travelog 28






Von Riesenbäumen und Sommerschnee



Nach so langer Zeit auf Achse wissen wir mittlerweile, dass man sich im Sommer am besten still irgendwohin verzieht und geduldig wartet, bis die amerikanische Urlaubszeit vorüber ist.



Wenn man sich schon unters Volk und in einen Nationalpark wagt, dann um Gottes Willen nicht übers Wochenende. Auf unserem Weg von San Luis Obispo in ein kleines Ferienhäuschen am Lake Huntington in der Sierra Nevada, das uns Freunde freundlicherweise zur Verfügung stellten, statteten wir den Sequoia und Kings Canyon Nationalparks einen Besuch ab. Vom heissen und gelb-verdorrten "Valley" führt die Strasse entlang klarer Bergflüsse mit blühenden Yucca whippley, durch ursprüngliche lichte Eichenwälder langsam Richtung Sierra Nevada. Plötzlich wird die Strasse immer schmaler und klettert letztendlich in abenteuerlichen Serpentinen steil in die Berge hinauf. Schnell wechselt die Vegetation und bald umgibt uns der Harzgeruch der vielen Nadelbäume (= Martins Lieblinge). Auf 1800m, wo im Winter schon mal Schnee liegen kann, treffen wir an feuchteren Felswänden auf orange blühende Polster von Dudleya cymosa ssp. cymosa. Auch die anderen Blumen sind spektakulär, blaue Lupinen, roter Indian Paintbrush, gelbe Sonnenblumen. Dazu kommen die vielen Ausblicke tief ins Tal und ins diesige "Valley" hinunter.



Bald schlängelt sich die Strasse durch die ersten riesigen Sequoia-Bäume. Bei den Küsten-Redwoods in Nordkalifornien haben wir ja schon gedacht, dass jene riesig seien und unser fahrendes Häuschen eher wie eine kleine Schnecke daneben aussah. Doch diese Bäume hier übertreffen alles ! Zwar sind die Küsten-Redwoods oft höher, doch mit der Masse der Sequoias kann es kein anderes Lebewesen auf unserem Planeten aufnehmen. Das grösste "Lebewesen" der Erde, der General Sherman Tree, steht hier. Er ist 84m hoch, hat an seiner Basis einen Umfang von 31m (!), sein Alter wird auf ca. 2400 Jahre geschätzt, und er wiegt ca. 1385 Tonnen. Wenn man unter diesen Riesen hindurchwandert, kommt man sich wie ein Zwerg im Märchenwald vor. Sequoias (Sequoiadendron gigantum) sterben nicht, weil sie eines Tages zu alt werden. Auch kein Feuer kann durch ihre dicke Rinde durchdringen. Die Giganten haben ein sehr flaches Wurzelwerk, das plötzlich nachgeben kann, wenn der Baum zu schwer und instabil geworden ist. Dann geben sie eine hervorragende Ernährungsgrundlage für die junge Vegetation ab.



Wir haben das Glück, die Sequoias einerseits bei strahlendem Wetter und den deshalb unvermeidlich vielen Mit-Touristen zu bewundern. Andererseits erleben wir die riesigen Bäume aber auch an einem völlig verregneten Tag, an dem sich die Menschenmassen nicht aus ihren Zelten wagen oder einfach länger in den warmen und trockenen Betten ihrer Wohnmobile ausharren. Wir sind die einzigen Leute auf den Beinen und haben den Wald für uns alleine. Gespenstische Nebelschwaden ziehen durch die Stämme, von den Bäumen tröpfelt und nieselt der Regen, die Rinde der Sequoias schimmert wunderschön rostrot, Gräser und Farne glänzen grün und der Dogwood-Baum (Cornus nuttallii) setzt mit seinen grossen weissen Blüten Farbakzente. Immer wieder finden wir einen noch dickeren und eindrucksvolleren Baum, neben oder vor dem wir uns als Grössenvergleich aufnehmen müssen.







Bevor das Wochenende beginnt und die Campingplätze sich unangenehm füllen, machen wir uns auf den Weg zum Lake Huntington. Die Fahrt führt uns auf sogenannten "Querspangen" (= weshalb einfach, wenn's auch kompliziert geht...) durch ursprüngliches Kalifornien mit blaublättrigen Eichenwäldern, kleinen Bächen, abgelegenen Farmhäusern. Fast fühlt man sich zurück in die Pionierzeit versetzt und kann gut verstehen, weshalb Indianer einerseits und später europäische Einwanderer diese Gegend als ihre Heimat auserkoren haben. Die ganze Zeit über begleitet uns der Regen und je höher wir kommen, desto dicker und dichter werden die Tropfen. Mitte Juni ist es und wir beide denken an Schnee... Tatsächlich verwandelt sich der Regen in Schneetreiben und bald fahren wir durch einen dichten Schneesturm. In einem kleinen Geschäft, wo wir uns noch mit den letzten Lebensmitteln eindecken, wird uns versichert, dass dies absolut nicht normal sei für diese Jahreszeit. Wir fahren beruhigt weiter. Mit unserem 12 Tonnen Gefährt ist uns auf der glitschigen Strasse nicht so ganz wohl, doch bald kommt uns auch schon das erste Schneeräumgefährt entgegen. Die Nadelwälder sind mit einer dicken weissen Schicht bedeckt, der Waldboden weiss bezuckert. Die ganze Sicht auf den Lake Huntington und die umliegenden Berggipfel versinkt im dichten Nebel.



In "unserem" Ferienhäuschen starten wir als erstes die Heizung und ziehen uns dicke Wollpullover an. Kurz vor Sonnenuntergang reisst der Himmel auf, die Nebelschwaden verziehen sich und wir geniessen die Aussicht von unserer Terrasse auf den Lake Huntington und die schneebedeckten Gipfel rundherum. Am nächsten Morgen ist der ganze Spuk jedoch vorbei, nur noch die höchsten Gipfel tragen eine weisse Schneekappe. Die Zeit vergeht wie im Nu mit süssem Nichtstun. Jeden Tag ein kleiner Spaziergang, um nicht ganz aus der Übung zu geraten. Wir geniessen das Leben in einem soliden Haus, das grosse Bett, die geräumige Dusche und natürlich die richtige Küche, in der wir unser eigenes Brot backen. Blue Jays kommen uns auf der Terrasse besuchen und rot und grün schillernde Kolibris tun sich an unserem "Hummingbird Feeder" gütlich. Unser Büro entsteht auf zwei kleinen Holztischchen - nach der langen Durststrecke in Mexico endlich mal wieder jeden Tag emailen und im Internet surfen ! Abends ziehen wir uns bei einer Flasche Wein einen der vielen Videos rein, die wir im Haus vorfinden oder blättern in alten National Geographic Heften.



Bei einem Besuch der Hauseigentümer kommen wir sogar zu unserer ersten Kanu-Tour, nach der eindeutig feststeht, dass uns (wenn schon) das Paddeln in einem Kayak wesentlich besser gefällt. Zwar hat man im Kanu mehr Platz für die Beine, doch das Paddeln fällt uns schwer. Immer wieder driften wir in Richtungen ab, wo wir eigentlich gar nicht hinwollen und einer schiebt die Schuld dem anderen in die Schuhe. Auf dem Rückweg können wir glücklicherweise mit dem Wind und den Wellen treiben, was das Paddeln und Steuern etwas einfacher macht. Ausserdem unternehmen wir einen Ausflug tief in die Sierra hinein, zu den Mono Hot Springs. Wir fahren nicht wegen der warmen Bäder, sondern wegen der Pflanzen.





Auch Sandy und Val sind begeisterte Hobby-Botaniker und Val findet bei jedem Aufschrei unsererseits sofort eine Parkmöglichkeit. Mal sind es blühende Rhododendren (Rhododendron occidentale), die einen wundersamen und intensiven Duft verströmen. Dann fasziniert uns das Sedum obtusatum, das den felsigen Untergrund mit einem Blütenteppich überzieht. An feuchteren Wiesen blühen violette "Shooting Stars" (Dodecatheon pulchellum), und im dunklen Unterholz stechen einem die knallig roten "Snow Plants" / Schneepflanzen (Sarcodes sanguinea) ins Auge. Bei den Mono Hot Springs blühen gelb-orange Akeleien (Aquilegia formosa) und in einer feuchten Wiese entdecken wir unzählige Tiger-Lilien (Lilium columbianum). In der Ferne ragen die hohen Felsgipfel der Sierra Nevada in den Himmel, die nur noch per pedes apostulorum erreicht werden können.



Nach zwei Wochen Erholung pur fühlen wir uns fit genug für unsere nächste "challenge": Haus und Katzen hüten in der Nähe von San Francisco. Doch davon später mehr...







Juli 2000



Julia Etter & Martin Kristen