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Reisen mit Kyra und Kaspar II: Rundfahrt über die Halbinsel Yucatán



Es gibt viele Geschichten, wie die Halbinsel Yucatán zu ihrem Namen kam. Alle zu erwähnen würde den ganzen Reisebericht füllen, deshalb hier nur die besten. Wer sich aber für noch mehr Details interessiert, kann hier mehr darüber nachlesen. Eine Theorie besagt, dass das Wort vom Nahuatl "Yokatlan", Ort des Reichtums, kommt, doch da die Spanier bei ihrer Landung nur Mayas antrafen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese ein Nahuatl Wort benutzten, um ihre Heimat zu beschreiben. Und noch besser, anscheinend existiert das Wort "Yokatlan" überhaupt nicht im Nahuatl. Eine andere Version, anscheinend von Hernán Cortez selber wiedergegeben, besagt, dass die Spanier die Mayas gefragt hätten, wie der Ort heisse und diese mit einem Wort geantwortet hätten, das wie Yucatán klang, aber in ihrer Sprache soviel hiess wie "ich verstehe nicht". Und so geht's weiter. Woher auch immer der Name Yucatán kommt, die Spanier gaben der Halbinsel den Namen Santa María de los Remedios und die Mayas nannten ihr Land weiterhin “u luumil cutz yetel ceh”, Land der Truthähne und Hirsche. Truthähne sahen wir auf dem Land bei fast jedem Haus. Rehe oder gar Hirsche liessen sich allerdings nicht blicken. Diese landen nämlich als typische Yucatán Spezialität auf dem Teller, eine Delikatesse, wie wir feststellen durften.



Yucatán ist natürlich nicht wegen der Truthähne und Hirsche bekannt, sondern wegen der Touristenhochburgen Cancún, Playa del Carmen, Cozumel und Tulum entlang der Riviera Maya. Natürlich kennt man auch noch Chichén Itzá, die wohl berühmteste Maya Pyramide, ein UNESCO Weltkulturerbe und eines der sieben neuen Weltwunder, doch von den Ruinen werde ich im nächsten Bericht erzählen. Die Halbinsel abseits der Touristen zu besuchen, ist nur beschränkt möglich, doch wir taten unser Bestes, um den Horden so gut wie möglich zu entgehen.



Von Chiquilá, wo wir nach dem Holbox Abenteuer und den Walhaien unser Mietauto wieder abholten, fuhren wir auf kleinen Nebenstrassen über Land. Zu sehen gab es nicht sonderlich viel. Links und rechts der Strasse wuchs mehr oder weniger dichter Urwald, das Land war flach, die höchste Erhebung in dieser Gegend mass vielleicht 10 Meter, demzufolge hatte man auch keine Aussicht auf die Umgebung. Der Urwald wurde von kleinen Ortschaften unterbrochen, die allerdings sehr interessant waren. Wir stoppten in einem kleinen Ort, weil wir eine Truthahnmama mit Küken sahen und Kyra dringend etwas Abwechslung brauchte. Die Familie wohnte in einem traditionellen, halbkreisförmig und langgestreckten Haus mit weissem Mauerwerk und einem mit Palmwedeln abgedeckten, steilen Dach. In der Mitte gab es vorne einen Eingang und auf der Rückseite einen Ausgang. Im Raum drin hingen ein paar bunte Hängematten. Uebrigens gab es in jedem Hotel, sei es eine einfach Unterkunft oder ein Luxusschuppen, Verankerungen in der Wand, um eine Hängematte aufhängen zu können. Die Matriarchin schenkte mir ein paar Kaktusfrüchte (Pitahayas, die Frucht von Hylocereus undatus) und holte gleich noch ein paar der stachligen Kakteen von einem Baum. Nach diesem willkommenen Abstecher waren wir alle wieder fit für ein paar Stunden Autofahren und die dazugehörigen Fragespiele "ich sehe was, was du nicht siehst". Dann kamen wir nach Tizimín, einer kleinen Stadt mit einer schönen alten Kirche, die leider wie so oft geschlossen war. Etwas südlich besichtigten wir die Ruinen von Ek'Balam, doch von den ganzen Ruinenanlagen, von Martin despektierlich auch "Steinhaufen" genannt, werde ich im nächsten Bericht erzählen. Daneben besuchten wir den Cenote Xcanche. Mit einer Fahrradrikscha liessen wir uns bis zum Umkleidehäuschen chauffieren, was in der drückenden Hitze ganz angenehm war, für uns mehr als für den strampelnden Radler. Mitten im Urwald klaffte plötzlich ein riesiges Loch im Boden und Lianen, Orchideen und sogar Agaven hingen über die Felsen in die Tiefe hinab. Die Bäume liessen ihre langen Suchwurzeln bis auf die Wasseroberfläche herunterhängen. Bunte Vögel mit langen blauen Schwanzfedern, ein Momoto (Eumomota superciliosa) oder auch pájaro reloj, Uhrenvogel, so genannt, weil er seinen Schwanz wie ein Uhrenpendel von links nach rechts bewegt, flogen quer über den Cenote und baumelten mit Vorliebe an den Luftwurzeln, wo ihr Federkleid in den Sonnenstrahlen erglänzte. Wir hatten den Cenote ganz für uns alleine. Ein Cenote ist übrigens ein Loch in einem Karstgebiet, wo sich durch die Auflösung des Kalkgesteins Höhlen und unterirdische Wasserläufe bildeten. Wenn die Höhlendächer einstürzen, füllen sich die Löcher mit Süsswasser und es entsteht ein Cenote. Die Mayas, aus deren Sprache das Wort "ts'o'noot" kommt, sahen die Cenotes als Eingänge zur Unterwelt an und nutzten sie oft als religiöse Opferstätten. Auf der Yucatán Halbinsel gibt es mehr als 1000 solcher Cenotes, die durchschnittlich ungefähr 15 m tief sind. Ueber eine rutschige Leiter ging es in die Tiefe, dann standen wir auf einem Holzsteg, der rund um den Cenote herum verlief. Von hier führte eine weitere Leiter bis ins glasklare, dunkelgrüne Wasser hinab, in dem kleine Welse, Rhamdia guatemalensis, schwammen. Für Kyra gab es sogar eine Schwimmweste, damit ihr eingegipster Arm nicht nass wurde.



Auf Nebenstrassen fuhren wir nun über Espita, Cenotillo und Tunkás nach Izamal, der gelben Stadt. In Izamal sind (fast) alle Häuser sonneblumengelb gestrichen. Die kleine Stadt ist auch ein Pueblo magico, ein magisches Dorf. Hotelsuche war als erstes angesagt. Da halfen die Reiseführer, und das GPS Gerät hatte auch so einige Ideen. Wir besichtigten einige Etablissements, in denen entweder die Zimmer zu klein oder der Pool nicht vorhanden war, bis wir uns schliesslich für eines mit einem magisch überwachsenen Garten mit vielen Orchideen und einem kleinen Swimming Pool entschieden. Kyra wollte unbedingt das teure Zimmer mit Badewanne, obwohl sie keine Pläne hatte, dieselbige auch zu benützen. Sie wollte vielmehr mindestens dreimal in den Pool hüpfen, deshalb konnten wir sie schliesslich überzeugen, dass ein Zimmer mit Badewanne völlig übertrieben ist, wenn man diese nicht benützt. Für das eingesparte Geld gingen wir dann dafür schön essen im Restaurant Kinich. Kyra bekam ihr Lieblingsessen: weissen Reis. Mein Bruder und ich vergnügten uns mit typisch yukatekischen Spezialitäten. Papadzules und Panuchos, danach gab's Relleno Negro und Cochinita Pibil. Der Reis kam mit gebratenen Bananen und natürlich gab es tolle scharfe Salsas. Nach einem nachmittäglichen heftigen Regenguss genossen wir den Swimming Pool. Danach ging es ins Stadtzentrum, wo wir eine rosarote Kutsche bestiegen und für eine Stunde lang durch die Innenstadt chauffiert wurden. Mit dem Auto erkundeten wir danach die verschiedenen Werkstätten, wo man den Künstlern bei der Herstellung von bunten Jaguaren und anderen Tieren aus Holz, Schmetterlingen und Libellen aus papier maché, Miniatur Maya Häuschen, und bestickten langen Röcke zuschauen konnte. Das absolute Highlight war aber die Werkstatt von Esteban Abán Montejo, der aus den Enddornen von Agave sisalana Schmuck und Miniatur-Figuren herstellte. Für Kyra fertigte er ganz schnell einen Pferdehuf an und für mich versuchte er sich an einem Armadillo, einem Gürteltier.



Nun ging es weiter nach Tixkokob, der sogenannten und selbsternannten Welthauptstadt der Hängematten. Zuerst schlenderten wir über den Hauptplatz, wo wir schon bald von verschiedenen Leuten angesprochen wurden, die uns alle zu ihren Werkstätten begleiten wollten. In einem Geschäft am Hauptplatz besichtigten wir einige Modelle, doch die Besitzerin wollte die Hängematten erst aufhängen, wenn sie sicher war, dass wir sie auch kaufen wollten. Da verabschiedeten wir uns freundlich und besuchten die nächste Werkstatt, wo im hinteren Teil die ganze erweiterte Familie mit der Herstellung von Hängematten beschäftigt war. Der Empfang hier war das genaue Gegenteil zum vorherigen Geschäft. Kaum hatten wir eine Hängematte auch nur angesehen, da wurde sie schon aufgehängt und wir wurden ermuntert, sie sofort Probe zu liegen. Wir waren noch nicht lange am ausprobieren, da erschien einer der mobilen Kundschafter, der uns schon auf dem Hauptplatz angesprochen hatte und versicherte uns nochmals, dass wir unbedingt seinen Shop besichtigen müssten, da er viel bessere Ware anzubieten hätte. Nachdem wir hier also alle Hängematten, die uns gefielen, ausprobiert und probegelegen hatten, führte uns der andere Mann in einen Aussenbezirk von Tixkokob zu einem unscheinbaren Haus, wo eine Verwandte von ihm den Laden für uns aufmachte. Laden ist natürlich etwas übertrieben, denn es war nur ein kleiner Verkaufsraum, gerade mal so gross, um eine Hängematte aufspannen zu können. Kyra war sofort begeistert von einem Modell in allen Farben des Regenbogens. Diese Hängematte war für zwei Personen gedacht und so lagen Vater und Tochter zur Probe mal hinein und wurden ein bisschen geschaukelt. Nun ging es an die Preisverhandlungen, doch dafür mussten wir zuerst auf den grossen Chef warten, der alsbald erschien und sogar einige Brocken deutsch sprach weil er schon einmal in Einsiedeln war. Die Familie diskutierte in Maya, während wir uns auf schweizerdeutsch unterhielten. Die beste Strategie hatte Kyra schon auf Holbox gelernt: wenn man etwas unbedingt kaufen will, dann sollte man sich für einen anderen Gegenstand interessieren und sich nur beiläufig nach dem Objekt der Begierde erkundigen. Auch sehr hilfreich ist, wenn man sich umdreht und davonläuft. Letztere Strategie wurde alsbald angewandt und plötzlich kamen sich Verkäufer und Käufer betreffend Preisvorstellung schnell näher. Schliesslich fuhren wir mit einem grossen Paket im Kofferraum wieder zum ersten Geschäft zurück, wo Kyra mir nun half, den Besitzer für meine wunderschöne naturfarbene Hängematte auf einen vernünftigen Preis herunterzuhandeln.



Von Tixkokob war es nicht mehr weit bis zur Hauptstadt von Yucatán, Mérida. Im Internet und unserem Reiseführer hatten wir uns schon etwas wegen Hotels schlau gemacht und so landeten wir sehr zielstrebig beim Hotel Dolores Alba. Kyra war sofort begeistert, denn im schönen Innenhof verbarg sich zwischen Palmen ein Swimming Pool und rundherum standen Liegestühle. Wir bekamen ein Zimmer im Parterre mit Blick auf den Pool. Das Auto stellten wir sofort in die Garage, denn mit dem verrückten Verkehr in Mérida wollten wir nichts zu tun haben. Vom Hotel aus ging es um ein paar Ecken herum bis zum riesigen Mercado Municipal. Mittlerweile war es Mittag und die Temperatur auf 40° Celsius gestiegen. Dazu kam die hohe Luftfeuchtigkeit, was einem sofort ins Schwitzen brachte. In den engen Gassen des gedeckten Marktes brannte einem die Sonne wenigstens nicht auf den Kopf, doch unerträglich heiss war es auch hier. Die Männer arbeiteten in Unterhemden und Shorts, die Frauen entweder in den traditionellen bunt bestickten Röcken oder möglichst kurz berockt und schulterfrei. Kyra war nicht sonderlich vom Angebot beeindruckt, doch für sie wurde alles ausser ihre geliebten Pferde nach ungefähr 10 Minuten sowieso langweilig. Doch mein Bruder und ich genossen die bunten Früchte, die Auswahl an Chiles, die Bananenblätter faltenden Männer, die Schuhmacher und Kokosnuss-Schäler. Schliesslich endeten wir in der Abteilung der kleinen Imbissbuden. Riesige Teller mit aufgehäuftem Fleisch, Avocado, Radieschen und Korianderblättern schien das beliebteste Gericht zu sein. Und an jeder Imbissbude glühte und rauchte denn auch ein Fleischspiess, genannt al pastor (ähnlich wie ein Döner), was die Temperatur noch um einige Grad steigen liess. Für Kyra bestellten wir einen Teller mit Nachos, wir Erwachsenen machten uns über einen Teller carne al pastor her, der natürlich mit vielen scharfen Salsas serviert wurde. Danach waren wir reif für eine Abkühlung im Swimming Pool. Gegen Abend schlenderten wir zum Hauptplatz, wo sich halb Mérida zu einem Schwätzchen im Schatten der Palmen einfand. Auf Empfehlung unseres deutschen Reiseführers nahmen wir nun die Calle 60 unter die Füsse, um bis zur Fussgängerzone des Paseo de Montejo zu gelangen, wo am Samstagabend die Noche Mexicana stattfinden sollte. Der Weg war lang, jedenfalls zu Fuss, und das im Buch angekündigte "Amüsement zum Nulltarif" mit Mariachi, Gesang und auf der Strasse tanzendem Volk fiel eher lauwarm aus. Dafür verköstigten wir uns bei einer der vielen Fressbuden mit lokalen Spezialitäten, und für Kyra fanden wir sogar Quesadillas. Für den Rückweg zum Hotel wollte Kyra nun unbedingt mit einer Pferdekutsche fahren, was uns aber ein halbes Vermögen gekostet hätte. Der Kutschenfahrer bot uns danach schnell eine Fahrt über die Verlängerung des Paseo de Montejo an, wo die Autos vierspurig durchbrausten, was eine Kutschenfahrt wenig verlockend erscheinen liess. Schliesslich entschieden wir uns für die billigste Variante, ein Taxi.



Am Sonntagmorgen schlenderten wir nochmals über den Hauptplatz, wo anscheinend Markttag sein sollte und es ein Erlebnis sei, unter den Arkaden einen Kaffee zu trinken. Wahrscheinlich waren wir zu früh unterwegs, denn die meisten Cafés waren noch geschlossen und die Marktstände wurden erst gerade aufgebaut. Von Mérida fuhren wir südlich zur Hacienda Yaxcopoil. Das gelbe Eingangstor im maurischen Stil war nicht zu übersehen. Die Hacienda umfasste zu ihrer besten Zeit mehr als 11'000 Hektaren, und wurde v.a. für die Henequen-Produktion benutzt. Henequen ist die Faser von Agave sisalana, die im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts v.a. zu Seilen und Schnüren verarbeitet und weltweit exportiert wurde. 1984 rentierte sich die Produktion nicht mehr und Yaxcopoil machte die Pforten dicht. Nun ist die Hacienda eine Touristenattraktion, wo man u.a. die ursprünglichen Räume mit Möbeln aus dem späten 19. Jahrhundert bewundern kann. Im Maschinenraum stand ein rieisger 100 HP Dieselmotor der Firma Körting aus Hannover, die 1913 gebaut worden war und bis 1984 in Betrieb war. Die Gartenanlagen waren tropisch überwachsen und besonders beeindruckend waren die riesigen Dioon spinulosum, die eher wie Palmen aussahen. Danach war es wieder Zeit für eine Abkühlung. Der Mann im Souvenirshop von Yaxcopoil hatte uns den Cenote Sambula bei Pebá empfohlen, den wir auch schnell fanden. Gegen einen kleinen Obulus von $10 Pesos pro Person wurden wir hereingelassen. Umkleidekabinen gab es keine und so wechselten wir in unsere Handtücher eingewickelt umständlich ins Badekleid. Offensichtlicherweise waren wir die einzigen hellhäutigen, ausländischen Besucher hier und wurden dementsprechend angestarrt. Ueber eine Steintreppe stiegen wir in die kühle Tiefe und erfrischten uns im kristallklaren hellblauen Wasser. Dann ging es auf einer kleinen Nebenstrasse zur Hacienda Temozon, dem extremen Gegenstück zu Yaxcopoil. Von einem Concierge wurden wir am stattlichen Eingangstor auf einen kleinen Besucherparkplatz verwiesen und nachher bis zur Reception begleitet. Wunderschön dunkelrot gestrichene Haciendamauern, wasserspeiende Drachenköpfe, perfekt zurückgeschnittene Rasenflächen, eine Bar auf der Veranda mit Blick ins Grüne, ein endlos langer Swimming Pool, ein elegantes Restaurant, das alles und vieles mehr bekommt man ab schlappen $300 US pro Nacht. Die aus dem 17. Jahrhundert stammende Hacienda wurde zu einem Luxushotel umgebaut, das zur Luxury Collection Hotels & Resorts Kette gehört. Unser Budget war allerdings etwas niedriger angesetzt und so begaben wir uns nur auf eine Tour des Geländes. Beeindruckend waren die ehemaligen Anlagen der Sisal-Produktion und Kyra war begeistert von den uralten Pferdekutschen, die sie sogar besteigen durfte. Im Swimming Pool suhlte sich gerade eine mexikanische Grossfamilie und bestellte neue Drinks, obwohl die meisten Gäste v.a. aus Europa angereist kommt. Nach dem Rundgang wurde uns noch ein Zimmer gezeigt, das nach allen Regeln der Kunst, stilgerecht und mit jeglichem Luxus eingerichtet war. Zum Abschluss bekamen wir als nette Geste einen frisch gepressten Grapefruitsaft auf der Terrasse serviert, wo wir die wunderbare Aussicht ins Grüne genossen.



Zurück auf der Hauptstrasse fuhren wir Richtung Süden. Südlich von Muna kamen wir über einen Pass, der sagenhafte 100 Meter hoch war! Ueberhaupt war es doch oft ziemlich langweilig, einfach nur durch den endlosen grünen Urwald zu fahren, ohne wirklich einen Blick auf die Umgebung werfen zu können. So stoppten wir also auf der Passhöhe, wo man gegen eine Gebühr sogar das Gelände betreten konnte, um in der Ferne die Pyramiden von Uxmal aus dem Urwald herausragen zu sehen. Gleich neben dem Auto bot sich uns mit dem eigenen Fernglas übrigens der gleiche Blick. Die Ruinen von Uxmal gehören aber wieder in den nächsten Reisebericht, ebenso wie die Ruta Puuc. Weitere Sehenswürdigkeiten waren die Franziskanerkirchen der Gegend und der bunte Markt von Oxkutzcab, der 24 Stunden lang stattfindet. Wir waren v.a. hungrig und wurden von einer Fressbude im Inneren des Marktes zur nächsten geschickt, wo wir angeblich gekochten Reis erhalten würden. Schliesslich fanden wir ein einziges Etablissment, welches gekochten Reis im Angebot hatte und Kyra war schon mal zufriedengestellt. Hinter dem Tresen der Köchin sah ich einen Teller mit zerzupftem Fleisch, dekoriert mit Radieschen, Koriander, Zwiebeln und Chiles, der mir sofort gefiel. Es war Rehfleisch und speziell für den Sohnemann zubereitet. Verwöhnter Bengel, sagte ich zur Köchin, woraufhin sie zustimmend nickte. Schnell willigte sie dann ein, dass sie uns auch solche Teller zubereiten würde, wobei sich danach herausstellte, dass der verwöhnte Bengel etwas anderes zu essen vorgesetzt bekommen hatte. Das zerzupfte, kalte Rehfleisch mit Garnitur schmeckte hervorragend und frisch gestärkt machten wir uns auf den Weg zu einem Cenote, den uns die Köchin wärmstens empfohlen hatte und der gar nicht weit entfernt sei. Auf kleinen Landstrassen fuhren wir also über Mani nach Teabo und weiter nach Mama, Tekit und Ochil, um schliesslich nach schlappen 60 Kilometern in Cuzamá zu landen. Mittlerweile war es schon relativ spät am Nachmittag. Sofort waren wir von Männern umringt, die uns alle einen Ausflug zu den drei Cenotes der Gegend anboten. $300 Pesos sollte der Spass kosten, doch für das Geld wurden wir in einem abenteuerlichen Wägelchen, das von einem Maultier gezogen wurde, durch die Gegend chauffiert. Die Wägelchen waren ursprünglich dazu verwendet worden, die geernteten Agavenblätter zu den Haciendas zu transportieren. Um zu den Cenotes zu kommen wurde auch das ehemalige Schienennetz der Hacienda Cuzamá benutzt. Wir waren so ungefähr die letzten Gäste, die noch zur Cenote Tour aufbrachen, deshalb hatten wir viel Gegenverkehr. Unser armes Maultier litt an einer Hautkrankheit und hätte wahrscheinlich einige Ruhetage gebrauchen können, doch sein Besitzer musste schliesslich jeden Tag etwas Geld für die Familie nach Hause bringen. Zuerst ratterten wir gemütlich durch den trockenen Wald und Kyra war begeistert von der abenteuerlichen Kutschenfahrt. Bald fanden wir heraus, was Gegenverkehr bedeutete: Entweder musste unser Wagen oder der entgegenkommende Wagen von den Schienen gehoben werden. Die Maultiere hatten sich schon an dieses Ritual gewöhnt und die Fahrer hoben die improvisierten Wagen ganz schnell von den Schienen. Der erste Cenote, Chelentun, war einfach zugänglich aber nicht sonderlich gross. Danach kamen wir zum Bolonchojol Cenote, bei dem der Fahrer meinte, dass Kyra mit ihrem Gipsarm wahrscheinlich nicht hinuntersteigen könne. Tatsächlich mussten wir über mehrere rutschige, senkrechte Leitern ungefähr 15 Meter in die Tiefe hinabklettern. Die Decke über dem Cenote war noch fast komplett und so schien nur wenig Sonnenlicht bis in die Tiefe hinunter, und die Farbe des Wassers reichte von einem dunklen Türkisblau bis zu Smaragdgrün. Wenn wir nicht gewusst hätten, dass vor uns schon andere Leute in diesem Cenote herumgeschwommen waren, wären wir bestimmt nicht hineingesprungen. Es war kein rundes, breites Loch, sondern ein enger Tunnel, der irgendwo hinten im Dunkeln verschwand. Man konnte auch den Grund des Wassers nicht sehen, was das Ganze noch unheimlicher machte. Als letztes ging es zum Chacsinicche Cenote. Auch hier war die Decke noch fast komplett und wir stiegen auf einer Holztreppe ungefähr 20 Meter in die Tiefe hinunter, wo wir leider nicht wie bei den anderen Cenotes die einzigen Besucher waren, die sich im glasklaren indigofarbenen Wasser vergnügten. Für Kyra gab es wie andernorts auch gegen einen kleinen Aufpreis einen Schwimmring. Erstaunlich war für uns sowieso, wie wenige Mexikaner hier schwimmen konnten. Einige Nichtschwimmer sprangen sogar mutig nur mit einem Schwimmring ausgerüstet von einem Felsvorsprung kreischend ins tiefe Wasser.



Auf kleinen Nebenstrassen nahmen wir nun den Weg nach Chichen Itzá unter die Räder. Einige dieser Strassen waren ganz gut, andere voller Schlaglöcher. In den ursprünglichen Kalksteinformationen entlang der Strassen konnten wir ab und zu Kakteen sehen oder sogar ein Cyrtopodium macrobulbon, eine Bodenorchidee. Westlich von Chichen Itzá stiessen wir auf die Hauptstrasse und fuhren direkt in ein starkes Gewitter mit Blitz und Donner und sintflutartigem Regen hinein. Von Chichen Itzá werde ich dann aber wieder im nächsten Bericht erzählen. Bis nach Valladolid war es nicht mehr weit. Im deutschen Reiseführer in der vollständig überarbeiteten Auflage von 2014 wurde Valladolid als eine mexikanische Kleinstadt beschrieben, "in der die Uhren langsamer gehen" (Dumont Yucatán & Chiapas, Hans-Joachim Aubert). Besonders erwähnt wurde auch die "gemütliche kleine Plaza ohne Hektik" und überhaupt die generell geruhsame Atmosphäre. Wir kamen am Morgen in die Stadt und hatten erst einmal Mühe, einen Parkplatz zu finden. Danach trampelten wir mit Touristenhorden, die aus unzähligen Tourbussen ausgelassen wurden, durch die bunte Innenstadt. Anscheinend machte jedes Touren-Unternehmen, das Ausflüge nach Chichen Itzá anbot, erst einen Zwischenstop in Valladolid. Mit der geruhsamen Atmosphäre auf der gemütlichen Plaza war es also definitiv vorbei, ausser vielleicht wenn man am späten Nachmittag durch die Gassen streift, wenn die ganzen Touristenmassen auf dem Rückweg nach Cancún, Playa del Carmen und Tulum sind. Ein Polizist gab uns eine Wegbeschreibung zum Mercado Municipal, denn am Hauptplatz gab es nur völlig touristisch aufgemachte und überteuerte Lokale. Der Markt lag versteckt um ein paar Ecken herum und begeisterte uns durch sein Angebot. Wir fanden Miniaturbohnen in grau-schwarz-braun Tönen, Chile habanero-Pulver, mit Kolibris verzierte, geschnitzte Kalebassen und vieles mehr. Gleich daneben gab es eine Lonchería, die uns von den Marktfrauen empfohlen worden war. Der Besitzer und seine Frau waren komplett desinteressiert an uns und schienen sich eher schon in ihrer Ruhe gestört zu fühlen durch unser Erscheinen, doch wir bekamen ein erstaunlich gutes Essen mit scharfer Salsa serviert und für Kyra gab es mexikanischen roten Reis. Bei einem Besuch von Valladolid lohnt es sich, einen Abstecher nach Yalcobá zu machen. Auf der Strecke waren die Schilder für den Cenote Maya Park nicht zu übersehen, anscheinend ein Vergnügungspark á la Xcaret, überteuert und touristisch. Etwas hinter Yalcobá erreichten wir das Gelände der Cenotes Palomitas und Agua Dulce. Billig war es nicht, doch dafür gab es richtige Umkleidekabinen und die Cenotes waren wunderschön. Ueber eine Leiter stiegen wir steil in die Tiefe hinunter und landeten auf einer schwimmenden Plattform. Das Dach dieses Cenotes war noch intakt und die Betreiber hatten ein Loch hineingeschlagen, durch das Sonnenlicht eindrang und durch das auch Wasser als künstlicher Wasserfall gepumpt wurde. Mein Bruder kletterte abenteuerlich mit dem Führer und einem Franzosen über die Wände auf einen Felsvorsprung zwischen Stalaktiten, von wo die drei dann ins Wasser sprangen. Das Wasser war ziemlich kühl und da nur wenig Sonnenlicht von oben eindrang, wurde einem bald etwas kalt. Unser Führer hatte uns von einem weiteren Cenote nahebei erzählt, der sogar eine Insel habe. Mit dem Fahrrad fuhr er uns voran nach Dzalbay und dem Cenote Sak-awa. Er stammte offensichtlicherweise aus Dzalbay und hatte so einen kleinen Nebenverdienst. Durch den Urwald wanderten wir bis zum Cenote, der sich als riesiges Loch herausstellte, dessen ursprüngliche nun herabgefallene Decke die Insel war. Im glasklaren Wasser schwammen wieder kleine Welse und es war im Gegensatz zum vorherigen Cenote wunderbar warm.



Als nächstes fuhren wir nach Cobá, einer weiteren Ruinenstadt, von der ich im nächsten Bericht erzählen werde. Von Cobá ging es nach Tulum, das mein Bruder vor 10 Jahren schon einmal besucht hatte. Etwas nördlich von Tulum bogen wir auf eine kleine Piste ein, die uns zum Casa Cenote brachte. Zuerst setzten wir uns ins Strand-Restaurant und genossen die Aussicht aufs Meer. Als wir die Speisekarte sahen, wurde uns sofort klar, dass wir uns an andere Preise gewöhnen mussten - hier war alles doppelt so teuer wie im Landesinneren. Eigentlich wollten wir eine Jarra de Agua de Limón, eine Karaffe mit Limes-Wasser, doch für einen Liter hätten wir $120 Pesos zahlen müssen, obwohl ein 20 Liter Wasserkanister keine $20 Pesos kostet. Da war es billiger, zwei Mineralwasser zu bestellen. Die Quesadillas von Kyra kosteten schlappe $90 Pesos, ausserdem klaubte Kyra nachher den ekligen orangen Schmelzkäse aus den Tortillas heraus und ass nur die Tortillas. Unsere Garnelen-Cocktails waren weder billig noch besonders gut. Dafür hatten wir eine traumhafte Sicht auf das Meer. Zwischen den Türen des Autos zogen wir uns nun um und klemmten uns zwischen den anderen Tagesausflüglern durch den Eingang des Casa Cenote. Hier schwamm man zwischen Mangroven in einem untypischen Cenote, der oberirdisch war, aber einen Durchgang zum Meer hatte und dessen Strömung beträchtlich war. Kaum waren wir angekommen ging ein Geschrei und Theater los, weil ein paar spanischen Touristinnen ihre Habseligkeiten gestohlen worden waren. Die Frauen hatten Geld, Pässe und Handy beim Aufseher am Eingang zurückgelassen, der versprach, gut auf alles aufzupassen. Nach einer ganzen Weile erschien die Polizei, doch besagter Aufseher war schon lange verschwunden, wahrscheinlich um sich die Ausbeute mit seinem Kollegen zu teilen. Jedenfalls parkten wir danach unser Auto gerade vor dem Cenote Eingang und nahmen unsere Wertsachen in einem wasserfesten Beutel bis an den Cenote, wo entweder mein Bruder oder ich darauf aufpassten. Nicht nur die Preise erinnerten einen daran, dass man zurück beim Massentourismus gelandet war, sondern auch die Gelegenheitsräuber.



Mein Bruder wollte die letzten zwei Tage des Urlaubes noch an einem schönen Strand verbringen. Im Reiseführer hatte er von Paa-Mul gelesen, einem kleinen Strand südlich von Playa del Carmen, wo Meeresschildkröten ihre Eier legen (direkter Link hier). Telefonisch hatten wir einen Bungalow mit Meersicht reserviert, der als 'ecological cabaña' angepriesen wurde. Oekologisch ist mittlerweile auch in Mexiko ein grosser Verkaufsrenner, v.a. wenn ausländische Touristen involviert sind, und so waren unsere Oeko-Bungalows einfach uralte Strandhäuschen, aus Holz zusammengebastelt, mit Palmstroh abgedeckt, eingerichtet mit zwei grossen Betten und Moskitonetz, einem antiken Kühlschrank, Mikrowelle und einem rudimentären Badezimmer. Die Lage war allerdings genial, unter Kokospalmen mit Sicht aufs Meer und mit einer kleinen Veranda mit Tisch und Stühlen, perfekt für die nachmittäglichen Spielrunden mit Kyra. Ueber die Treppen des Bungalows hinunter ging es in den Sand und direkt zum Strand, der teilweise etwas steinig war. Klapprige, fast schon antike Modelle von Liegestühlen standen im Schatten und wurden sofort von uns belegt. Die Korallen waren leider schon ziemlich zerstört, trotzdem konnte man beim schnorcheln noch einige bunte Fische sehen. Zu den Bungalows gehörte ein riesiger Campingplatz, wo Amerikaner und Kanadier ihre Monster-Wohnmobile abgestellt hatten, die mit angebauten Terrassen und Verandas als perfekte Ueberwinterungsorte taugten. Dann gab es noch ein Hotel und ein Restaurant mit Bar und Blick aufs Meer. $1800 Pesos kostete die Nacht in einem Oeko-Bungalow, ausgezeichnetes Frühstück inklusive. Das lag etwas über meinem Budget, doch mein spendabler Bruder zückte seine Kreditkarte und lud mich zu diesem tollen Ferienabschluss ein. Abends fuhren wir zum Puerto Aventuras Hotel Komplex, wo es verschiedene Hotels, aber auch private Villen, Time-Share Apartements, Restaurants, Shopping, Yachthafen, etc. pp. gab. Natürlich gab es Pizza, doch die gibt es in der Schweiz auch, wahrscheinlich sogar noch besser. Starbucks war auch hier. Und bei Nachfrage in einem komplett leeren Restaurant waren die Preise so überrissen, dass wir dankend ablehnten und in das Dorf hinter Puerto Aventuras fuhren. Schliesslich fanden wir an einer Ecke ein Restaurant, wo es kaltes Bier und gutes Essen zu vernünftigen Preisen gab. Danach setzten wir uns vor dem Bungalow in den Sand und warteten auf die Meeresschildkröten. Von den sieben Arten legen sechs ihre Eier an verschiedenen Stränden in Mexiko. Die Weibchen kommen in Paa Mul zwischen Juli und August an Land, um ihre Eier zu legen. Uebrigens kommt ein Weibchen an den genauen Ort zurück, um ihre Eier zu legen, an dem es geboren wurde. Ein Nest kann bis zu 200 Eier beinhalten, die das Weibchen im Sand einbuddelt. Nach ungefähr 50 Tagen schlüpfen die jungen Schildkröten und kriechen vom Strand zurück ins Meer. Auf diesem kurzen Weg warten Leguane und Vögel auf die kleinen Leckerbissen, aber auch die Menschen tragen wesentlich zur Ausrottung bei, denn Schildkröteneier und Fleisch erzielen auf dem Schwarzmarkt hohe Preise. Kurz nach neun Uhr nachts kam Bewegung auf und die erste Schildkröte kroch an Land. Mühsam arbeitete sie sich den Strand hinauf und fing schliesslich an, mit ihren beiden Hinterflossen ein Loch zu buddeln. Bald folgten weitere Schildkröten, doch es dauerte ewig, bis die Löcher tief genug waren. Schliesslich gingen wir schlafen und stellten den Wecker auf zwei Uhr morgens. Im Mondlicht sahen wir nur auf unserem kleinen Strandabschnitt 13 Schildkröten, die in ihren Nestern Eier gelegt hatten und diese nun wieder mit Sand zubuddelten und zurück ins Meer verschwanden. Am nächsten Morgen waren nur noch die Kriechspuren sichtbar. Leguane hatten ein paar zu wenig gut eingegrabene Eier entdeckt und ausgeschlürft. An diesem letzten Tag am Strand fuhren Kyra und ich zuerst mit dem Kayak in der Bucht umher. Diese Kayak-Fahrt war im Hotelpreis inbegriffen. Wir mussten uns etwas durch die braunen Algenteppiche durchkämpfen, die an verschiedenen Stränden in Yucatán und Quintana Roo angeschwemmt worden waren. Die Sargassum Alge kommt aus der Sargasso See im Mittleren Atlantischen Ozean und bedeckte im Sommer 2015 weite Teile mexikanischer Strände. Wir hatten Glück und die angeschwemmten Algen wurden von Freiwilligen entfernt und stanken auch nicht wie an anderen Orten. Den Rest des Tages verbrachten wir mit Schnorcheln, Muscheln und Korallen suchen, 'Sünnele' (=Sonnenbaden), und natürlich verschiedenen Spielen.



Nach einem letzten Bad im Meer packten wir unsere Siebensachen zusammen und fuhren gemütlich Richtung Cancún. Zum Glück gibt es entlang der Riviera Maya noch Urwald, der die Strasse auf beiden Seiten begrenzt, denn so sieht man nur die pompösen und oft geschmacklosen Eingansportale zu den All-Inclusive Resorts, die die Küste säumen. Je näher man Playa del Carmen und Cancún kommt, desto hässlicher werden die Gebäude, desto dichter die Ueberbauungen. Mein Flieger nach Guadalajara startete schon am Mittag und so hiess es bald, sich nach einem wunderbaren Urlaub zu verabschieden. Natürlich wurden schon Pläne für eine Wiederholung geschmiedet, bei der wir die Urwälder und Ruinenstätten in Chiapas erkunden wollen. Viel zu schnell war diese Reise zu Ende. Ich hätte mich glatt an die Sandstrände, Cenotes, grüne Urwälder, Kutschenfahrten und edlen Hotels gewöhnen können, doch Zuhause warteten der Ehemann, die Katzenbande, die Hühner und der Garten.



August 2015



Julia Etter & Martin Kristen