travelog 32






Las Vegas - Stadt der Superlative



Einmal im Leben muss man dort gewesen sein, haben wir gehört. Und wenn man einmal dort gewesen ist, wie ich, Julia, vor rund 14 Jahren, dann erkennt man den Ort nicht wieder, weil sich alles so schnell verändert. Eines ist jedoch sicher: man ist schlicht und einfach überwältigt von dieser Stadt - sei es im positiven oder negativen Sinne. Und zur Beruhigung für diejenigen unter Euch, die nun denken, wir wären den Pflanzen untreu geworden: Wir haben es nur knappe zwei Tage in der Spielhölle Las Vegas ausgehalten, bevor es uns wieder an den Busen der Natur zurückgezogen hat.



Alleine der Verkehr könnte einen dazu verleiten, sofort umzudrehen und in die Wüste von Südwest-Nevada zurückzukehren. Oder auf dem ewig verstopften Interstate (die amerikanische Autobahn) möglichst ohne Umwege durch das Zentrum der Stadt durchzufahren, um auf der anderen Seite wieder die grosse Weite vor sich zu haben. Doch wir haben unseren Platz auf dem Campingplatz des "Circus Circus" Casinos telefonisch vorbestellt und auch schon mit der Kreditkarte bezahlt, also gibt es kein Zurück. Für einmal sind wir froh und dankbar, dass ein Campingplatz gleich neben der Autobahn liegt, so bleibt es uns erspart, auf dem "Strip" (DIE Strasse in Las Vegas - dem Las Vegas Boulevard) von Rotlicht zu Rotlicht zu zuckeln. Der Campingplatz entpuppt sich als asphaltierter Parkplatz mit Toiletten- und Duschhäuschen, Abfalleimern, einem Sandkasten für die Hunde und einigen wenigen Bäumen. Alle Plätze sind besetzt, schliesslich ist Thanksgiving- (Erntedankfest) Wochenende und die Familien treffen sich für ihren Truthahnschmaus.



Bei Tageslicht ist Las Vegas nicht sonderlich spektakulär. Erst in der Dämmerung, wenn die Millionen von Lichtern angemacht werden, beginnt die Stadt Form anzunehmen. Plötzlich sind viele Menschen unterwegs, der "Strip" ist nun völlig unbefahrbar, jedes Casino wirbt mit Shows und Special Effects für sich und Animatoren versuchen, hungrige Gäste für's billige Buffet zu begeistern. Auf den Parkplätzen wird Musik aus Lautsprechern gespielt. Sogar Bäume und Palmen sind verkabelt und die Fussgänger werden mit exotischem Vogelgezwitscher "verwöhnt". Beim "Treasure Island" machen sich die Mannschaften zweier Piratenschiffe bereit, sich im Teich vor dem Casino ein Gefecht zu liefern. Die Menge wartet geduldig mit Gratis-Drinks, Bier oder Cola in den Händen. Beim "The Mirage" bricht alle 15 Minuten ein künstlicher Vulkan mit Getöse aus einem erhöhten Wasserbecken aus (lustiges Detail: auf einem Schild wird man darauf hingewiesen, dass das Fotografieren nur für privaten Gebrauch erlaubt sei). Aus der Spitze der Pyramide des "Luxor" schiesst ein Laserstrahl in den Himmel. Beim "New York New York" führt eine spektakuläre Achterbahn um den riesigen Gebäudekomplex herum.



Die grösste Attraktion aber - selbstverständlich neben dem Spielen - sind die meist spottbilligen "all you can eat"-Buffets. Nachdem wir unseren Nevada Reiseführer ausführlich studiert hatten (das Buch besteht zur Hälfte nur aus der Beschreibung von Las Vegas), entscheiden wir uns schliesslich für's "Rio". "All you can eat" für $1.99, wie ich mich erinnern kann, gibt es allerdings nicht mehr, wenigstens nicht in den grossen Casinos. Und Geduld muss man auch mitbringen, schliesslich ist Thanksgiving und wir sind nicht die einzigen, die sich die Bäuche vollschlagen wollen. Der letzte Schrei in Las Vegas sind internationale Buffets mit einem chinesischen, mexikanischen, italienischen und amerikanischen Sektor. Dazu kommt ein Salat- und ein Dessertbuffet. Wegen des Essens an sich sind wir allerdings nicht gekommen. Wir wollen die Massen erleben, die richtig fetten Leute (und wir meinen richtig fett, wie es sie nur in den USA gibt !), die sich die Teller richtiggehend vollstapeln. Da wird auf eine Lage von Salaten ein Steak montiert, darüber eine Lage Fisch, viel Sauce und gleichsam als Krönung auch noch ein Stück Kuchen auf dem Tellerrand plaziert. Wir arbeiten uns langsam durch das Buffet, nehmen kleine Portionen und sparen Hunger für die Süssigkeiten. Immer wieder legen wir eine Pause ein, um das Treiben um uns herum zu beobachten. Gut, dass niemand Schweizerdeutsch versteht !



Als krönenden Abschluss des Abends starten wir noch eine Tour durch die verschiedenen Casinos. An der Bar holen wir uns eine Gratis-Margarita: einen mittelmässigen Fertigmix direkt aus der Maschine. Wenn man nichts bezahlt dafür, darf man auch nicht zuviel erwarten. Alkohol ist hier übrigens billiger als ein normales Mineralwasser oder eine Cola. An den Spieltischen und Automaten herrscht Hochbetrieb. Man spielt Roulette, Black Jack, Craps, Poker. Für die Neueinsteiger gibt es einen "Gaming Guide. The How To Of Gaming"; auch nach der Lektüre bleiben uns die meisten Spiele schleierhaft. Die Chips wechseln die Besitzer, mal strahlt jemand, mal verwirft jemand die Hände über dem Kopf. An den Automaten klingeln und klimpern die Münzen, wenn sie ausgespuckt werden. Hier spielt man alleine für sich, füttert den Automaten mit Geld und hofft, das grosse Los zu ziehen. An den Wänden hängen Poster von glücklichen Gewinnern, die vor einem Monat einen Scheck über 1 Mio. Dollar abgeholt haben. Oder auch nur $13'987; wir gäben uns auch damit zufrieden. Einladend werben Schilder mit "it pays to play at O'Sheas!" ("es zahlt sich aus, im O'Sheas zu spielen !"). Oder "up to 98% payback!" ("bis zu 98% Rückzahlung ") - natürlich redet keiner davon, dass auch 0-1% in dieser Zahl inbegriffen sind. Oder man lässt sich verleiten durch "$40 of slot play for $20 you're a GUARANTEED winner!" ("Mit $20 für $40 spielen - Du bist GARANTIERT ein Gewinner !"). Doch das Hauptmotto ist: "winning's the MAIN thing!" ("gewinnen ist die Hauptsache !") - und die meisten scheinen daran zu glauben. Auffallend ist, dass es überall erlaubt ist, zu rauchen. Das stimmt die Spieler zusammen mit den Gratis-Drinks wahrscheinlich zufriedener und macht sie freigiebiger. Fast jede dritte Person ist ein Polizist oder ein hausinterner Wachmann. An praktisch jeder Ecke stehen Bargeld-Automaten, die es einem erleichtern, an mehr Geld zu kommen.



Thanksgiving verbringen wir auf dem "Strip". Der Bus bringt uns bis ans südliche Ende von Vegas, zum "Luxor". Man glaubt sich plötzlich in Ägypten, wenn man vor der riesigen 30 Stockwerke hohen Glaspyramide, der sitzenden Sphinx, den schwarzen Wachhunden und weiteren ägyptischen Statuen steht. Von aussen sieht die Pyramide sehr grazil aus, von innen ist es eine dunkle, massive Betonkonstruktion mit dem grössten Luftraum der Welt innerhalb eines einzigen Gebäudes. Das Hotel besteht aus 4500 Zimmern und ist "nur" das zweitgrösste in Las Vegas und "nur" das drittgrösste der Welt. Besonders angetan hat uns hier der "Karnak Kiosk", der beileibe keine ägyptisch angehauchten Gegenstände anbietet, nein, es werden Kaktus-Souvenirs und Indianerkunst aus dem Südwesten der USA feilgeboten - welch' Gegensatz !



Mit einer kleinen Bahn kann man direkt ins "Excalibur" zu den Rittern der Tafelrunde fahren. Mittelpunkt ist natürlich das Casino, doch man hat in der Zwischenzeit auch herausgefunden, dass Kinder eine gute Geldquelle sind. So befindet sich im Untergeschoss ein riesiger, lärmerfüllter Raum mit Flippern und besonders auf die Jugend ausgerichteten Spielautomaten. Im Obergeschoss finden wir die "Canterbury Wedding Chapel" (Hochzeitskapelle), wo der Fotograf gerade darauf wartet, dass das glückliche Paar erscheint. Die Kapelle ist natürlich einfach ein Zimmer, das wie eine Kapelle aufgebaut und eingerichtet ist. Heiratswillige können zwischen verschiedenen Arrangement-Varianten auswählen, die teils Blumen für die Braut, T-Shirts für das Brautpaar, ein Video, eine Flasche Champagner, sogar ein Strumpfband und eine bestimmte Anzahl genau definierter Fotos des Anlasses beinhalten. Neben der Kapelle breitet sich der Geruch nach gebratenen Hamburgern aus, McDonalds lässt grüssen. Etwas weiter entfernt stossen wir auf den St. Nikolaus, der sich für $7.99 mit Kindern ablichten lässt. Ein kleiner Mexikanerjunge heult und schluckt, Nikolaus versucht vergebens, ihn zu beruhigen, doch sein gewaltiger weisser Bart, das rot-goldene Gewand, die vielen Scheinwerfer und der imposante Thron bewirken eher das Gegenteil. Schliesslich entscheidet die gestresste Mutter, dem Nikolaus nur die zwei strahlenden Töchter auf den Schoss zu setzen.



An einer Strassenecke finden wir "Dream Car & Motorcycle Rentals", wo glänzend geschrubbte Autos vor der Türe stehen. Für schlappe $500 kann man einen Ferrari F355 Spider für fünf Stunden lang spazierenfahren. Für einen Lamborghini Diablo muss man $900 hinblättern. Einen Porsche, Jaguar, eine Corvette oder ein Hummer Cabriolet gibt's schon ab $300 für 24 Stunden. Besonders beliebt sind die überlangen "Stretch Limousine", die Platz für 7-10 Passagiere bieten.



Nun geht's mit einem Bus ins "New York New York" mit der Freiheitsstatue, dem Empire State Building und weiteren bekannten Ansichten. Gegenüber liegt das MGM Casino mit einem goldenen Löwen fast so hoch wie das ganze Gebäude. Weiter nördlich folgt das "Paris" mit einem exakt nach den Originalplänen nachgebauten Eiffelturm, dem Arc de Triomphe und der Académie Française. Gleich daneben hat sich jemand den Traum von Venedig erfüllt und den Dogenpalast, die Rialtobrücke (mit eingebauter Rolltreppe !), den Campanile und einige Wasserstrassen nachgebaut. Und beim "Caesars Palace" gibt es die Forum Romanum Shops.



Abends begeben wir uns ins "alte" Zentrum von Las Vegas. Über einen ganze Strassenzug wurde ein gewaltiger Lichterteppich gebaut, der alle halbe Stunde in Aktion tritt. Dies ist die grösste Licht-Show und gleichzeitig die grösste Lichtreklame der Welt. Plötzlich gehen die Lichter der Souvenirgeschäfte und der Casinos aus, Musik dröhnt aus 200 Boxen und über unseren Köpfen erwecken zwei Millionen Glühbirnen den dunklen Himmel zu Leben. Mit Laserkanonen werden Flammen, Schlangen, Flüsse, Knöpfe, UFO's und vieles zum hüpfen und rasen gebracht. Wie wild zucken die Figuren von einem Ende ans andere, begleitet von einer ohrenbetäubenden, 540'000 Watt starken Musik.



Das Buffet im "Main Street Station" Casino ist anscheinend sehr beliebt. Bis wir endlich einen Tisch zugewiesen bekommen, stehen wir 50 Minuten in der Schlange. Glücklicherweise haben wir uns vorher noch mit einer 99 Cent Piña Colada eingedeckt. Martin reserviert sich fast allen Hunger für die verschiedenen Schokoladekuchen, während ich mich durch die verschiedenen Küchen dieser Welt durcharbeite. Die Familie am Nebentisch schlägt kräftig zu: Mutter und Vater gehören zur dickeren Sorte und kommen mit völlig überladenen Tellern zurück. Die zwei süssen kleinen Mädchen naschen an ihrer Pizza herum. Grossmutter hat sich von allem etwas auf den Teller gehäuft, nimmt drei Bissen und lässt den Rest stehen. Man hat ja dafür bezahlt, dass man sich soviel wie möglich nehmen kann ! Auch die zwei Dessertschüsseln, die Grossutter mitbringt, bleiben halbvoll stehen. Als krönenden Abschluss verwöhnt sie sich dann noch mit drei Stücken Pizza, von denen ihr aber nur der Teig zu schmecken scheint. Die Schweine müssen in Las Vegas wirklich sehr glücklich sein bei den vielen Essensresten, die sie vorgesetzt bekommen !



Natürlich muss man bei einem Besuch in Las Vegas auch einmal spielen. Da uns der Minimaleinsatz beim Roulette zu hoch ist, die Leute beim Black Jack viel zu schnell sind und wir den Rest der Glücksspiele nicht begreifen, entscheiden wir uns eben für einen der stupiden Automaten. Unser Einsatz sind $10. Plötzlich stellen wir fest, woher das ewige Geklimper und Geklingel kommt: Man füttert den Automaten mit einer Dollarnote und bekommt Münzen dafür. Wenn Leute den Automaten mit $100 füttern, dann spuckt der Automat entsprechend viele Münzen aus und alle rundherum denken, wenn's bei dem funktioniert, dann muss es doch auch bei mir gehen ! Unser Spiel ist wirklich stupid: man füttert den Automaten mit einer Münze, drückt auf einen Knopf und wartet, bis drei Symbole angezeigt werden. Natürlich gewinnt man nur etwas, wenn spezielle Symbole nebeneinander stehen. Bald haben wir die $10 verspielt, holen erstaunlicherweise wieder auf $8 auf und beschliessen, alles zu verspielen oder aufzuhören, wenn wir mehr als $10 in der Hand haben. Und es kommt, wie es kommen muss - das Münzhäufchen verschwindet nach und nach in der dummen Maschine und im Hintergrund lacht sich einer eins über die doofen Touristen.



Die meisten der Besucher von Las Vegas denken wahrscheinlich, sie könnten die Spielautomaten besiegen. Ein Mann im Bus sagt uns, er sehe seinen Spieleinsatz wie eine Kurtaxe. Irgendwer muss schliesslich die vielen Lichter, Gratis-Shows und Gratis-Drinks finanzieren. Womit er nicht ganz unrecht hat.



November 2000



Julia Etter & Martin Kristen