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Salto Agua Llovida



In einer Spezialausgabe über das unbekannte Durango im mexikanischen Reisejournal "Mexico Desconocido" hatten wir Bilder von einem sehr hübschen Wasserfall gesehen, von dem wir noch nie gehört hatten: Cascada Agua Llovida, so benannt, weil das Wasser wie ein Regenschauer die 60m oder so über eine Felswand herunterfällt. Dem kurzen Text war zu entnehmen, dass es ganz in der Nähe des Wasserfalls ein Hotel und Cabañas gab, wo man unterkommen könne. Da wir eine Reise zu den Quebradas von Durango, von der wir im nächsten Reisebericht erzählen wollen, geplant hatten und unser Abenteuer in La Ciudad starten wollten, war der Entschluss schnell gefasst, auf dem Weg einen Abstecher nach Agua Llovida zu machen.



Wir waren mit Jean-Marc Chalet unterwegs, der schon in früheren Reiseberichten erwähnt wurde. In Durango füllten wir die Eistruhen mit neuem Eis und Vorräten für die nächsten paar Tage. Dann ging es auf der normalen Strasse Richtung Westen nach Navios. Beim Kilometer 60 bogen wir nach Regocijo ab, überquerten die alte Eisenbahntrassee, von der nur noch ein paar Holzbalken mit rostigen Nägeln übrigblieben, passierten Cienega de Caballos und verpassten prompt die natürlich nicht ausgeschilderte Abzweigung nach San Isidro. Schliesslich erreichten wir dann doch noch San Isidro, wo wir in der Ferne schon das rote Dach des Hotels erspäht hatten. San Isidro ist ein kleines Holzfällernest mit hübschen Holzhäuschen mit Wellblechdächern und kleinen Vorgärten mit bunten Blumen. Ein alter Mann erklärte uns den Weg zum Hotel "San Isidro" und meinte, wir sollten nach dem Encargado (Verantwortlicher) fragen. Das Hotel fanden wir schnell, doch wir standen vor einem grossen und fest verschlossenen Eisentor. Alles hupen, pfeifen und rufen half nichts, das Hotel schien komplett verlassen. Macht nichts, dachten wir uns, es gab ja noch die Alternative der Cabañas "Los Molinillos". Die Suche nach den Cabañas dauerte eine ganze Weile, denn es gab viel zuviele kleine Pisten, die alle relativ befahren aussahen. Anscheinend waren wir in einem Naherholungsgebiet von Durango gelandet, wo sich am Wochenende die Leute auf ihren ATV's vergnügten. Schliesslich fanden wir ein bewohntes Haus und die Frau schickte uns auf die richtige Strecke, doch bald schon bogen wir fälschlicherweise wieder nach links ab. Glücklicherweise kam uns ein Pickup entgegen und der Fahrer kannte sich aus und führte uns bis zu den Cabañas. Nachdem er und sein Freund uns ganz genau nach dem Woher, Wohin und Warum befragt hatten, funkte er endlich den Verantwortlichen des ganzen Areals an. Was wir nicht wussten war, dass man sich hier vorher telefonisch in Durango anmelden musste, um eine Holzhütte zu reservieren. Wegen der Unsicherheit in der ganzen Gegend war die Kundschaft in der letzten Zeit aber ausgeblieben und als wir plötzlich mit zwei grossen Autos und Jalisco Nummernschildern unangemeldet auftauchten, da wurde es allen etwas mulmig zumute.



Francisco Quiros erschien schliesslich auf einem ATV, das Fahrzeug der Wahl für die vielen kleinen Pisten. Er hatte in der Zwischenzeit mit seinem Boss in Durango gesprochen und sie waren übereingekommen, dass wir tatsächlich harmlose Touristen waren, die sich mit der Flora der Gegend beschäftigten. Martin erwähnte im Auto noch, dass die Cabañas bestimmt $3000 Pesos pro Nacht kosten würden, als wir schon vor einem aus grossen Stämmen gebauten Holzhaus mit gedeckter Veranda und Schaukelstühlen ankamen. Wir betraten einen grossen Raum, der aus Wohnzimmer mit offenem Kamin, Esszimmer mit einem grossen runden Tisch und einer Küche bestand. Dahinter folgten drei Schlafzimmer, eines mit seinem eigenen Badezimmer. Alles war sehr schön eingerichtet, die Handtücher waren dick und flauschig, die Bettwäsche angenehme Baumwolle, die Bettüberzüge und Vorhänge geschmackvoll, und das Hirschgeweih über dem Kamin gab dem ganzen einen rustikalen Touch. Strom wurde mit Solarzellen generiert, das Heisswasser ebenfalls. Da wir am vorherigen Tag campiert hatten, brauchten wir dringend eine heisse Dusche. Wir erklärten Don Francisco, dass uns diese Cabaña extrem gut gefallen würde, aber wir nicht wüssten, ob wir sie bezahlen könnten. Francisco war zuversichtlich und verkündete, der Preis pro Nacht wäre nur $1500. Wir schluckten erst einmal leer, dann erklärte Martin ihm, dass wir unmöglich so viel Geld für ein Bett und eine heisse Dusche bezahlen könnten. Schliesslich einigten wir uns auf $800 Pesos, worauf wir uns mit einem kalten Bier auf die Veranda setzten, die Aussicht und den Sonnenuntergang genossen und noch lange mit Francisco über Gott und die Welt diskutierten.



Nachdem wir alle ausgiebig geduscht und frische Kleider angezogen hatten, zauberte Jean-Marc aus einer seiner vielen Kisten einen "Caldo de Camaron" hervor, eine Crevettensuppe in Pulverform, die mit etwas Zitronensaft und Chili gar nicht so schlecht schmeckte. Mit einer Fleecejacke und einem wärmenden Tequila hielten wir es nachher noch eine ganze Weile in den Schaukelstühlen auf der Veranda aus.



Am nächsten Morgen stattete uns ein Reh einen Besuch ab. Und weit über uns flogen zwei Papageienpaare laut krächzend vorbei. Francisco erschien püntklich, um sicherzugehen, dass wir nicht etwas vom Inventar oder Mobiliar eingepackt hatten. Als erstes drückte er Martin die $800 Pesos in die Hand und sagte, sein Boss in Durango hätte von unserer Arbeit für die UNAM gehört, von der Pflanzensuche, und sei so begeistert davon gewesen, dass er beschlossen hatte, uns die Uebernachtung zu schenken. Wir waren sprachlos und versprachen, via Reisebericht Werbung für die Cabañas zu machen. Hier der direkte Link zur Webseite mit vielen BildernXXX. Der Ort ist wirklich ideal für eine Gruppe von Freunden und im Endeffekt gar nicht so teuer, denn schliesslich braucht man nicht ins Restaurant zu gehen, sondern kann alles selber mitbringen. Man kann auf Pferden reiten gehen, ATV's werden vermietet, Vogelbeobachten wird angeboten, oder man kann sich natürlich auch auf eigene Faust Agua Llovida anschauen gehen. Und genau das machten wir an diesem Tag.



Von den Cabañas fuhren wir nach Tres Lagunas, wo wir uns nach Miguel Hernandez erkundigten, dem Verantwortlichen der Gegend um den Wasserfall. Schnell bestieg er zusammen mit einem jungen Mann einen roten Pickup, um uns den Weg zu zeigen. Wie die Wilden rasten die beiden über die enge Piste, vorbei an vielen kleinen Abzweigungen, wo wir uns bestimmt wieder verfahren hätten. Bald kamen wir an eine Schlucht und fuhren vorbei an interessanten Felswänden immer tiefer hinein. Nach ungefähr 10 Kilometern hatten wir den Parkplatz beim Wasserfall erreicht. Es gab eine kleine Plattform, auf der man etwas über die Klippen hinaushing und einen gigantischen Blick auf den Wasserfall, das blaue Auffangbecken und die anschliessende Schlucht, die sich am Horizont verlor, hatte. Unsere Führer überliessen uns unserem Schicksal, nachdem sie uns erklärt hatten, dass man weiter hinten an einem Stahlseil über einen Felsen hinunterklettern konnte, um nachher auf steilen Pfaden bis ans Wasser hinabzukommen. Wir wanderten getrennt auf beiden Seiten des Wasserfalls umher und folgten auch dem Wasser flussaufwärts, fanden aber ausser Agave schidigera, Mammillaria senilis, Echinocereus polyacanthus und Sedum stelliforme nichts wirklich Interessantes. Allerdings waren wir überzeugt, dass es hier noch mehr an Crassulaceen geben musste, der Ort war einfach zu ideal. Schliesslich fanden wir das Stahlseil, doch es schien eher etwas für die jüngere Generation zu sein, also machte sich Julia alleine auf den Abstieg. Das Klettern am Stahlseil war weniger schlimm als es ausgesehen hatte. Der Abstieg bis zum Wasser war viel anstrengender, denn alles war extrem rutschig und teilweise unter dichtem Laub bedeckt, so dass man nicht sah, wo man seinen Fuss hinsetzte. Halbwegs unten angekommen entdeckte Julia plötzlich eine Echeveria, die einer E. roseiflora ähnlich sah und farblich sehr gut an die Umgebung angepasst war. Unten angekommen scheuchte sie ein Papageienpärchen aus seinem Baum mit Nest auf, das laustark gegen ihre Gegenwart protestierte. Martin konnte per Walkie Talkie bestätigen, dass er die Vögel auch gehört hatte. Ausser dichtem, grünem Laubwerk war unten am Wasser allerdings nichts zu finden. Auf dem Aufstieg erkundete Julia dann noch eine niedrige Felswand, wo sie eine wunderschön violett blühende Laelia Orchidee entdeckte.



Für ein spätes Mittagessen setzten wir uns alle an einen der Tische und Bänke, die sogar überdacht waren. Das kam uns grade entgegen, denn just in diesem Moment fing es an in dicken Tropfen zu regnen. Sowas kann passieren, wenn man am Anfang der Regenzeit unterwegs ist, doch der Regen stellte sich als kurz und heftig heraus und schon bald zogen die dicken schwarzen Wolken flussabwärts. Ueber Tres Lagunas fuhren wir danach wieder zurück nach San Isidro und auf die Hauptstrasse. Dort bogen wir Richtung La Ciudad ab. In El Salto angekommen regnete es in Strömen und wir fragten uns, ob wir wohl die Reise abbrechen mussten, denn die Pisten, die wir vor uns hatten, waren im Regen nicht zu befahren. In La Ciudad hatte sich der Himmel schon wieder etwas aufgeklärt. Wir kamen an der Hauptstrasse im "besten" Hotel am Platz unter. Gegenüber gab es ein heisses Mahl und gleich daneben eine Internetverbindung. Im kleinen Supermarkt konnte man sogar Eis für die Kühltruhen kaufen. An der Tankstelle wurde vollgefüllt und wir waren bereit für das Abenteuer "Quebrada", von der wir im nächsten Bericht erzählen wollen.



Mai 2012



Julia Etter & Martin Kristen