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Das verlorene Paradies



Vor unserer Rückkehr in die kalte Schweiz wollen wir noch etwas Sonne und Wärme tanken und beschliessen deshalb, ins Death Valley zu fahren. Doch diesmal soll es auf Pisten sein, nicht wie mit dem vor 8 Jahren gemieteten Camper, den wir uns nur auf Asphaltstrassen zu bewegen getrauten. Nach einer schlechten, sehr holprigen und manchmal etwas ausgewaschenen Piste landen wir im Saline Valley, einem entlegenen Tal ohne natürlichem Ein- oder Ausgang. Man kommt da nur über hohe Pässe hinein und befindet sich in einem Kessel mit Salzsee, Sanddünen und heissen Quellen. Ein Geheimtip, ein kleines Paradies auf verlorenem Posten; Testgebiet für die neusten amerikanischen Militär-Flugzeuge; temporäre Heimat von Freaks, Verrückten und Ausgeflippten. Schon von weitem sind die grossen Palmen, ist die grüne Oase inmitten der sonst öden Wüste zu erkennen. Die Strecke dahin zieht sich in die Länge. Das Wellblech schüttelt unsere kleine Wohnung drunter und drüber.



Doch als wir endlich das "gelobte Land" erreichen, wird uns ein Empfang beschert, den wir nicht so schnell vergessen werden: kaum bin ich, Julia, ausgestiegen, umzingelt mich auch schon eine Horde nackter oder halbnackter (im T-Shirt und unten ohne) Männer, die alles über unser Gefährt wissen wollen. Einige meinen, uns schon in Mexiko oder hier vor vielen Jahren gesehen zu haben, andere kriechen drunter, um sich die technischen Details genauer anzusehen - es ist ein Bild für Götter ! Wir kriegen sie erst los, als wir versprechen, nicht gleich am nächsten Tag wieder weiterzufahren.



Unsere Campsite haben wir schnell gefunden, etwas abseits stehen wir zwischen Mesquite- Bäumen mit Blick auf die umliegenden Bergketten und die Palmenoase. Danach erkunden wir die Hot Pools und gönnen uns auch gleich ein Bad im heissen Wasser, das wunderbar vom vielen Sand und Schmutz der Piste befreit. Bei einer Tagesdurchschnittstemperatur von rund 30° Celsius ist das Wasser zwar schon verboten heiss mit um die 40° Celsius, doch danach erscheint es einem draussen wunderbarerweise viel kühler.



Niemand kann sich so richtig erinnern, wer eigentlich zuerst hier gewesen ist. Der Platz wurde anscheinend von einem Prospektor namens Lucky Rich als Waschplatz für die Ausbeute aus seiner Mine benutzt. Er wohnte hier in seinem Trailer zusammen mit unzähligen Hühnern und einem Gockel. Bald kamen andere Leute, legten einen kleinen Teich an, pflanzten Palmen und kümmerten sich um die heissen Quellen. Der Fischteich entstand 1976, in ihm leben dicke, fette Goldfische, die sich vom Abwaschwasser und Brotkrümeln ernähren. Ab und zu kommen grosse Blaureiher und Egrets (kleine weisse Reiher) auf Besuch und fischen sich einige davon, ansonsten führen sie eher ein unbeschwertes und friedliches Leben. Vom Wasser angezogen werden aber auch riesige rote Libellen und kleinere blaue und ein scheuer Vogel, die Schlammhenne, die sich morgens ihr Frühstück vom grünen Rasen pickt. Seit vielen Jahren nun wohnt hier ganzjährig ein Camp Host, der sich um alles kümmert: kaputte Maschinen, geplatzte Reifen, Autopannen, Verteilung der notwendigen Arbeiten, Emergency Radio, kurz, er ist verantwortlich für die "Organisation" der bunten Gemeinschaft. Lizard Lee, der besagte Camp Host, bleibt hier meistens das ganze Jahr über, d.h. auch im brütend heissen Sommer, wenn die Temperaturen auf weit über 50° Celsius ansteigen. Er liebt die Wüste und deren stehende Hitze, zur Kühlung nimmt er abends höchstens ein Bad im warmen Pool, den er einige Tage lang "abkühlen" lässt auf 30° Celsius. Vom Herbst bis in den Frühling jedoch herrscht hier ein buntes Treiben. Die meisten kennen sich schon seit Jahren, Neuankömmlinge finden schnell Anschluss und werden immer begeistert aufgenommen - besonders natürlich dann, wenn sie in einem so seltsamen Vehikel daherkommen wie wir zum Beispiel !



Wir halten uns die ganze Zeit in der Gegend der ersten warmen Quellen auf, den Lower Warm Springs. Die Palm Springs etwas weiter östlich sind mehr für Einzelgänger gedacht, obwohl uns die Pools auch da richtig gut gefallen. Bei "unseren" Hot Pools gibt es einen Morgensonnenpool, der frühmorgens schon von der Sonne beleuchtet wird und wo es einen nicht gerade fröstelt, wenn man aus dem warmen Wasser in die kühle Morgenluft steigt. Der Hauptpool jedoch liegt versteckt unter grossen Washingtonia-Palmen, Mesquitebüschen und Arrowweed (das so bezeichnet wird, da die Indianer früher daraus Pfeile herstellten). Er ist den ganzen Tag über schön beschattet und bietet bequem Platz für 15 Leute. Rundherum verläuft eine Sitzbank, aussen kühlt man sich etwas auf den Steinen und der Wassereinlass ist richtig kitschig aus vielen weissen Kristallen (übrigens aus der Gegend) und anderen farbigen Edelsteinen gemauert. Etwas abseits steht eine kleine Badewanne mit Dusche, wo man sich nie ums warme Wasser Sorgen machen muss.



Daneben gibt es noch einen kleinen, romantischen Pool, der nur für zwei Personen ausgelegt ist. Das ganze ist eine kleine Oase, ein grünes Paradies inmitten der Wüste und wenn man von draussen durch die grüne Mauer in den Schatten der Palmen tritt, fühlt man sich in eine andere Welt versetzt. Der grüne Rasen lädt zum "sünnele" (sonnenbaden) ein, manche machen Taj Chi, andere spielen Poker, lesen ein Buch, verkaufen ihren handgemachten Schmuck oder halten einfach ein Schwätzchen mit dem Nachbarn. Nachts ist der Rasen eingezäunt, damit sich die wilden Esel nicht daran gütlich tun. Das einzige, was dieses Paradies stört, sind unserer Meinung nach die täglichen Testflüge von einer nahen Airbase.



Es sind Tiefflüge, bei denen die neuesten Jets der US Luftwaffe in 30m Höhe über die Oase donnern oder kleinere Flugshows, bei denen mehrere Flugzeuge zusammen das Tal überfliegen. Uns stört vor allem der Lärm, die Amerikaner jedoch sind hin- und hergerissen: einerseits sind sie stolz auf ihre Jets und bekommen hier immer das Neueste zu sehen, andererseits aber stört auch sie teilweise der Lärm. Doch das Hauptargument für die Flüge ist, dass der Nationalpark, solange das Tal als Flugtestgelände der Airforce benützt wird, die heissen Quellen nicht richtig als Attraktion vermarkten kann und sie deshalb wahrscheinlich noch etwas länger so am Leben erhalten werden können, wie sie heute sind.



Seit das Saline Valley 1995 neu zum Death Valley Nationalpark dazugeschlagen wurde, haben trotz der Flüge einige Veränderungen Einzug gehalten. Es wurden einige Pisten geschlossen, ebenso ein Flugfeld, Hunde müssen an die Leine (was die Hundeliebhaber in diesem Hundehimmel natürlich auf die Palme bringt) und das Schlimmste: pro Jahr darf man total nur noch 30 Tage hierbleiben !



Allerdings wird das alles nicht so stark kontrolliert, nach hier draussen verirrt sich eher selten ein Park-Ranger, der für Ruhe und Ordnung sorgen soll. Erstaunlicherweise hat sich an den Bekleidungsvorschriften nichts geändert: Wenn man zur Oase hochfährt, begrüsst einem ein Schild "Clothing Optional", und spätestens wenn man unter die Palmen tritt, wird einem klar, dass hier eigentlich keiner Kleider anhat. Dafür ist es sowieso oft zu heiss und wir gewöhnen uns schnell an die neuen Sitten. Trotzdem staunen wir immer wieder über die verschiedenen Gestalten: eine Nackte auf dem Fahrrad nur mit einer Thermosflasche ausgerüstet, ein Nackter unter einem regenbogenfarbigen Regenschirm, der durch die Wüste spaziert, Nackte nur mit einem Hüftgürtel oder einem Rucksack behängt, der nackte Bird Bob mit seinem Fernglas, eine Nackte mit einer weissen Rüschenschürze, die an der Spüle ihr dreckiges Essgeschirr wäscht, nackte Pokerspieler, nackte Arbeiter mit Besen und Eimer bewaffnet.



Abends versammelt man sich am Lagerfeuer, Piano Dan klimpert auf seinem neu zusammengebauten Seemannsklavier, die Bierdosen stapeln sich, die Hunde schlafen unter den Büschen und es wird endlich langsam kühler. Oder Killer lädt zu einer seiner Shows ein, was natürlich ein Erlebnis der ganz besonderen Art darstellt.



Diesmal pilgert die ganze Gemeinschaft zu den Palm Springs, das Klavier wird auf einem Jeep hochgefahren, die Schauspielerinnen probieren die verschiedenen Dessous und hochhackigen Schuhe aus, die Zuschauer zücken die Fotoapparate und Videokameras. Mitten in der Wüste Kaliforniens mit den Inyo Mountains im Sonnenuntergang und einem sechseckigen Hot Pool im Hintergrund, wird wahrscheinlich eines der skurrilsten Videos gedreht, bei dem wir je dabei waren. Drei Mädels in verruchter Spitzenunterwäsche und Badehöschen aus Silberkettchen gruppieren sich um und auf dem alten Klavier, räkeln sich um den Pianospieler, während Killer mit seiner Videokamera von einer Ecke zur anderen rast, um bloss die besten Einstellungen in den Kasten zu kriegen. Alle amüsieren sich köstlich bei der Show, die Szenerie stimmt perfekt, irgendwo weit hinten im Tal geht ein Regenguss nieder, düstere Wolken kleben an den Bergen, die Sonne versinkt schnell hinter den Gipfeln und taucht die Gegend in wunderschön zarte Farben.



Leider müssen wir dieses Paradies nach einer Woche schon wieder verlassen, doch wir werden wieder hierherkommen und die Gegend etwas besser erkunden. Wir fliehen vor dem Wochenende, an dem auch schon bis zu 150 Autos an einer Quelle gezählt wurden, doch wir werden eingeladen, möglichst an Halloween, Thanksgiving oder Weihnachten zu kommen, wo hier die tollsten Parties steigen sollen mit gegrilltem Truthahn, Hühnchen und allem, was das Herz begehrt ! Das nächste Mal werden auch wir etwas dazu beitragen, dass dieser Ort so wunderbar ist, denn nur durch die kleinen, oft unsichtbaren Arbeiten, die viele hier leisten, konnte diese Oase so lange überleben und richtig grün werden.



Oktober 1998



Julia Etter & Martin Kristen