichen, in den kleinen Lichtungen sieht man noch die gelben Stoppeln von Maisfeldern. Der Mais wird neben dem Haus aufbewahrt, einige trockene Kolben hängen über einer Stange, sie werden für die Aussaat im nächsten Jahr benützt. Der Rest wird nach und nach zu Tortillas verarbeitet, die ein Grundnahrungsmittel in Mexiko sind. Ausserdem bauen die Bauern hier noch Bohnen an und in ihren kleinen Gemüsegärten Zwiebeln, Tomaten und gelbe Zucchini. Und in den unzugänglichen Gebieten auch Hanf und Opium, so munkelt man. Jedenfalls weiss man in dieser Gegend, der hohen Sierra Madre Occidental (um 2000m Meereshöhe) sehr genau Bescheid über die aktuellen Preise. Die Felder, die versteckt liegen und am besten per Pferd zu erreichen sind, bekommt man aber als normaler Tourist nicht zu Gesicht. Einzig die vielen Militärkontrollen und Soldaten, die über Felder streifen, erinnern einem daran, dass es lukrativere Geschäfte als Mais und Bohnen geben muss. Das kleine Haus besteht aus einer Küche, in deren Ecke ein originaler "Herd" steht, ein gemauertes Quadrat mit einem Abzug durch das niedrige Dach, auf dem immer ein kleines Feuer brennt und heisses Wasser bereitsteht. Ein Teil der Herdstelle ist mit einem Blech abgedeckt, das als Bratfläche für Tortillas dient. Der Boden ist festgetretener Naturboden, auf den immer neues Abwaschwasser geschüttet wir, damit er schön fest bleibt. Angrenzend, durch grosse Tücher abgedeckt, liegt ein Schlafzimmer, das mit Betten angefüllt ist. Vorne liegt noch ein weiteres kleines Schlafzimmer mit einem grossen Spiegel und einer riesigen Sammlung Heiligenbildern, einem gekreuzigten Jesus und weiteren Reliquien.



José Antonio, unser Gastgeber, ist stolzer neuer Besitzer eines zitronengelben Pickups, der zwar bei jedem Startversuch stottert und spuckt und fürchterlich röhrt, aber nichtsdestotrotz funktioniert. Zusammen mit den ältesten Söhnen Antonio (14) und Luis (13) reitet er jeden Tag aus, um nach seinen Feldern und den paar Kühen zu sehen. Dora, seine Frau, kümmert sich unterdessen um die zwei anderen Kinder Carmina (7) und Leonel (10), die allerdings nur am Wochenende hier sind und unter der Woche im Internat zur Schule gehen. Sie ist froh über unsere Anwesenheit und redet gerne mit uns über Gott und die Welt. Leonel holt mit dem Esel jeden Morgen zwei Ladungen Wasser aus einer nahegelegenen Quelle. Später muss er der Mutter helfen, den nixtamal, den gewässerten Mais, in einer Mühle zu zermahlen, damit sie dreimal täglich frische Tortillas backen kann.



Sofort werden wir eingeladen, immer mit der Familie mitzuessen. Wir steuern aus unseren Vorräten Nahrungsmittel bei, aus denen Dora dann etwas für die ganze Familie zubereitet. Auch hier werden zuerst die Männer bedient. Sie selber steht hinter dem Herd und versorgt uns alle mit heissen Tortillas. Erst wenn alle satt sind, steckt sie sich etwas in den Mund, meistens stehend. Gerne tauscht sie unsere Fabrikeier gegen ihre kleinen Landeier ein. Ihr schmecken die Fabrikeier viel besser als die gesunden Eier von ihrem Rancho. Mit den Maistortillas geht es ihr ähnlich. Ihre eigenen mit dem sicherlich biologisch angebauten Mais munden ihr weniger als die gekauften, die mit einem vitaminangereicherten Maismehl hergestellt werden. Ein kleines bisschen Luxus muss eben sein, auch wenn es nur Eier und Maistortillas sind.



Der Höhepunkt unseres Besuches ist aber eine kleine Kochstunde. Dora zeigt uns, wie man Bayusa (Agavenblüten) zubereitet. Es ist eine etwas langwierige Sache, doch das Resultat ist erstaunlich schmackhaft (klicke hier um das Rezept zu sehen). Zusammen mit Rühreiern, Bohnen und Tortillas, diesmal verwöhnt sie uns mit tortillas de harina, die mit manteca (Schweineschmalz) zubereitet werden, werden die fertig gekochten Agavenblüten verspiesen. Übrigens wird auch der junge Blütenstand verarbeitet. Das Endprodukt sind dicke braune Scheiben, die mit Limesaft und Chilepulver gewürzt werden. Man kaut darauf herum und spuckt die Fasern aus, das ganze schmeckt wie eine Mischung aus Holz und geräuchtem Fisch. Abends werden auf dem Küchenboden Holzkohlen ausgestreut und carne asada zubereitet. Dünne Fleischfetzen, fast wie Schnitzel, nur viel grösser, werden gewaschen und mit Salz eingerieben. Auf dem improvisierten Grill werden sie so lange gewendet, bis sie schön dunkel und knusprig sind. Die Familie isst das Fleisch und die Bohnen geschickt mit den Tortillas, die wie Besteck funktionieren, wir aber müssen noch lernen, so ganz ohne Gabel zurechtzukommen.



Da die Gegend noch viele spannende Ecken zu bieten hat und in den Blumentöpfen vor Doras Küche interessante Pflanzen wachsen, die uns die beiden Buben gerne zeigen würden, werden wir auch diesem Rancho, "con el favor de Dios", einen weiteren Besuch abstatten.



Dies sind nur zwei kleine Erlebnisse, doch sie stehen exemplarisch für die Mentalität der Menschen hier. Auch wenn man selber fast nichts bis gar nichts hat, man teilt mit den anderen und gibt gerne sein letztes Hemd. Immer wieder wurden wir zum Kaffee oder einer heissen Tortilla eingeladen, wenn wir uns nur schnell nach dem Weg erkundigten. Immer wieder wurde uns angeboten, uns wie zuhause zu fühlen und so lange, wie es uns gefällt, zu bleiben. Von einem Polizisten im Dienst bekamen wir eine halbe Rehkeule geschenkt. Von einem nahegelegenen Rancho bringen einem die Kinder morgens Osterkekse zum Frühstück. Bauern holen Grapefruits von ihren Bäumen, die man alle einpacken muss. Sogar unsere Wassertanks können wir gratis mit Trinkwasser füllen und bekommen auch gleich noch unsere leeren Bierflaschen durch volle ersetzt. Mit etwas Spanisch und dem Interesse am Leben anderer Menschen wird man sofort herzlich aufgenommen und wie alte Freunde behandelt. Mexico ist ein Land der Gastfreundschaft und wir können mit Überzeugung sagen, dass wir uns hier wohlfühlen.



April 2001



Julia Etter & Martin Kristen