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Las Vegas - mehr als zocken



Wo und wie verbringen die Kretters (unser Spitzname, eine Kombination aus Kristen & Etter) am liebsten ihre Ferien? Natürlich irgendwo im Feld und auf der Suche nach sukkulenten Pflanzen. Da wir zur 2015 Generalversammlung der amerikanischen Kakteengesellschaft in Claremont, im Grossraum Los Angeles, eingeladen wurden, war das natürlich ein guter Anlass, den weiten Weg nicht nur deswegen unter die Räder zu nehmen, sondern gleichzeitig auch noch Freunde und v.a. Pflanzen zu besuchen. Kelly Griffin, unser Freund aus Carlsbad, der uns schon verschiedentlich besucht hatte und bei dem wir schon mehrmals zu Besuch waren, schlug uns einen kleinen Ausflug vor, den wir unmöglich verpassen wollten: Las Vegas! Man glaubt es kaum, doch in der nahen Umgebung von Sin City (ein Spitzname für Vegas) gibt es wunderschöne Agaven, die wir noch nicht persönlich gesehen hatten, von denen uns alle möglichen Leute schon erzählt hatten, und von denen wir schon die tollsten Bilder gesehen hatten: Agave utahensis var. eborispina (die nach der aktuellen Taxonomie nur ein Synonym von A. utahensis darstellt). Gamblen stand definitiv nicht auf dem Programm.



Kelly hatte den Ausflug ganz genau organisiert und auch schon Hotelzimmer und Mietauto reserviert. Im letzten Moment aber kam dann alles durcheinander. Denise, Kelly's Frau, konnte nicht mitkommen, weil ihr Fuss noch immer im Gips war und es ein Unsinn gewesen wäre, wenn sie bei hochsommerlichen Temperaturen um die 40° Celsius im Auto auf uns hätte warten müssen. Komplizierter war der Fall von Andry Petignat, Manager des Antsokay Arboretum in Madagascar und ein Freund von Kelly, der auch als Vortragender eingeladen war. Geplant war, dass Andry nach Las Vegas fliegen würde, wo wir ihn am Flughafen abholen sollten, um danach gemeinsam ins Feld zu gehen. Doch wir wollen Euch nicht mit allen Details langweilen. Andry verpasste seinen Anschlussflug in Paris, er kam erst gegen Mitternacht in Las Vegas an und verpasste so einen tollen Tag im Feld. Aber alles der Reihe nach.



Am späteren Nachmittag fuhren wir in Carlsbad los und erreichten Barstow problemlos. An Barstow konnten wir uns vage erinnern. Nicht nur aus Unimog-Zeiten, sondern auch von einer früheren Reise 1990 mit einem gemieteten Wohnmobil. Geändert hatte sich seither nicht arg viel, eine gewagte Bemerkung, die die Barstower (oder wie man sie denn nennt) wahrscheinlich vehement bestreiten würden. Etwas grösser war Barstow geworden, mit einigen modernen Hotels und den üblichen Fast Food Restaurants, darunter allerdings auch Chipotle Grill und Panera Bread, die zwar Fast Food servieren, aber eben ein etwas gesünderes Angebot haben als MacDonalds & Co. Ansonsten sah es immer noch nach irgendeiner unscheinbaren amerikanischen Stadt an einer grossen Highway Kreuzung aus, an die man sich, kaum ist man durchgefahren, nicht mehr erinnern kann.



Am nächsten Morgen fuhren wir weiter Richtung Las Vegas. Unser erster Stop war in der Gegend von Mountain Pass. Wir fuhren von der Autobahn ab und auf einer Piste zum Geisterdorf Kokoweef. Das Kaff sah ziemlich verlassen aus, doch wir waren uns sicher, dass wir aus einem der verlotterten Wohnwagen beobachtet wurden. Dahinter ging es einen kleinen Hügel hoch und da sahen wir auch schon die ersten Pflanzen von Agave utahensis var. nevadensis (auch dies nach aktueller Taxonomie nur eine A. utahensis), allerdings nicht in Nevada, sondern immer noch in Kalifornien. Einige wenige Pflanzen waren noch in Blüte. Die Landschaft war fantastisch schön mit goldgelben runden Steinen, einem dunkelblauen Himmel bis an den Horizont, und natürlich vielen anderen Pflanzen. Die Variante nevadensis unterscheidet sich v.a. durch den doppelt so langen Enddorn von der normalen Agave utahensis und wir waren denn auch begeistert von den unterschiedlichen Exemplaren, die wir auf unserer Entdeckungstour auf diesem Hügel sahen. Und weil's so schön war, fuhren wir noch auf einen anderen fast gegenüber liegenden Hügel hoch, auf dem Kelly auch noch nicht gewesen war. Die Pflanzen wuchsen auch hier und waren genauso schön wie am vorherigen Hügel. Dann ging es zurück auf die Autobahn und bald schon passierten wir die Staatsgrenze zu Nevada und die ersten Casinos. Dann folgte Las Vegas, wo wir anno Schnee mal mit dem Unimog beim Circus Circus campierten. Die Stadt war in der Zwischenzeit beträchtlich gewachsen, es gab neue Glastürme zu bestaunen, doch wir waren froh, dass man das alles direkt von der Autobahn aus machen konnte. Am Nordende ging es auf dem US 95 gleich wieder zur Stadt raus und in die Wüste. Weit mussten wir nicht fahren, da bog Kelly schon in eine Seitenstrasse ein und fuhr etwas in die Berge hinauf. Wir parkten gleich neben der Strasse und wanderten zu gelben Felswänden, wo wir nun Agave utahensis var. eborispina bestaunten. Die Variante eborispina unterscheidet sich durch ihre extrem langen, bis zu 20 cm langen, Enddornen. Wir waren ja schon am vorherigen Standort begeistert von den Pflanzen, doch diese hier schlugen alles, was wir vorher gesehen hatten. Endlos lange Enddornen, Randzähne oft zusammengewachsen und papierig, die Rosetten extrem kompakt und symmetrisch gewachsen, kurz und gut ein Paradies für jeden Agavenfreak! Mit Worten kann man diese unglaublich schönen Pflanzen in ihrer Umgebung schwer beschreiben, deshalb machten wir auch viel zuviele Fotos, die wir leider nicht alle hier publizieren können. Dazu kam noch die tolle Landschaft und die absolute Stille an diesem doch recht warmen Juni-Nachmittag. Herrlich, was man nur wenige Kilometer von der Metropole Las Vegas entfernt sehen konnte.



Kelly hatte schon vorgesorgt und ein Hotel in Las Vegas reserviert. Nun kam das Navigationsgerät zum Einsatz. In der näheren Umgebung gab es v.a. mexikanische Restaurants, was wir strikt ablehnten. Thai sollte es sein und das war auch schnell gefunden, doch als wir beim Restaurant ankamen, sah es eher nach Fast Food aus und war komplett leer. Beim zweiten Versuch googelten wir das beste Thai Restaurant in Las Vegas, das dann leider auf der anderen Seite der Stadt lag. Kelly hatte Verständnis dafür, dass wir in Mexico genug mexikanisches Essen essen und deshalb fuhr er uns bereitwillig durch das Stadtzentrum hindurch bis wir an der richtigen Adresse landeten. Es war eine sehr herabgekommen aussehende ehemalige Shopping Mall, wo noch einige Geschäfte überlebten, viele geschlossen waren, und sich viele exotische Restaurants aneinander reihten. Unser Thai Laden sah sehr seltsam aus, doch da das Essen überall hoch gelobt wurde, wagten wir es trotzdem. Leider konnten wir nicht alles von der riesigen Karte bestellen, doch was wir bekamen schmeckte ausgezeichnet. Das Restaurant schien tatsächlich ein beliebter Treffpunkt nicht nur für Thais zu sein, sondern auch für moderne Hippies in ausgefallenster Kleidung, abenteuerlichsten Frisuren und überdimensionalen Ohrringen. Zum Dessert fanden wir, ebenfalls per Mr. Google, noch einen Glace-Laden, wo wir Rocky Road Eis probierten, von dem Kelly so geschwärmt hatte. Rocky Road Brownies waren auch einer unserer Lieblinge, doch das Eiscreme mit Schokoladechips, Marshmallows und Nüssen war dann doch eine etwas zu amerikanische Erfindung. Kelly musste noch bis Mitternacht durchstehen, um Andry am Flughafen abzuholen, während wir uns zur wohlverdienten Nachtruhe auf unser Zimmer verzogen.



Am Morgen machten wir die Bekanntschaft von Andry, der Wurzeln in die Schweiz hat. Sein Vater kam aus Porrentruy im Kanton Jura und Andry hatte immer noch Verwandte in der Schweiz, die er auf dieser Reise besuchen wollte. Ausserdem stellte sich heraus, dass er einen weiteren Freund aus dem Zürcher Kakteenclub kannte, der regelmässig nach Madagaskar fährt. Und einmal mehr bestätigte sich, dass die Welt doch sehr klein ist! Auf einer relativ neuen Umfahrungsstrasse fuhren wir am Westrand von Las Vegas um das Zentrum herum, doch Andry bekam doch noch etwas von Vegas bei Tageslicht zu sehen. Unglaublich, dass immer noch mehr Häuser gebaut wurden, dass die Stadt sich wie ein Krebsgeschwür immer weiter ausbreitete. Ebenso unglaublich, wie viele dieser Häuser direkt an der vielbefahrenen Strasse mit Aussicht auf ebendiese gebaut wurden. Und noch erstaunlicher, wie viele Flächen immer noch mit Rasen und Blumen bepflanzt waren, obwohl sich Las Vegas mitten in der Wüste befindet und allerorts für eine Bepflanzung mit wüstentauglichen Pflanzen geworben wird. Bald ging es auf der US 160 Richtung Westen. Die Kulisse waren die roten Felswände des Red Rock State Park. Unser erster Stop war im Spring Mountain National Forest, wo wir Agave utahensis var. nevadensis nun auch in Nevada fotografieren konnten. Der Hügel war ziemlich steil und mit Tausenden von Agaven bewachsen, allerdings waren wir von der var. eborispina von gestern schon sehr verwöhnt und konnten uns nicht dazu animieren, bis ganz zuoberst hinaufzuklettern. Danach ging es weiter durch die karge Landschaft Richtung Pahrump. Im klimatisierten Auto fühlten wir uns alle sehr wohl und hofften, am nächsten Standort nicht unerträgliche Temperaturen anzutreffen. Kelly fand den Einstieg zu einer kleinen Piste in die Nopah Range problemlos. Am Fuss der Hügel bei einem kleinen Arroyo parkten wir und schulterten die Rucksäcke. Die Temperatur war erstaunlich angenehm, oder besser gesagt erträglich, jedenfalls hatte es nicht die befürchteten 42° Celsius. Wir folgten dem trockenen Bachbett in die Höhe und kletterten schliesslich über schräge Felsen den steilen Berghang hinauf, um schliesslich bei Pflanzen zu landen, die auch unter dem Namen 'Superman' bekannt sind. Jedenfalls ist es eine extrem gross wachsende Form von Agave utahensis var. eborispina. Kelly fotografierte uns vor 'Superman', von dem sich aber leider später herausstellte, dass es gar nicht DER 'Superman' war. Wir befanden uns weit oberhalb der Strasse und hatten eine gigantische Sicht nach Osten mit Las Vegas in der Ferne und nach Westen nach Kalifornien hinein. Die Agaven waren ganz toll gewachsen, extrem kompakte und symmetrische Rosetten mit fantastischen Enddornen. Gegen den blauen Himmel und mit unserem neuen Super-Weitwinkel-Objektiv ergaben das wunderschöne Fotos.



Von Pahrump ging es nach Shoshone und weiter nach Tecopa, wo wir auf eine Seitenstrasse einbogen. Bald wurde aus dem Asphalt eine gut befahrbare Piste und die Vegetation wurde interessanter, sobald wir uns den Bergen näherten. An den Hängen gab es riesige Bestände von Nolina parryi, die gerade verblüht war. Auch violette Steine waren interessant, doch leider müssten wir diese ja versteckt nach Mexico einschmuggeln. In der Umgebung der Excelsior Mine stoppten wir einmal mehr. Diesmal für die hundskommune Agave utahensis. Wir waren komplett alleine in dieser sagenhaften Landschaft, nur am Horizont drohten schwarze Regenwolken. Weiter ging es entlang der Excelsior Mine Road, wo wir noch einige Male stoppten, für Yuccas oder für Steine. Kelly fuhr uns auch noch zu einem seiner Lieblingsplätze für Steine, wo es tolle Exemplare gab, die er 'desert patina rocks' nannte. Natürlich konnten wir nicht anders und füllten das Auto mit den schönsten Brocken. Die Heimfahrt nach Mexico und der Zoll waren ja noch in weiter Ferne! Nun erreichte uns tatsächlich das Gewitter, es prasselte auf das Auto nieder und die tollsten Blitze zuckten vom Himmel. Danach roch es wunderbar nach nasser Erde und feuchtem Creosote-Busch. Schliesslich erreichten wir den Interstate 15 wieder und fuhren Richtung Barstow. In Baker zeigte das überdimensionale Thermometer neben der Autobahn um 18:30 abends immerhin noch 42° an! In Barstow kannten wir uns ja schon aus und entschieden uns wieder für das Panera Bread Restaurant.



Die Fahrt nach Carlsbad am nächsten Morgen war einfach. Unterwegs sahen wir noch die blühenden Hesperoyucca whippleyi bei San Bernardino und später Dudleya pulverulenta, alles aus dem fahrenden Auto. Leider war dieser Ausflug wie immer viel zu kurz und es hätte noch so viele Ecken gegeben, die man hätte auskundschaften können, doch unser Programm war gedrängt und wir mussten am nächsten Tag in Claremont stehen, wo die CSSA Convention begann. Unsere gesammelten Steine ergaben einen schönen Haufen in Kelly's Garageneinfahrt und als es darum ging, sich für die schönsten zu entscheiden, landeten auch ein paar von Kelly's Exemplaren in unserem Auto. Sorry! Kelly, Du musst einfach nur zu uns kommen, um Deine tollen Steine zu bewundern! Andry, wir sehen uns in Madagascar!



Mai 2015



Julia Etter & Martin Kristen