travelog 29






BooBoo Kitty in Redwood City



Ihr Name ist "Beast". Doch man ruft sie auch "BooBoo Kitty" (ausgesprochen Buhbuh Kitty), "Peaches" (für Pfirsich) und "Miss Priss" (für Prinzessin). Ob sie auf ihre Namen hört, das ist eine ganz andere Geschichte... Sie ist eine reinrassige Perser-Züchtung mit eingedrücktem Gesicht - die einen finden es wunderhübsch und süss, die anderen tendieren eher zu hässlich. Gesellschaft leistet ihr "Yoda", ein kleiner schwarzer Kater mit riesigen Lauschern, der zu der wilderen Sorte gehört. Und einsam und alleine im Schlafzimmer haust "Thor", ein riesiger Kater mit Katzen-AIDS, der doch so gerne unter Menschen wäre.



Letztes Jahr hatten wir mit Freunden in Redwood City ausgemacht, dass wir ihr Haus und v.a. die drei Katzen hüten und pflegen werden, solange sie in Deutschland sind, um sich mit ihrem neuen Unimog anzufreunden. San Francisco gehört zu einer unserer Lieblingsstädte in den USA, und so kam uns diese Gelegenheit sehr entgegen. PocoLoco einfach in der Einfahrt parken und wieder einmal für 2 Monate ein sesshaftes Leben führen. Museen, Bibliotheken, Kino, Theater, Shopping und gute Restaurants, alles um die Hausecke. Mitten im Silicon Valley gibt es sogar echten Mozzarella, Quark, französischen Käse, exotische Früchte, knuspriges Brot, griechisches Olivenöl, spanischen Chorizo, Schweizer Schokolade und italienische Salametti zu kaufen. Nach den Preisen hingegen sollte man sich lieber nicht erkundigen...



Den beiden Hausherren gefällt unsere Gegenwart anscheinend so gut, dass sie ihr Haus fast nicht mehr verlassen wollen. Judy und ich vergnügen uns in den verschiedenen Shopping Centern, Delikatessengeschäften und kreieren danach tolle Gerichte in der Küche. Bob und Martin verbringen die Tage in Bobs Büro, wo Martin sich wieder mal als Computerfachmann bewähren muss. Und die drei Katzen gewöhnen sich langsam an unsere Gegenwart, während wir lernen, sie richtig zu pflegen, sprich zu verwöhnen. Nachdem die Hausherren dann doch nach Deutschland abreisen, tragen die armen Katzen einen ersten Schock davon. Unsere Stimmen klingen so anders, wir widerstehen ihren sehnsüchtigen Blicken und geben keinen Bissen von unserem verführerisch riechenden Essen ab. Auch sind wir nicht bereit, der Perserkatze bei jeder Gelegenheit einige Stückchen Katzenfutter von Hand zu füttern. Grosse Umstellungen also für alle Hausbewohner !



Wir müssen uns erst einmal an unser neues Schlafzimmer und den miauenden Mitbewohner gewöhnen. Thor schläft am liebsten am Fussende des Bettes und versucht fast jede Nacht, sich möglichst auf eines unserer Kopfkissen hochzuschleichen. Kaum legt man ein Kleidungsstück aufs Bett oder einen Stuhl und passt nicht gleich auf, liegt er schon drauf und nimmt es in Besitz. Katzenhaare sind überall. Sein Katzenklo steht im Badezimmer und nachdem er es benützt hat, springt er voller Freude im Zimmer herum und verteilt so den Katzensand in der ganzen Bude. Wenn wir uns zu lange nicht mehr mit ihm beschäftigen, setzt er sich vor die Tür und weint wie ein kleines Kind unter dem Türspalt hindurch. Dann ist es Zeit, mit ihm in seinem Gefängnis spielen zu gehen: Ball werfen, mit einem Stab reizen, dem er hinterherrennt, mit Schuhbändeln unterhalten, den Pelz kämmen oder ihn ganz einfach nur streicheln. Gerne sitzt er mit uns vor dem Fernseher und verscheucht die anderen Katzen, die eine Heidenangst vor ihm haben. Das Traurige an der Geschichte ist, dass er die beiden anderen beissen und sie so mit seinem Virus anstecken könnte. So lebt er eben im Schlafzimmer, um nicht eingeschläfert zu werden.



Beast ist eine eher scheue Katze, bei der man am besten wartet, bis sie ihre Streicheleinheiten braucht. Jeden Abend wartet sie darauf, dass man den Kamm und das Taschentuch aus der Schublade holt und sie gründlich bürstet und danach die Augen ausputzt. Als Belohnung für ihre Geduld bekommt sie nachher Katzenfutter in Herzform, das man ihr selbstverständlich von Hand füttert. Wegen einer Zahnoperation fehlt ihr nun ein Zahn. So legt sie ihren Kopf etwas schief, öffnet ihr Maul und wartet, bis man den Leckerbissen fallen lässt, den sie sofort ohne zu kauen schluckt. Den Tag verbringt sie mit fressen, schlafen, fressen, schlafen, herumstreunen, fressen und schlafen. Entweder sonnt sie ihren Bauch an der Sonne vor dem Haus im Gras oder auf der grossen Holzveranda, die aufs Wasser hinausgeht. Ab und zu jagt sie einer Fliege nach, ansonsten bewegt sie sich wegen ihrer Arthritis wie ein lahmes Phlegma.



Yoda ist da ganz anders. Er ist andauernd unterwegs, beobachtet, verschwindet für Stunden, erscheint kurz an seinem Fressnapf, um sogleich wieder spurlos unterzutauchen. Über Mittag hält er seinen wohlverdienten Mittagsschlaf und abends ist er immer der letzte, der meist eine Sondereinladung braucht, um ins Haus zu kommen. Man (eigentlich ist es ja frau, denn er scheint mit Männern nicht sonderlich gute Erfahrungen gemacht zu haben) öffnet also die Türe und lockt in den höchstmöglichen Tönen mit "yammi yammi yammi, Yoda, yammi, yammi, yammiiiiiiiii". Was in Katzensprache etwa soviel heisst wie "hier gibt's was Gutes zu fressen". Das hilft fast immer und der schwarze Teufel flitzt an einem vorbei ins Haus. Als Martin es einige Male alleine versuchen musste, bleibt der Kater verschwunden und sitzt am nächsten Morgen jämmerlich miauend vor der Türe. Wir sind froh, dass er die Nacht zusammen mit den Waschbären überlebt - er anscheinend auch, denn nach zweimal Outdoor-Übernachtung braucht man sich nicht mehr gross zu bemühen, nach ihm zu rufen.



So vergehen die Tage sehr geruhsam und wir sind uns nach kurzer Zeit ziemlich sicher, dass wir uns keine drei Katzen auf einmal zulegen werden ! Andererseits gewöhnen wir uns auch sehr an sie und sie wachsen uns ans Herz. Bei jeder entdecken wir Besonderheiten, jede hat andere Bedürfnisse und jede braucht regelmässig ihre Streicheleinheiten.



Thor macht sich durch sein Heulen und Weinen bemerkbar, und natürlich beschäftigen wir uns jeden Abend mit ihm, bevor wir ins Bett gehen. Eines Abends versteckt er sich hinter der Türe und wartet nur auf seinen Moment. Als Martin die Türe vorsichtig öffnet, entweicht Thor im Nu und flitzt in die Garage. Yoda ist glücklicherweise noch draussen, alle Türen sind geschlossen, nur Beast muss irgendwo im Haus stecken. Vergebens versuchen wir, Thor unter dem Auto hervorzulocken oder zu verjagen, nichts hilft. Plötzlich nimmt er einen Satz und entfleucht durch die Tür ins Wohnzimmer. Wir beide natürlich sofort hinterhergeflitzt. Martin schreit ihn an, was den Kater dazu bringt, sich zwischen den Stühlen zu verschanzen. In der Zwischenzeit finde ich Beast in der Küche. Ein kleines Häufchen Elend in panischer Angst vor dem Raubtier im Wohnzimmer. Sie schmiegt sich in meine Arme und legt ihre Vorderpfoten um meinen Hals. So lieb hat sie mich noch nie gehabt ! Endlich gelingt es Martin dann, Thor zwischen den Stühlen hervorzuziehen und zurück ins Schlafzimmer zu verfrachten. Ein Bild für die Götter, da der Interims-Hausherr bei seiner Jagd nicht die Zeit hatte, sich etwas überzuziehen.



Yoda braucht so seine Zeit, um sich seine Streicheleinheiten zu holen. Erst traut er sich in meine Nähe, oder besser er lässt mich an sich heran. Nachdem ich ihn in seinen verschiedenen Bettchen streicheln kann, springt er mir plötzlich eines Morgens auf die Knie und will nicht mehr weg. Später folgt er mir im Garten und wartet und miaut, bis ich mich irgendwohin setze und ihn auf die Knie hüpfen lasse. Abends beehrt er uns dann vor dem Fernseher, wo er sich bald nicht mehr entscheiden kann, ob es nun schöner bei Tante Julia oder Onkel Martin ist. Er hat zwei Fangzähne, die wie Draculazähne aus den Mundwinkeln hängen, wenn er ganz entspannt ist. Kaum streichelt man ihn noch, fühlt er sich so wohl, dass ihm der Speichel aus dem Mund tropft. Das scheint ihm wohl selber etwas unangenehm zu sein, deshalb schmiert er den Geifer am liebsten an einem sauberen T-Shirt oder den neuen Jeans ab. Hilfreich ist hier auch nicht, dass er einen entsetzlichen Mundgeruch hat... Eine weitere Yoda-Spezialität sind die Häufchen, die wir ab und zu morgens antreffen. Nachdem ich eines Morgens den Inhalt einer ganzen Dose Katzenfutters unter dem Tisch antreffen und auf den zweiten Blick sogar die einzelnen rosaroten Stückchen ausmachen kann, setze ich ihn auf Trockenfutterdiät. Trotzdem erleben wir ab und zu so eine kleine Überraschung, weil er für's Leben gerne an seinem Pelz herumschleckt und die Haarballen nachher im Haus verteilt. Das tollste Geschenk erwartet uns jedoch eines Tages in der Garage: Yoda hat es sich anscheinend auf dem Dach des schwarz glänzenden Lexus bequem gemacht, wo ihn dann das dringende Bedürfnis überkam, sich zu übergeben.



Beast hat ihren eigenen Kopf und wir sind uns nicht so sicher, wie intelligent sie wirklich ist. Jedenfalls bewegt sie sich wie eine Prinzessin und genauso legt sie auch ihre Häufchen im Garten. Morgens will sie als erstes von Hand gefüttert werden, danach sieht sie sich etwas auf der Terrasse um. Immer wieder steht sie bei den Futternäpfen und wartet, dass man ihr einige Stückchen ins Maul schiebt. Am liebsten liegt sie an der Sonne auf dem Rücken und lässt sich den Bauch kraulen. Abends vor dem Fernseher ist das natürlich am schönsten, da kommt sie aus dem Schnurren gar nicht mehr heraus. Ab und an passiert es, dass man ein elendes Miauen hört und sich schon grosse Sorgen macht, weil es wirklich nach Ernstfall klingt. Wenn man dann nachschauen geht, dann sitzt Beast vor dem Futternapf und will von Hand gefüttert werden, oder sie wartet, bis man kommt und versucht dann, einen dazu zu bringen, sie am Bauch zu kraulen. Sie ist eine wirkliche Eigenbrötlerin und lässt keine andere Katze an sich heran. Wenn es nicht so schön wäre, gekrault und gebürstet zu werden, würde sie die perfekte Einsiedlerin abgeben.



Nach 2 1/2 Monaten Katzenfüttern, Streicheleinheiten verteilen, Häufchen aufputzen und dem Gefühl von Sandstrand im Badezimmer wegen Thors Katzenklo, sind wir mehr als bereit, wieder unsere engen vier Wände zu besteigen und zu noch unbekannten Abenteuern aufzubrechen ! Für die Katzen ist die Rückkehr der eigentlichen Hausherren ein erneuter kleiner Schock. Erstens ist da ein ganz fremder Mann mit tiefer Stimme dabei, dem man schon mal gar nicht über den Weg trauen kann. Dann gibt es plötzlich zwei Frauen im Haushalt, von denen sich die eine (die gerade aus Deutschland zurückgekehrt ist) die grösste Mühe gibt, ihre über alles geliebten Katzen endlich wieder einmal in die Arme zu nehmen. Beast versteckt sich unter dem Holzdeck und stellt sich spröde an, wann immer sie hochgehoben wird. Yoda kann sich irgendwo dumpf an sein Frauchen erinnern, er ist also nur etwas verwirrt, weil er nicht weiss, an welche Beine er sich lieber schmiegen soll. Und Thor ist es eigentlich völlig egal, Hauptsache er kümmert sich jemand um ihn !



Bei unserer Abreise verabschieden wir uns natürlich gebührend von unseren Lieblingshaustieren. Yoda lässt wieder nur mich an sich heran. Thor ist glücklich, dass wir ihn streicheln, und Beast schmiegt sich ein letztes Mal in meine Arme und legt ihre Pfoten um meinen Hals. Sie können einem schon ans Herz wachsen, diese arbeitsintensiven Katzen, und wenn wir nicht unterwegs wären, hätten wir vielleicht selber welche. Doch wenn wir in einem Jahr wieder auf Besuch kommen, werden sie uns wiedererkennen ?



August/September 2000



Julia Etter & Martin Kristen