travelog 33






Christmas Parade



Sie wird auch "Christmas City", die Weihnachtsstadt, genannt. Wir befinden uns gerade in Prescott, im nordwestlichen Arizona, rund 200km südlich des Grand Canyon South Rims. Es ist eine sehr hübsche Gegend, geprägt durch gelb-rot-braune Boulders (Felsen), die wie aufeinander getürmte Murmeln wahllos in der Gegend liegen. Prescott wird auch die "One-Mile-City" genannt, da sie auf rund einer Meile über Meereshöhe auf 1600-1800m liegt.



Wir besuchen Margaret und Thilo, langjährige Freunde, die wir schon seit rund zwei Jahren nicht mehr gesehen haben. Wie bei mir üblich, lege ich Hand an deren zwei Computersysteme, installiere Betriebssysteme und alle Programme neu, lade die neusten Updates dafür aus dem Internet und zeige den beiden, wie sie sich selbst am besten organisieren und den grössten Nutzen aus ihren Maschinen ziehen können. Ich schlage mir so die Zeit tot, während Julia mit Thilo in dessen Unimog- und Pinzgauer-Garage unseren etwas kränkelnden Generator auf Vordermann bringt und andere kleine Problemchen bereinigt (und wer sagt da, Frauen seien nicht geeignet als Mechanikerinnen, hä ??).



Thilo hat immer viel um die Ohren und so zieht sich unser Kurzbesuch in die Länge. Eines Tages kommt er mit der Idee, wir könnten doch an der Christmas Parade als Mitglieder seines VW-Clubs teilnehmen. Nach kurzer Rücksprache mit seinen Club-Kollegen werden wir hochoffiziell eingeladen, an der Parade mit PocoLoco mitzufahren. So wird also die Reparatur des Solarpanels, dessen Rahmen durch einen starken Ast anlässlich unseres letzten Baja California-Besuchs extrem verbogen worden war, auf den Montag nach der Parade verschoben, um PocoLoco einsatzbereit zu halten.



Julia besorgt zwei Tage vor der Parade noch Dekorationsmaterial, um PocoLoco etwas festlicher aussehen zu lassen. Lamettagirlanden in rot und blau, plastifizierte Efeuketten mit eingearbeiteten Blumen - gerade genug, um einen guten Eindruck zu schinden. Selbst die allgemein übliche rote Nikolausmütze mit weisser Quaste darf natürlich nicht fehlen.



Am Samstag, den 2. Dezember, ist es dann soweit. Wir schmücken die Fahrzeuge und fahren um die Mittagszeit an den Sammelpunkt des VW-Clubs. In allerletzter Sekunde werden noch vorgefertigte Schleifen in rot, silber und grün auf PocoLocos Raddeckel geklebt und der Mercedes-Stern auf dem Kettenkasten wie ein lachendes Gesicht verziert. Es wird vereinbart, dass Julia zusammen mit Margaret fährt und ich mich als Fotograf betätigen soll.



So ziehe ich also mit verschiedenen Kameras los und versuche, mir einen guten Platz in der Menge zu ergattern. Viele Leute sind unterwegs, das Fernsehen hat seine Übertragungswagen geschickt und auch das Wetter spielt bestens mit.



Die Parade selbst ist für jemanden, der beispielsweise die Basler Fasnacht miterlebt hat, ein wenig enttäuschend. Nur wenige der Teilnehmer haben sich ein Thema gesetzt und dieses auch visuell auf einem Wagen umgesetzt. Die meisten speziell dekorierten Wagen gehören irgendwelchen kirchlichen Organisationen an. Dazwischen paradieren kleine Gruppen von Leuten vorbei, die einem Club angehören (Hundezüchter, dann Leute in viktorianischer Kleidung). Dann wiederum fährt eine Serie von Autos (von 30er- bis zu 60er-Jahren) vorbei, die Polizei und Feuerwehr zeigt ihre älteren Fahrzeuge, stolze Eltern zeigen ihre Töchter als "Beauty Queens" (an irgendwelchen Schulen dazu nominiert), dann wiederum marschiert eine Gruppe von Militärköpfen in voller Tarnkleidung fahnenschwingend vorbei - selbst der obligate Hummer darf da nicht fehlen.



Auffallend ist, dass sich besonders ältere Leute immer aus ihren mitgebrachten Klappstühlen erheben, wenn eine amerikanische Fahne vorbeigetragen wird. Dabei wird dann die rechte Hand aufs Herz gelegt. Ein Zeichen eines langsam vergehenden Nationalstolzes.






Richtiggehend amüsant sind die "Senior Steppers", eine Gruppe von Frauen ab 50, gekleidet wie in ihren Jugendjahren, die ihre Step-Künste zeigen. Dann fahren die Leute einer christlichen Sekte (Potters' House) eine riesige abgehackte Hand (schön blutig verschmiert, versteht sich) auf einem Anhänger durch, auf der ein Holzkreuz und ein stilisierter Jesus in einer Telefon- kabine steht - was damit gesagt werden soll, das bleibt uns schleierhaft.



Ab und zu marschiert eine Gruppe von Musikanten vorbei, die amerikanische Marschmusik intonieren. Dazu dürfen natürlich die stöckchenschwingenden Majoretten in der passenden Kleidung nicht fehlen.



Dann hört man schon das unverkennbare Dröhnen von PocoLocos Druckluft-Hupen. Margaret und Julia benützen sie auch extensiv, machen richtig Lärm, was besonders den Kindern gefällt. Und da rollen sie auch schon an: die VWs des VW-Clubs, dazwischen ein etwas umgebauter BMW Isetta, Thilos Pinzgauer und unser PocoLoco. Was dieses Ungetüm wohl bei einem VW-Club sucht ?



Neben mir höre ich eine Frau ihren Liebsten fragen, ob er wohl wisse, was das sei. Er meint lapidar: "Keine Ahnung, scheint aber irgendwas aus einem Film sein". Und im Vorbeigehen höre ich kurz darauf eine Frau in Schweizerdeutsch zu ihrem Begleiter sagen: "Lueg emol, das sin Schwiizer !" (schau' mal, das sind Schweizer). Die Welt ist klein...



Jedes Altersheim hat den privaten Heimbus geschickt. Da wir uns im sonnigen Arizona befinden, ist ein solcher Bus natürlich mit getönten Scheiben ausgerüstet - was sich jetzt rächt. Schemenhaft sieht man Heiminsassen drin sitzen und winken, vergebens haben sie sich für diesen Anlass ihr schönstes Gewand übergezogen. Ein makabres Detail: Ein Teil der Busse ist mit grünen schweren Tannenast-Girlanden geschmückt, was dann dem Fahrzeug den Touch eines fahrenden Sarges gibt...



Innert einer Stunde ist alles vorbei, man fährt wieder nach Hause und freut sich auf den nächsten Event. Wir sehen uns einige Tage später den Fernsehbericht über diese Parade an. Die Kommentatorinnen reden sich dabei den Mund fusslig, erzählen über Clubs, Sinn und Zweck der Parade und wissen auch über jeden Teilnehmer etwas zu sagen. Alles und jedes ist wunderbar, wundervoll, toll, fantastisch und noch nie dagewesen. Als dann der VW-Club ins Bild rollt, wird von einem Familienclub geredet und bei Ansicht des BMW Isetta meint eine der Sprecherinnen ganz kess: "Schaut doch wirklich wie ein Käfer aus !" - nicht wissend, dass es sich dabei wahrlich um keinen VW Käfer handelt. Und dann rollt PocoLoco ins Bild und den Kommentatorinnen bleibt völlig die Sprache weg - 10 Sekunden peinliches Schweigen. Da hat wohl irgendwer vergessen, die guten Leutchen vorzuinformieren. Wir werden es überleben.



Nicht ganz vergessen wollen wir aber unsere Pflanzen. Denn gleich hinter dem Haus von Margaret und Thilo wächst eine bildschöne Agave (Agave parryi var. couesii), die wir im Rahmen unseres Prescott-Besuchs auch gleich im Schnee dokumentieren können.



Dezember 2000



Julia Etter & Martin Kristen