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Reisen mit Kyra und Kaspar I: Schnorcheln mit Walhaien
Weisser Sandstrand, Liegestühle unter Kokospalmen, glasklares, türkisblaues Wasser bis an den Horizont. Perfekte Sonnenuntergänge. Nette Hotels, sandige Strassen, und eine Unmenge von Souvenirständen. Trotzdem ist die Insel Holbox auch für Leute, die den Massentourismus hassen, absolut eine Reise wert, u.a. auch wegen der Walhaie, die sich hier von Mai bis September sehen lassen. Als mein Bruder Kaspar für 2015 eine Reise nach Mexico plante, stand bei ihm das Schnorcheln mit den Walhaien ganz oben auf der Liste.
Ab und zu hat man sich einen schönen Urlaub verdient: vom Garten, den Hühnern, der Katzenbande, und dem Ehemann. In dieser Reihenfolge. Und so ein Urlaub wird noch schöner, wenn man ihn mit der besten Nichte und dem besten Bruder der Welt verbringen kann. Ich kann sie getrost die beste Nichte und den besten Bruder der Welt nennen, denn ich habe nur eine Nichte und einen Bruder. Aber Spass beiseite, nach dem dreiwöchigen Urlaub stehen sie immer noch ganz oben auf meiner Bestenliste!
Viel Planung beinhaltete unser Urlaub nicht. Kyra und Kaspar flogen mit einer Chartermaschine von Deutschland direkt nach Cancun. D.h. fast wären sie nicht geflogen, denn Kyra's Arm war noch immer im Gips und am Flughafen in Frankfurt meinten sie, es wäre sehr gefährlich, mit einem Gips zu fliegen. Weshalb die in Zürich sie ohne Kommentar fliegen liessen, sei dahingestellt. Jedenfalls hatte Kaspar das Glück und erreichte den Doktor in der Schweiz telefonisch, der bestätigte, dass es kein Problem darstelle, mit dem Gips in ein Flugzeug zu steigen und nachdem einige Papiere unterschrieben waren, im Stil von "alles auf eigenes Risiko", durften sie dann doch noch einsteigen. Danach hatten sie für drei Tage ein Hotel in Playa del Carmen gebucht, um sich etwas auszuruhen und v.a. anzuklimatisieren. Von Cancun ging es mit Volaris direkt nach Guadalajara, wo ich sie am Flughafen abholte. Danach verbrachten wir eine Woche bei uns im Garten, v.a. am Swimming Pool und in den Liegestühlen. Kyra hatte schon am ersten Tag eine neue Freundin gefunden, Lene, eine unserer Katzen. Ausserdem sang sie den Hühnern jeden Abend ein Gutenachtlied vor, was diese mit einer extrem reichen Eierernte belohnten.
Nach dieser erholsamen Woche flogen wir zu dritt wieder nach Cancun. Martin blieb zuhause, einer musste ja schliesslich die Hühner versorgen, die Katzen streicheln, und im Garten für Ordnung sorgen. In Cancun hatten wir ein Auto reserviert mit einer Firma, von der wir beide noch nie etwas gehört hatten. Kaum war man gelandet und auf dem Weg nach draussen, klebte einem die Kleidung am Leib und man schwitzte schon kräftig. Juli auf der Yucatan Halbinsel gehört zu den heissesten und feuchtesten Monaten, doch die Schweizer Sommerferien richteten sich leider nicht nach dem mexikanischen Klima. Ausserdem wurde man sofort von Leuten bestürmt, die einem alles mögliche andrehen wollten. Nur unsere Vermieterfirma stand leider nicht draussen vor dem Flughafengebäude. Nach einigem Hin und Her stellte sich heraus, dass die Firma zu Hertz gehörte und wir in deren Shuttle Bus einsteigen mussten. So erreichten wir doch noch die sehr versteckt liegende Verleih-Agentur, wo unser Auto allerdings erst noch gewaschen werden musste. Mittlerweile war es schon später Nachmittag und wir fuhren Richtung Westen los und wollten irgendwo unterwegs ein Hotel finden. Das stellte sich als etwas schwieriger heraus und schliesslich landeten wir bei kompletter Dunkelheit in Kantunilkin. Das Hotel war ein typisches mexikanisches Hotel, aber es hatte immerhin eine funktionierende Klimaanlage im Zimmer. Kyra war sehr erstaunt, dass es im Hotel kein Restaurant hatte, dafür fanden wir am Dorfplatz ein kleines Lokal, wo wir Tacos und Quesadillas bestellen konnten.
Am nächsten Morgen fuhren wir weiter nach Chiquila, wo das Schiff auf die Insel Holbox losfuhr. Rund um den Hafen befand sich ein Parkplatz neben dem anderen und Jungs schrieen und fuchtelten wie wild, um die Klienten auf ihren Parkplatz zu locken. Wir leisteten uns eine private Lancha, ein Fischerboot, das allerdings nicht wie versprochen viel schneller war, sondern ungefähr zur gleichen Zeit auf Holbox ankam wie das normale Schiff. Auf Holbox bewegt man sich entweder zu Fuss, per Fahrrad, Golf Cart oder auf einem ATV fort. Mit unserem Gepäck war der Golf Cart das passendste Fortbewegungsmittel. Auf Sandstrassen ging es quer über die Insel bis zum Hotel La Palapa de Lino, wo ich ein Bungalow gemietet hatte. Das Hotel war wunderschön am Strand gelegen mit Liegestühlen unter Kokospalmen und dem hellblauen Meer direkt vor der Nase. Es gab ein kleines Restaurant mit Bar, alles Outdoor natürlich. Den Rest des Tages verbrachten wir im Liegestuhl im Schatten der Kokospalmen und schwimmend und schaukelnd im warmen Wasser. Kyra hatte ja schon Uebung von unserem Swimming Pool mit ihrem Arm im Gips und Wellen waren hier eh keine vorhanden. Kaspar organisierte noch unsere Walhai Tour für den nächsten Tag. Danach schlenderten wir durch das Dorf und erkundeten die Souvenirläden, wo Kyra schnell lernte, wie man um den Preis feilschen konnte. Einige Restaurants sahen zwar sehr nett aus, doch irgendwie wirkte alles sehr touristisch. Kyra wollte unbedingt Pizza essen, so setzten wir uns eben in eine Pizzeria und bestellten zwei Bier, während Kyra ihre Pizza Margarita verschlang. Danach gingen wir um die Ecke zu einem gut besuchten Taco-Stand, wo man sich bequem hinsetzen konnte. An der Ecke gab es Bier in der grossen Flasche, am Tacostand Tacos al pastor, die so ähnlich aussehen wie ein Gyros, aber mit einem Stückchen Ananas serviert werden, und natürlich vielen scharfen Salsas. Mein Bruder war im siebten Himmel und Kyra war ganz zufrieden, dass sein Gesicht richtig rot anlief bei den vielen Habanero Chiles, die er verdrückte.
Am nächsten Morgen standen wir früh auf, um noch im Dorf ein kleines Frühstück zu essen. Die Restaurants waren allerdings noch alle geschlossen, nur an einigen Strassenecken war schon Frühstück erhältlich. Bruder und Schwester entschieden sich stattdessen für frische Ataulfo Mangos und Pitahaya (die Frucht von Hylocereus undatus). Kyra machte eine noch gesündere Wahl: ein Paket Vanillekekse. Um 7:30 wurden wir von einem Golf Cart beim Hotel abgeholt und zum Pier gefahren. Dort waren schon viele Boote startbereit und offiziell aussehende, uniformierte Leute wieselten mit Notizblöcken und Namenslisten durch die wartende Menge. Wir bestiegen unser Boot, das wir uns mit dem Bootsführer und seinem dicken Hilfspolizisten und acht weiteren Passagieren teilten. Ich hatte die Boote nicht gezählt, doch es verliessen extrem viele den Hafen in Richtung offenes Meer, und alle mit dem gleichen Ziel, möglichst schnell einen Walhai zu sichten.
Walhaie sind die grössten Haie und die grössten Fische der Gegenwart. Ein weiterer Superlativ ist die mit 15 cm dickste Haut aller Lebewesen der Erde. Das längste gemessene Tier war 13,7 Meter lang, doch es gibt auch Berichte von grösseren Individuen. Walhaie können über 20 Tonnen wiegen. Sie ernähren sich von Plankton und anderen Kleinstlebewesen, die sie durch das Ansaugen des Wassers im riesigen Maul filtrieren. Sie bevorzugen Wassertemperaturen zwischen 21 bis 25° Celsius und können weltweit in fast allen warmen, tropischen und subtropischen Gewässern angetroffen werden. Im Gebiet zwischen dem Golf von Mexiko und der Karibik gelangen riesige Planktonmengen aus den kalten Regionen des Atlantiks an die Oberfläche, was die Gegend zu einem der reichsten Fressplätze weltweit macht. Vom Plankton angezogen werden Sardinen, Thunfische, Marline, Delfine, Haie, Mantarochen, und eben die Walhaie. Das ist natürlich ausgezeichnetes Business und an einem guten Tag können die Touren anscheinend einen Umsatz von bis zu 400'000 US-Dollar einbringen.
Nachdem wir alle Schwimmwesten bekommen hatten und unser Bootsführer uns ein paar einführende Worte mit auf den Weg gegeben hatte, düsten wir los. Wie oben erwähnt, sind die Walhaie Big Business, und auf Holbox gibt es an jeder Strassenecke ein Büro, an jedem Strand und in jedem Hotel geschäftige Verkäufer, bei denen man eine Tour buchen kann. Der Preis bewegt sich zwischen $100-150 US-Dollar pro Person, je nachdem was alles angeboten wird. So waren wir leider Gottes nicht alleine, sondern in Gesellschaft von vielen anderen bunten Booten, eines hiess sogar Julia, die alle in die gleiche Richtung losfuhren. Mit von der Partie war eine Mutter mit Tochter (beides Nichtschwimmerinnen), drei ältere Freunde mit einem Neffen (der Neffe ein Schwimmer, die Freunde gingen nicht ins Wasser, weil sie das alles schon kannten), und ein Vater mit Sohn (der Sohn ein Nichtschwimmer). Unterwegs sahen wir ein paar Delfine und gelbe Rochen. Der dicke Gehilfe des Bootsführers war unterdessen auf das Dach gestiegen, um die berühmten Haifinnen zu sichten, allerdings ohne Erfolg. Nach ca. einer Stunde versammelte sich der Grossteil der Boote um einen Walhai herum, doch wir tuckerten weiter aufs Meer hinaus. Ein paar Fischer in einem Boot hatten leider keine Walhaie gesichtet, doch dann bekam unser Bootsführer einen Funkspruch, dass in der Nähe einer unterwegs sei. Die Bootsführer sind nämlich untereinander verpflichtet, sich die Lokalitäten der Walhaie per Funk durchzugeben.
Während wir nun also zu besagter Position fuhren, wurden die ersten Taucher ausgesucht. Schwimmer sollten es auf jeden Fall sein. Mein Bruder und der zweite junge Mann an Bord wurden ausgesucht, mussten sich die Flossen und Tauchmasken anziehen und sich auf den Rand des Bootes setzen. Es wurde ihnen eingebläut, dass sie sofort ins Wasser springen mussten, wenn das Kommando gegeben wurde und dann immer den Zeichen des dicken Gehilfen folgen mussten. Vor uns waren noch einige Boote am dümpeln und immer wieder sprangen die Touristen paarweise mit Führer ins Wasser. Vom Walhai sahen wir noch nicht viel. Dann war die Reihe an uns, der Bootsführer schrie "Vamonos!" und los ging's. Jetzt sahen wir auch die riesigen Umrisse des Walhaies und ab und zu kam auch seine Flosse an die Wasseroberfläche. Mein Bruder kam über das ganze Gesicht strahlend wieder aus dem Wasser. Er erzählte lachend vom dicken Gehilfen, der ihn unter Wasser immer wieder am Arm zerrte und wie wild auf den Walhai zeigte, als ob der Riesenfisch zu übersehen gewesen wäre. Nun mussten wir wieder eine lange Runde drehen, bis die Reihe an den nächsten war. Als ich ins warme Wasser sprang, sah ich in der Ferne einen dunklen Schatten. Auf diesen Schatten hielten wir nun zu, oder besser der Schatten kam auf uns zugeschwommen. Vor mir sah ich nur ein Riesenmaul erscheinen, dann glitt der Walhai langsam an mir vorbei. Wenn es nicht verboten gewesen wäre, hätte ich ihn einfach berühren können, so nahe war er. Es ist schwierig, die ganzen Emotionen zu beschreiben, die durch einen fluten, wenn man so einen eleganten und sanften Meeresriesen an sich vorbeiziehen sieht. Eine Weile lang konnte ich mit dem Walhai mitschwimmen und seine weissen Punkte auf der dunkelgrauen Haut bewundern; die lokalen Fischer nennen ihn wegen ebendieser Punkte Domino. Dann fing der Gehilfe an zu fuchteln und wir mussten zurück aufs Boot und die nächste Runde abzuckeln. Nun war es an den Nichtschwimmern, sich ins Wasser zu werfen. Unglaublich, oder vielleicht sehr mexikanisch, dass es erlaubt ist, Nichtschwimmer ins tiefe Wasser zu lassen. Jedenfalls brauchte es etwas Ueberzeugungskraft, und einen Schubs von hinten, bis Mutter und Tochter im Wasser waren. Dann strampelten sie wie wild mit den Flossen während der Gehilfe die beiden unter seine Arme packte und so gut wie eben möglich versuchte, in die Nähe des Walhaies zu kommen. Auch diese beiden kamen breit strahlend wieder aus dem Wasser heraus. Und so ging's weiter im Text bis alle zweimal im Wasser waren. Vergebens versuchten die Leute an Bord, Kyra davon zu überzeugen, den "Sprung" ins Wasser zu wagen. Der Gehilfe bot an, sie auf die Schultern zu nehmen, damit ihr Gips nicht nass wurde. Ein überzeugtes Nein war die Antwort. Ihr Vater bot dasselbe an, doch auch er bekam eine negative Antwort. Vielleicht war der Walhai einfach ein zu grosses und unheimliches Tier für die elfjährige Kyra, v.a. weil sie sich ja nicht wirklich selber bewegen konnte. Weil's für alle anderen so schön war, durfte mein weitgereister Bruder noch ein drittes Mal ins Wasser springen. Danach manövrierte der Bootsführer sein Boot haargenau neben den Walhai und wir trieben eine Weile neben dem Meeresriesen und konnten tolle Fotos machen. Verwunderlich, dass sich das Tier so lange und geduldig von uns Zwergen mit grell orangen Schwimmwesten belästigen liess. Immerhin hatte er jetzt einen freien Nachmittag, bis am nächsten Morgen der ganze Trubel wieder von vorne losging.
Dann war der Spass aber auch schon vorbei und es ging zum nächsten Teil des Tages über, schliesslich war es ja ein touristischer Ausflug und man musste die Leute bei Laune halten, obwohl es für uns auch gereicht hätte, wenn wir noch ein paarmal mehr mit dem Walhai hätten schwimmen können. Der Gehilfe wurde nun zum Koch und setzte sich hinten ins Boot, wo er anfing, einen Ceviche zuzubereiten, der danach mit Chips serviert wurde. Auf Nachfrage gab es sogar scharfe Habanero Chiles. Danach ankerten wir etwas vom Ufer entfernt und konnten im glasklaren Wasser schnorcheln. Leider waren die Korallen von den täglich hier ankernden Booten schon sehr zerstört, doch es gab immer noch viele bunte Fische zu sehen, eine violette Muräne versteckte sich unter einem Stein, und sogar ein paar Schildkröten schwammen im Wasser. Für die nächste Attraktion fuhren wir den Mangroven entlang in eine langgestreckte, seichte Bucht hinein, wo das hellblaue Wasser nicht einmal knietief war. Kleine Welse hatten schon auf uns gewartet, oder wohl eher auf die Ueberreste des Ceviche. Dann ging es wieder zurück Richtung Holbox und auf dem Weg sahen wir sogar noch ein paar Flamingos im Wasser stehen, deren Brutzeit eigentlich schon vorbei war. Faszinierend an dieser Bootsfahrt in der Nähe des Ufers war die türkisblaue Farbe des Wassers, die mit dem Dunkelblau des Himmels kontrastierte. Zufrieden, sonnenverbrannt und erschöpft kamen wir am Nachmittag wieder am Bootssteg von Holbox an.
Nachdem wir uns in den Liegestühlen des Hotels etwas ausgeruht hatten, schlenderten wir wieder durch das Dorf. Diesmal erkundeten wir andere Gassen mit neuen Souvenirgeschäften. Kyra war mittlerweile schon eine gewiefte Feilscherin und hatte grossen Erfolg. An diesem Abend entdeckte sie auf dem Hauptplatz einige Stände, die Marquesitas verkauften, eine Crepes im Stil von Yucatan. Je nach Gusto wurden diese mit "queso bola", einem holländischen Edamer, gefüllt, oder mehr nach Kyra's Geschmack mit Nutella. Nachdem sie gespiesen hatte, verzogen wir uns wieder zum Tacostand vom vorherigen Abend, erstanden eine Flasche Bier an der Ecke, und genossen ein weiteres leckeres Abendessen. Bevor wir uns ins Zimmer zurückzogen, stiegen wir noch bis auf die Dachterrasse des Hotels hoch, wo man in Hängematten gemütlich schaukeln konnte. Eine App auf meinem Handy zeigte uns sogar die Namen der unzähligen Sterne am Nachthimmel an.
Nach dem Schnorcheln mit den Walhaien war das Ziel der Reise eigentlich erreicht, doch da wir schon alle so weit gereist waren, machten wir noch eine kleine Rundreise durch Yucatan. Mit Kyra und Kaspar besuchte ich Cenotes, Merida und Izamal, Hängematten Webereien, ehemalige Sisalplantagen, einen Strand, wo Schildkröten ihre Eier legen, und Kyra's Lieblingstiere, Pferde, v.a. in Form von Pferdekutschen, standen auch auf dem Programm, doch davon werde ich im nächsten Reisebericht erzählen.
Juli 2015
Julia Etter & Martin Kristen
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