travelog 34




Das kleine helle Kästchen im Zentrum dieses Bildes ist unser PocoLoco !



Indian Coral Mesa



Langsam färbt sich der Himmel hell und eine phantastische Landschaft schält sich aus dem Dunkel. Gegen Osten hin eine weite Fläche strohgelben Grases durchsetzt mit grossen graugrünen, stahlgrauen, teils hellblauen Agaven und Dasylirien. Gegen Westen korallenroter Fels (daher wohl der Name) und viel Luft - hier fällt der Fels über eine Klippe rund 300 Meter in die Tiefe. Die Fernsicht von hier gegen Westen über unzählige Bergketten in verschiedenen Blautönen ist atemberaubend.



Wir sind zum dritten Mal hier und geniessen diesen Standort jedes Mal von neuem in vollen Zügen. Es ist der Typ-Standort (der Standort, der für die wissenschaftliche Typ-Beschreibung einer Pflanze gewählt wurde) einer sehr attraktiven und seltenen Pflanze: Agave toumeyana ssp. bella. Hier, entlang des Kliffrandes, stehen die Pflanzen zu Tausenden. Teilweise ist es richtiggehend schwer, einen Fuss vor den anderen zu setzen, ohne eine dieser Pflanzen zu berühren. Warum sie ausgerechnet hier so zahlreich wachsen, ist uns schleierhaft. Es wird wohl zusammenhängen mit der speziellen Bodenbeschaffenheit und mit der Position am Kliffrand, die viel Wind und auch recht häufig Feuchtigkeit mit sich bringt. Die teils beissende Kälte überstehen die Pflanzen hier recht gut, da sie durch ihre sonnenexponierte Lage tagsüber auch im Winter sehr viel Wärme zugeführt bekommen.



Wir beginnen unseren Tag mit einer kleinen Fototour, bevor wir uns dem Frühstück widmen. Die Zeit bis zum Sonnenaufgang muss genutzt werden, da nur dann besonders die grossen Agaven ohne störende Schlagschatten aufgenommen werden können. Zwar müssen Korrekturfilter eingesetzt werden, um den starken Blaustich des angehenden Tageslichts zu kompensieren. Dies ist jedoch bedeutend einfacher, als mit grossen Diffusionsschirmen zu hantieren. Es ist sehr kalt und so frieren uns fast die Finger ab während der Fototour. Da zieht man sich dann gerne wieder ins warme Fahrzeug zum Frühstück zurück und geniesst den heissen Kaffee/Tee und den selbstgebackenen österreichischen Mohnstrudel.



Später geht es wieder hinaus zur zweiten Fotosession. Speziell die gerade erst aufgegangene Sonne bringt mit ihrem Gelbstich eine gewisse Wärme ins Bild, die wir uns nicht entgehen lassen wollen. Die Berge versinken noch nicht im Dunst und die Klippen leuchten in einem warmen Rotton.



Der einzige wirkliche Nachteil bei unseren Fototouren zu dieser Jahreszeit stellen die Jäger dar, die leider überall ihr Unwesen treiben. Einzige Ausnahme sind die Sonntage. Da haben auch die armen Hasen frei, denn bekanntlich soll man am Tage des Herrn nicht sündigen. Und so sind wir denn auch speziell vorsichtig, um nicht zufälligerweise das Opfer irgendeines wild um sich knallenden Irren zu werden. Jedes Jahr fallen ja einige harmlose Leute diesem sogenannten "Sport" zum Opfer. Die Jäger versuchen sich voreinander durch das Tragen von grell-orangen Mützen zu schützen (die vom Wild nicht gesehen werden können). Wir fühlen uns - besonders in den grauen Morgenstunden - doch immer etwas unwohl. Lauert wohl hinter dem nächsten Busch ein Jägersmann ?



Dann bricht eine etwas faule Zeit für uns an. Wenn es der Wind zulässt, sitzen wir draussen in der Sonne, lesen etwas oder bearbeiten unsere neusten Bilder am Computer, was sich jedoch nur im Fahrzeug drinnen bewerkstelligen lässt. Mal gehe ich nach geeigneten Fotomotiven suchen, baue unseren Feuerplatz mit herum- liegenden Steinen oder Julia sucht Feuerholz. Wir grillen hier lieber mittags, da sich das Grillgut bei Tageslicht besser unter Kontrolle halten lässt als abends. Oft ist es uns nämlich schon passiert, dass die Nacht plötzlich hereingebrochen ist, unser Grillgut aber beileibe noch nicht a point gebraten war. Das Gefummel mit der Taschenlampe können wir uns gern ersparen. Ausserdem sind wir im Winter nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr gerne draussen, es ist schlicht und ergreifend zu kalt.



Heute grillen wir ein typisch amerikanisches Steak. Riesig und dick, wie es sich gehört. Dazu wird das Feuer angefacht, was hier in der Wüste recht einfach ist. Die abgestorbenen Pflanzenteile brennen leicht, aber recht lang und geben eine ungewöhnliche Hitze ab. So wird unser Steak schnell braun und knusprig. Manchmal müssen wir auch eine Alu-Folie unterlegen, damit unser Grillgut nicht zu schnell zu Kohle verwandelt wird.



Nach dem Mittagessen ist eine weitere Fototour angesagt (was gleichbedeutend ist mit einem Verdauungsspaziergang), wobei wir uns da auf die kleinen Pflanzen spezialisieren. Jene, die einfach mit einem Diffusionsschirm zu beschatten sind (Diffusionsschirm = runde Schirme in verschiedenen Durchmessern, die mit einem milchigen Tuch bespannt sind und die harten Lichtkontraste brechen, wenn man sie zwischen Sonne und Fotoobjekt hält). Dabei ist man vorteilhafterweise zu zweit. Denn am Boden zu kauern, an Stativ und Kamera zu hantieren und gleichzeitig den Diffusionsschirm in der richtigen Stellung zu halten und hierbei natürlich evt. gegen den Wind ankämpfen zu müssen, dazu müsste man gleich einer Krake sieben Arme mit zehn Händen haben...



Bei unserer Suche nach den geeigneten Fotomotiven entdecken wir auch viele andere Pflanzen, die das Herz eines richtigen Sukkulentenfreundes höher schlagen lassen. So finden wir das eher seltene Graptopetalum rusbyi (in dieser Jahreszeit in etwas schlappem Zustand), die nicht so seltene, jedoch schwierig zu findende Dudleya saxosa ssp. collomiae - beides Vertreter der Dickblattgewächse (oder Crassulaceae). Daneben all die Pflanzen aus der Gruppe der Agavengewächse (oder Agavacaeae), neben Agave toumeyana ssp. bella auch Agave chrysantha und Agave parryi ssp. parryi, Dasylirion wheeleri, Nolina microcarpa, Yucca baccata und Yucca elata. Weiter stolpern wir auf Schritt und Tritt über verschiedene Vertreter der Kakteen (oder Cactaceae): Echinocereus engelmannii aff., Echinocereus fasciculatus, Echinocereus triglochidiatus var. melanacanthus, Coryphantha vivipara var. arizonica, Mammillaria grahamii und diverse Vertreter der Opuntien (Cylindro- wie Platyo-Opuntia). Es ist ratsam, die Augen auf den Boden gerichtet zu halten, da es sonst recht schmerzhafte Überraschungen geben kann. Und doch: ein Eldorado für den Pflanzenfreund ! Unsere beigefügten Bilder können leider nur wenig dieser Schönheit wiedergeben.



Wenn sich die Sonne im Westen dem Horizont zu neigt, wird das Licht wieder gelber und damit für den Fotofreund besser. Nach einer weiteren Fotostunde ist die Tagesarbeit getan und wir können uns ganz dem Farbenspiel des Sonnenuntergangs mit einem Gläschen eines guten Weines in der Hand widmen. Oftmals, besonders wenn kleine Wölkchen am Himmel stehen, spielt sich ein richtiggehendes Feuerwerk in orange bis dunkelrot auf dunkelblau bis violett verfärbtem tiefem Himmel ab. Dann dreht jemand plötzlich das Licht aus.



Doch auch der dunkle Nachthimmel birgt seine Reize, besonders hier, wo keine grossen Städte in der Nähe sind. Hinter den fernen Bergketten kann man zwar die Millionen von Lichtern von Phoenix erahnen. Doch der Himmel ist übersät mit Tausenden von Sternen und der Mond taucht die Umgebung in ein milchiges Licht.



Wir schreiten zum Abendessen, welches wir meistens eher knapp halten, um nicht mit voll angefüllter Wampe ins Bett steigen zu müssen. Heute ist es ein wenig Käse mit Birnen, dazu Crackers und ein Glas Rotwein. Gerade genug, um nicht mit knurrendem Magen ins Bett zu steigen.



Dezember 2000



Julia Etter & Martin Kristen