travelog 3



Die anderen Amerikaner



...und das andere Amerika, erlebt in einem Ort Namens Sierra Vista, Arizona.



Als Einleitung wollen wir nur vorausschicken, dass diese Erlebnisse wirklich zur Art "Encounters of the third kind" gehören. Denn bis anhin haben wir es nur mit ausgesprochen freundlichen, hilfsbereiten, netten Amerikanern zu tun gehabt, deshalb traf es uns in dieser seltsamen Stadt auch etwas unerwartet:



Auf einer Piste direkt neben dem Grenzzaun zu Mexiko bewegen wir uns gen Westen (immer mit einem sehnsüchtigen Auge 'gen Süden blinzelnd), dies, obwohl uns diverse Male eingeschärft wurde, die Erdpisten nicht zu befahren nach einer Regenperiode. Es geht alles gut, die meisten Pistenteile sind gut abgetrocknet und wir bleiben nicht stecken - wie anderswo auch schon passiert.



So treffen wir wieder auf die normale Strasse und entdecken plötzlich im Rückspiegel das Auto eines Sheriffs, das uns eine geraume Weile vorher entgegengekommen war. Aha, wieder einmal ein "Hüter des Gesetzes", der uns zwecks Kontrolle nachfährt. Er verhält sich jedoch ungewöhnlich ruhig. Zwar mache ich Martin darauf aufmerksam, sage ihm auch, dass ich den Eindruck hätte, der Officer hätte mit den Scheinwerfern geblinkt, doch er meint, das könne er sich nicht vorstellen, denn wenn ein Polizist in den Staaten etwas von einem wolle, dann zündet er seinen Christbaum an. Ich behalte also die Blinklichter immer im Auge und halte mich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Nach einer geraumen Zeit - die uns wie die halbe Ewigkeit vorkommt (der Mann scheint Geduld zu haben) - erklingt das erwartete Geräusch, die Sirenen ertönen und das ganze Auto blinkt festlich. Sofort halte ich an und wir verhalten uns ruhig, wie man es uns angeraten hatte. Der Sheriff ist noch mit seinem Funkgerät beschäftig, Martin kramt unsere Fahrausweise heraus und wir überlegen, was er denn wird sehen wollen. Denn: der ganze Rest befindet sich im Safe - den wir nicht SCHON wieder öffnen wollen. Aber der Sheriff entpuppt sich als sehr netter Mensch, der nur an unserem aussergewöhnlichen Auto interessiert ist. Er sei eben ein bisschen "nosy", meint er, hoffe, dass uns die kleine Pause, die er uns verschaffe, nichts ausmache, linst - auf dem Trittbrett stehend - um mich rum Richtung Aufbau und plaudert nett mit uns. Dann fragt er, ob er dürfe, holt nach unserer Einwilligung seine Polaroid-Kamera aus dem Auto und stellt sich mitten auf die Strasse, um Bilder von unserem fahrbaren Häuschen zu machen. Wir sprechen unsere Hoffnung aus, endgültig nun in allen Computern registriert und bei allen Polizisten der Region bekannt zu sein, damit uns in Zukunft keine Border Patrol oder ähnliches mehr aufhält ! (Witziges Detail: es scheint wirklich so zu sein, denn seither fahren immer wieder Border Patrol-Fahrzeuge an uns vorbei, aus denen Uniformierte winken und grüssen).



Kurz darauf erreichen wir Sierra Vista. Es ist eine unscheinbare Stadt, jedoch grösser als erwartet. Eines dieser (etwas grösseren, da amerikanischen) Strassendörfer, die sich um Tankstellen, Supermärkte, Einkaufszentren und sonstigen Konsumtempeln herumscharen. Vielleicht so gegen 8 Kilometer lang, mit vielen Ampeln, 4-spuriger Hauptstrasse und zentraler Abbiegespur. In der Ranger Station des National Forest Service (des angrenzenden Coronado National Forests) sind die Leute ungemein freundlich und versuchen wirklich alles, um uns unsere angestauten E-Mails senden zu lassen, doch ihre Telefonleitungen scheinen aus dem Mittelalter zu stammen. Mit einem selbstgezeichneten Stadtplan bewaffnet und Tips für den National Forest verlassen wir diese gastliche Stätte.



Eigentlich wollen wir uns zwei Steinschlag-Löcher in unserer Windschutzscheibe reparieren lassen, doch der Mann will erstens 50$ dafür und sieht zweitens nicht sehr vertrauenserweckend aus, also lassen wir es bleiben. Mit dem Versprechen, es uns zu überlegen und morgen wiederzukommen (diesen Trick scheint er zu kennen, denn er schaut etwas schräg), ziehen wir von dannen.



Nun gehen wir auf die Suche nach einem Campingplatz, weil wir uns länger in der Gegend aufhalten möchten und dazu dringend Wasser tanken müssen. Der erste Platz, den wir anfahren (mit grossem Werbeschild) scheint eher etwas für Monatsaufenthalter zu sein. Überall stehen die fahrbaren "Homes" herum, die die Eigentümer rundum gegen den Boden hin verschalen, dass man meint, es sei ein gebautes Häuschen. Manche haben auch ihr kleines Gärtchen vor der Türe. Nach zwei "bumps" (Bodenwellen gegen die Raser) und einer "neighborhood crime watch"-Tafel weisen uns grosse Schilder zum "Office". Da Martin heute der Beifahrer ist, ist es an ihm, die Formalitäten zu regeln. Die Türe zum Office öffnet sich vor ihm wie von Geisteshand, im Rahmen steht ein rotgesichtiger, etwas untersetzter Mann in den 50ern und fragt ganz entgeistert, was das denn sei, in dem wir gerade angekommen seien. Nach ein paar klärenden Worten und mit der Zusicherung, dass wir keine Beziehungen zum Militär hätten, wird Martin in ein muffiges Büro eingelassen. Auf die Besucherstühle möchte er sich nicht setzen, denn die sehen nicht gerade vertrauenswürdig aus. Der Eigentümer raspelt seinen Sermon herunter, es würde $13.86 pro Nacht kosten, es gäbe aber keine Duschen oder Toiletten, keinen Stromanschluss, jedoch Wasseranschluss könnte er uns zur Verfügung stellen. Martin macht das ganze abhängig von der Möglichkeit, unsere E-Mails absenden zu können. Der Mann schaut ratlos und fragt erst mal nach, was denn E-Mail sei. Und als er das Wort "Computer" hört, meint er lakonisch, das sei das, mit dem seine Kinder spielen würden - er wisse nichts von diesen Dingen. Martin erklärt langsam und möglichst gut verständlich, wie es ablaufe, dass es sich also nicht um einen Telefonanruf in die Schweiz handle, dass es ein etwa 5-minütiges Gespräch nach Tucson sei (rund 120km entfernt) und dass wir ja bereit seien, die Gesprächstaxen zu bezahlen. Der Mann ist immer noch ratlos und geht seine Frau fragen. Sie erscheint auf der Bildfläche und scheint, nach ihrem Gehabe zu urteilen, die Eigentümerin zu sein. Sie setzt sich theatralisch in den Bürostuhl, sieht Martin ganz giftig an und meint nur, dass das ja ein FERNGESPRÄCH sei und sie hätte schon genügend komische, ihr unbekannte Gesprächstaxen auf ihrer Fernmelderechnung, sie könne sich deshalb keinesfalls auf ein solches Wagnis einlassen. Keine E-Mail, also keine $13.86 ! Martin grüsst freundlich und verlässt das Office. Zwei etwas verdutzte Leute sehen ihm nach. Es gibt zwar viele weitere Mobil Home Parks, doch keine normalen Campingplätze. So geht unsere Suche eben weiter.



Ich entdecke, an einer der vielen Kreuzungen auf grün wartend, neben mir ein Fahrzeug eines Glaserbetriebes und fahre ihm einfach nach bis zu seiner Firma, die ja nicht weit sein kann. Die Leute sehen sich unsere Windschutzscheibe an und meinen dann (wahrscheinlich, weil sie so mehr verdienen), dass sie die zwar reparieren könnten, dass sich das aber letztendlich nicht lohnen würde, weil man nicht verhindern könne, dass sie weiter bricht. Statt uns die Kosten für eine Reparatur zu sagen, fragen sie uns am Ende sogar noch nach der Adresse in den USA, die eine neue Unimog-Windschutzscheibe liefern könnte. Hat der Mensch Worte !



Bei einem Buchladen gehen wir (wie schon üblich) auf die Suche nach antiquarischen Kakteenbüchern und erstehen zum Schluss 3 Detail-Wanderkarten von Nationalparks, die wir noch besuchen wollen. Eigentlich kosten diese wetterfesten Karten um die $10, zwei sind mit $1 und eine mit $4.50 angeschrieben. Ich frage also etwas verständnislos die Dame an der Kasse, ob die denn wirklich nur $1 kosten. Sie versteht mich falsch und meint, ich würde fragen, ob die dritte Karte denn nicht auch $1 kosten könne - und so gibt sie uns alle für je $1. Ich will nachdoppeln, denn es gibt auch noch andere $4.50-Karten, die interessant sein könnten für uns, doch sie winkt ab und meint, sie könne uns nicht noch mehr für $1 geben, sie wollte einfach nur freundlich sein !



Martin meint, als er ein Computergeschäft sieht, dass er vielleicht dort unsere E-Mail loswerden würde und betritt das Geschäft. Ein freundlicher älterer Herr meint hinter der Kasse, er sei sicher, ihm bei der Lösung seines Problems helfen zu können. Martin ist sich da nicht so sicher, fragt aber mal nach, ob er denn seine E-Mail nach Tucson senden dürfe, er würde auch das Gespräch bezahlen. Der Herr scheint nicht abgeneigt zu sein, muss aber seinen Chef fragen. Der Chef, ein dicklicher, unfreundlicher Mann der schmierigen Sorte, meint nur lakonisch, da könne ja jeder kommen und er habe hier nur ein Telefon-Ringsystem und mit dem könne man sowas sowieso nicht. Dumme Ausreden haben die Leute !



Nun versuchen wir unser Wasser-Glück an einer Tankstelle, doch als der Mann hört, dass wir ca. 60 Gallonen (ca. 160 Liter) Wasser tanken wollen, meint er, dass das Wasser in dieser Gegend unerhört teuer sei und mit wichtigem Blick doppelt er nach, dass wir ja hier IN DER WÜSTE SEIEN, da sei Wasser eben rar ! Er muss den Chef fragen, und der schickt uns in den Stadtpark, dort würde es Wasser geben. Langsam wird es dunkel, wir erreichen den Park, doch ausser Toiletten und kleinen Wasserspendern, wie es sie in Büros ab und zu gibt (die Leutchen meinten vielleicht, wir würden mit einem Wasserkrug hin- und herwetzen, bis wir unsere Tanks wieder aufgefüllt hätten), ist hier weit und breit kein Wasseranschluss zu sehen - doch der Tankwart wurde uns auf elegante Weise los...



Nun versuchen wir es auf einem Campingplatz, den uns eine Verkäuferin angegeben hatte, leider muss man da ein "Elk" (=Hirsch) sein, der Platz und das Familienrestaurant sind nur für Mitglieder reserviert. Da fährt uns ein Sheriff über den Weg und verweist uns an einen Mobil Home Park mit einigen normalen Stellplätzen gleich um die Ecke. Das Office ist schon geschlossen, doch die Nachbarn meinen, wir könnten auch am nächsten Tag bezahlen. Martin füllt im Sandsturm die Tanks auf und ich wundere mich die ganze Nacht über, dass keine Teile der instabilen Mobile in der Luft herumfliegen. Die ganze Nacht über regnet es, doch am Morgen ist der ganze Spuk vorbei und so weit das Auge reicht nur blauer Himmel zu sehen. Ehrlich wie wir sind - oder blöd ? - fahren wir zum Office, wo ich für die Nacht bezahlen will. Die Dame versteht nicht ganz und meint, wir könnten nur für eine Nacht nicht bleiben. Dann dämmert ihr, dass wir genau das getan haben und sie verwandelt sich in eine Furie. "Honey", das geht nicht, "Honey" da muss ich die Polizei holen, "Honey" das ist Hausfriedensbruch etc., etc. Bis ich ihr klar mache, dass uns ein Sheriff an den Ort verwiesen hat. Da versteht sie die Welt überhaupt nicht mehr. Als ich dann auch noch versichere, dass das Tor weit offen war und uns ein Nachbar sagte, wir könnten auch am nächsten Morgen bezahlen, ist sie endgültig ganz aus dem Häuschen. Sie beschliesst, mich als unwissende Europäerin nicht zu verklagen, verspricht aber, dass der Sheriff grosse Probleme bekommen wird, was mir relativ egal ist. Und für die Nacht will sie auch kein Geld, wahrscheinlich weiss sie auch nicht, wie sie mir das verrechnen soll... Als ich dann schweissgebadet das Office verlasse, fragt mich Martin als erstes, ob wir hier jetzt auch die E-Mails losschicken könnten...



Wir beschliessen, diesen "gastlichen" Ort zu verlassen und nur mehr zu durchfahren, wenn wir es tun MÜSSEN. Aussteigen werden wir da aber nie wieder !



P.S.: Von Freunden haben wir letzthin gehört, dass "Sierra Vista" in Arizona auch unter dem Namen "Sorry Vista" bekannt ist - wir wissen genau weshalb !



März 1998



Julia Etter & Martin Kristen