travelog 24






Müll



Sie haben Zeit. Geduldig sitzen sie auf den Spitzen der Cardones (Pachycereus pringlei), schauen gelangweilt aus der Wäsche und breiten ihre Schwingen aus, um mit Hilfe der Morgensonne die Kälte der vergangenen Nacht zu vertreiben. Es sind Truthahn-Geier, die rotköpfige, schwarzbraun gefiederte Gesundheitspolizei der Wüste. Immer dort, wo mitten in der Landschaft beim Näherkommen ein paar Geier auffliegen oder am Himmel kreisen, muss mit einer verendeten Kuh, Ziege oder einem Esel gerechnet werden. Die Natur lässt nichts Organisches verkommen, und das ist auch gut und richtig so. Doch wo hocken sie bevorzugterweise ? Natürlich in der Nähe menschlicher Siedlungen, dort, wo eben Müll anfällt.



Die wenigsten mexikanischen Siedlungen (Grossstädte ausgenommen) kennen ein von der Kommune organisiertes Müllabfuhrsystem. Die meisten Leute sind also auf sich selbst gestellt. Das Resultat ist absolut sehenswert, und deshalb wollen wir Euch davon erzählen !



Da sind die einen auf ihrem hübschen Rancho - in atemberaubender Landschaft, versteht sich - die ihren Müll einfach über den Zaun kippen (Motto: "aus den Augen, aus dem Sinn !"). Der stinkt zwar, zieht Fliegen und mehr an, gammelt aber nicht so richtig vor sich hin, weil die für die Verrottung nötige Feuchtigkeit fehlt. Die Wüste konserviert.



Da sind die anderen, die ihre Abfälle (inklusive ausrangierte Gasherde, kaputte Betten, Toilettenschüsseln oder was immer anfällt) im nächsten Arroyo (= kleines Tal) entsorgen. Das nächste Unwetter wird's schon wegschwemmen.



Da sind aber auch jene Bewohner von Ansiedlungen wie Bahía Tortugas, Puerto Adolfo Lopez Mateos oder Puerto Magdalena, die ihren Müll einfach in der Nähe des Dorfes in die Landschaft schütten. In eine karge, wüstenhafte Landschaft, in der tagaus, tagein starke Winde wehen, die Bäume zu Bäumchen werden lassen. Da fährt man dann über Kilometer durch sorgfältig verteilten Abfall. An jedem Kaktus, an jedem Strauch oder kleinem Bäumchen flattern die obligaten Plastiktüten, überall verteilen sich Büchsen, Dosen, Plastikgefässe, nicht brennbare Verpackungen und, besonders beliebt, da von des Mexikaners liebstem Spielzeug (dem Auto), Unmengen von leeren Motoröl-Behältern. Der Strand von Puerto Magdalena ist übersät mit all diesen Zivilisationsüberresten, dazu kommen stinkende Fischabfälle und vollgemachte (nett ausgedrückt) Pampers. Besonders beliebtes Nahrungsmittel in diesem wohlgemerkt auf einer Insel liegenden und vom Fisch lebenden Dorf ist Thunfisch aus Dosen, was unschwer an den rostenden Dosen am Strand zu erkennen ist. Da hilft kein von der Kommune aufgestelltes Schild "No tire basura" (= schmeisse hier keinen Abfall weg) und keine Androhung von Strafen bei Missachtung. Es gibt einfach niemanden, der einer solchen Drohung Nachachtung verschaffen würde. Selbst neben dem betreffenden Verbotsschild wird der Müll hemmungslos abgeladen.



Wie wahr doch der Spruch ist: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr !" Wer es in seiner Jugend nie gelernt hat, der weiss nicht, dass ein sorgsamer Umgang mit der Umwelt auch gleichzeitig eine bedeutende Erhöhung der persönlichen Lebensqualität bedeutet. Jeder macht es so, also warum soll ich es anders tun !?



Und doch, erste Anzeichen eines Umdenkens sind erkennbar. So fährt man hier plötzlich an einem Strassenschild vorbei, auf dem steht "Demuestre su cultura, no tire basura" (= zeige Deine Kultur, schmeisse keinen Abfall weg). Bei unserem letzten Besuch nahe Agua Verde wurden wir auf unserer Strand-Campsite "heimgesucht" von zwei mexikanischen Müttern mit einer Horde von Mädchen und Buben. Die Kinder wünschten sich "candy" und so leerten wir unsere letzten Bonbon-Reserven. Die Mütter forderten ihre Schar ausdrücklich dazu auf, die Papierchen nicht wegzuschmeissen, sondern einzustecken. Schon allein dieser Gedankenansatz war für uns beeindruckend. Zwar fanden wir dann anschliessend viele der Papierchen am Weg verstreut, aber was kann man anderes erwarten von diesen Kindern ? Sie wachsen in Hütten auf, die umgeben sind von Büschen; hinter jedem Busch ein kleiner Abfallhaufen...



Doch es sind nicht alleine die Mexikaner ! Auch die Touristen tragen das Ihre dazu bei. Dass das vornehmlich Amerikaner und Kanadier sind, das steht ja aufgrund der Nähe ihrer Staaten ausser Zweifel. Lasst uns ein paar (traurige) Anekdoten loswerden !



Playa el Coyote: Ein Bilderbuchstrand mit weissem Sand, einer pittoresken Palmengruppe und glasklarem blaugrünem Wasser. Für die Übernachtung muss man hier eine Kleinigkeit bezahlen, dafür gibt es aber auch Mülltonnen und Duschen. Die Mülltonnen werden regelmässig geleert und gleich um die nächste Strassenbiegung herum in die Landschaft gekippt. Hinter der ersten Baumreihe verunziert ein riesiger Haufen rostiger Dosen und Büchsen den Strand. Davon ist in keinem Reiseführer die Rede...



Punta San José: Wir kamen an hübschen Klippen am Pazifik vorbei, fanden eine bereits schon früher einmal benutzte Campingstelle mit Feuerplatz. Ringsum wuchsen herrlich schöne Agaven (Agave shawii) und Dudleyen (Dudleya sp). Einmal ausgestiegen, wurden wir uns der unheimlichen Verschandelung jenes Platzes erst gewahr. Wir mussten zuerst einmal drei grosse (notabene aus den USA mitgebrachte) 120-Liter-Abfalltüte auspacken, um all den herumliegenden Unrat aufzusammeln. Es mag vielleicht lustig tönen, wenn wir erzählen, dass wir 29 verschiedene vor sich hin gammelnde Turnschuhe amerikanischer Provenienz sammelten. Da waren Unmengen von Plastiktüten, Glasscherben, Dosen, Büchsen, eine Grosspackung von amerikanischem Hundefutter (ein Mexikaner kann sich richtiges Hundefutter nicht leisten, mexikanische Hunde ernähren sich von allem, was ihnen zwischen die Zähne kommt), Musikkassetten, Yoghurtbüchsen, alte Ölbehälter, Autoteile und zurückgelassene Teppichstücke. Nein, lustig war es beileibe nicht ! Am meisten ärgern uns dann immer die Feuerstellen, in denen irgendwelche Intelligenzbestien vorher versuchten, Glas, Alubüchsen, Plastikbehälter oder ihre stinkenden Zigarettenkippen zu verbrennen (Mahlzeit, die Steaks müssen ja gut geschmeckt haben !?).



Ensenada San Basilio: Wir blieben dort zwei Nächte lang kurz vor dem Jahrtausendwechsel. Dort campte auch ein bärtiger, älterer Amerikaner des Typs "Naturbursche". Bei unserer Ankunft erzählte er uns lauthals, wie sehr er die Natur liebe und wie schrecklich er es finden würde, den mexikanischen Unrat mitansehen zu müssen. Am nächsten Morgen sahen wir ihn mit dem Kanu einen grossen Eimer von leeren, teils zerbrochenen Flaschen auf's Meer hinauspaddeln. Auf die anschliessende diesbezüglich Frage meinte er lapidar: "Das ist Müllentsorgung !". Die Fische und die Riffe der Sea of Cortez danken es ihm...



Cabo Pulmo: Es war ein wunderschöner kleiner Sandstrand. Wir blieben dort fast eine Woche lang. Zwischen den Sandklippen stand ein altes Ölfass. Dreimal darf man raten... voll mit Müll ! Welcher Mexikaner isst denn ein vorgefertigtes Gericht "Tofupaté mit Jalapeños" ? Keiner ! Touristen scheinen auf ihren Reisen das Gehirn teils zuhause zu lassen. Sie meinen, es gäbe überall einen Müllabfuhrdienst und sie sind schlicht und einfach zu faul, ihren (an und für sich leichten) Mist wieder einzupacken und mitzunehmen. Es ist ja sooo einfach... und die Mexikaner machen's ja auch so.



Sierra de la Laguna: In diesen Bergen, die von der UNESCO zur Biosphäre ernannt wurde, gibt es einen berühmten Wanderweg, der aus karger Wüstenvegetation in kühle Eichen- und Pinienwälder führt. Natürlich stehen auch hier die bekannten Schilder, allerdings bisher nur auf spanisch, mit den Verhaltensmasseregeln (keinen Abfall wegschmeissen, keine Pflanzen mitnehmen etc.) in dieser unter Schutz gestellten Gegend. Auf dem Wanderweg kamen uns zwei Mexikaner auf ihren Maultieren entgegen, die hier als Wächter und Arbeiter angestellt sind. Ein Korb war gefüllt mit Wurzeln, die bei Nierenleiden helfen, eine Plastiktüte war vollgestopft mit Blättern, aus denen bei Erkältung ein Tee gebraut wird. Den Wanderweg säumen Wasserflaschen und Coladosen. Und beim ersten Wasserloch, das ein beliebter Übernachtungsplatz zu sein scheint, traf uns fast der Schlag. Hier haben naturliebende Wanderer (weshalb würden sie sonst die Strapazen dieser Wanderung auf sich nehmen !?), in der Mehrzahl Touristen, ihren Abfall teils in Plastiktüten gepackt und hinter Felsen deponiert. Hinter jedem Busch kann man studieren, was die Naturliebhaber verspiesen haben (Thunfisch und Crackers stehen hoch im Kurs).



Der Verpackungswahnsinn hat seine Wurzeln in dem Konsumparadies Amerika - und México macht leider all das nach ! Schier jede Klopapierrolle wird in eine einzelne Plastiktüte eingepackt. Beim Einkauf in einem Supermercado erhält man eine Flut dieses raschelnden Unsinns, eine der traurigsten Erfindungen der Menschheit. Während die Amerikaner dann sogenannte "Landfills" machen, auf denen sogar später Siedlungen gebaut werden, schütten die Mexikaner ihren Unrat bisher noch mehr oder minder unkontrolliert in die Landschaft.



Von Maestro Isidro aus der Schule von La Soledad (siehe unseren Reisebericht "Schultag in La Soledad") haben wir aber erfahren, dass über die schulische Ausbildung in zunehmendem Mass versucht wird, Aufklärung in Sachen Umweltschutz zu betreiben und den Menschen ein Gefühl für ihre Umwelt zu vermitteln. Dass dies ein Unterfangen ist, das nicht von heute auf morgen plötzlich funktioniert, das wissen wir aus eigener Erfahrung aus Europa.



März 2000



Julia Etter & Martin Kristen