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Unterwegs mit Agavenfreaks
Was macht man nicht alles für Pflanzenfreaks und Agavenfreunde. Man geht sich sogar altbekannte Agaven in der selbsternannten Heimat zum x-ten Mal anschauen - und erlebt dabei immer wieder die eine oder andere Ueberraschumg. Von unserer kurzen Reise mit Michael Bechtold und Wolfgang Metorn aus Deutschland soll im folgenden Bericht die Rede sein. Michael lernten wir durch die Agaven kennen und standen in losem Emailkontakt. Wolfgang ist eher als Echinocereen-Freund bekannt, nach dem sogar ein Echinocereus, E. metornii, benannt ist. 2010 kamen die beiden mit einem Freund hier vorbei. Nettes Detail: Besagter Freund nahm sich aus unserem Garten ein paar kleine Aloen mit nach Deutschland! Da reiste einer nach Mexiko und suchte nach Aloen. 2012 hatte die Gruppe um Michael und Wolfgang erneut eine Rundreise quer durch Mexiko geplant und nachdem der Rest der Gruppe nach Deutschland abgereist war, trafen Michael und Wolfgang bei uns ein, um eine kleine Tour zu den Agaven von Jalisco zu unternehmen.
Wir hatten eine Rundreise zusammengestellt, doch alles auf der Wunschliste der beiden konnten wir leider nicht berücksichtigen. Zuerst ging es an einen unserer Lieblingsorte, die Mesa de los Caballos in der Nähe von La Lobera. Die Gegend war immer wieder in den Nachrichten wegen Zusammenstössen zwischen Militär/Polizei und krimineller Banden, die sich im wenig besiedelten Gebiet an der Grenze zwischen Zacatecas und Jalisco eingenistet haben. Da wir aber für längere Zeit keine negativen Schlagzeilen mehr gelesen hatten, war dies also unser erstes Ausflugsziel. Der Rio Santiago stank bei San Cristobal de la Barranca wie üblich nach dem Abwasser von Guadalajara. Das Wasser war braun bis schwarz und weisse Schaumkronen tanzten auf der Wasseroberfläche. Trotz der Hitze dachte niemand daran, im Fluss ein kühlendes Bad zu nehmen. Entlang der Strasse gibt es neuerdings sogar ein Schild, das einen darauf hinweist, dass man auf eigenes Risiko im Fluss baden würde. Agave guadalajarana begann gerade zu blühen und A. rzedowskiana war schon fast verblüht. Unsere beiden Freunde kamen aus dem fotografieren nicht heraus und hinter jedem Stein fand sich ein noch tolleres Exemplar von Agave schidigera. Unter einem Eichenbaum suchten wir für das Picknick etwas Schatten. Entlang der Klippen blies immer wieder ein kräftiger Wind, der die extrem heissen Mai-Temperaturen einigermassen erträglich machte. Da das Mietauto unserer Freunde nicht sonderlich geländetauglich war, mussten wir wieder nach Guadalajara zurückfahren, um nach Tequila zu kommen, wo wir uns stilgerecht im Hotel "Posada Los Agaves" einquartierten. Im anscheinend besten Restaurant am Platz mit noch akzeptablen Preisen ging es zum Nachtessen, wo wir dann auch eine von Wolfgangs Macken kennenlernten. Als wir alle bestellt hatten, erklärte Wolfgang dem Kellner, dass er sein Essen nicht auf einem Plastikteller serviert haben wolle, sondern auf Keramik. Alles funktionierte bestens und das Essen wurde für uns drei auf Melamintellern serviert, speziell für Wolfgang wurde ein Keramikteller gefunden. Für ein Restaurant mit Equipales und netter Dekoration, das sichtlich auf bessere mexikanische Küche machte, ist es allerdings eine Schande, Essen auf Plastiktellern zu servieren. Auch der Kellner war dieser Meinung, doch diese Teller seien einfach bequemer und zerbrächen nicht in der Küche. Wolfgang ass nun von einem dieser richtig schönen mexikanischen Keramiktellern, die wahrscheinlich noch mit Blei hergestellt wurden, doch das war alles besser als Plastik.
Am nächsten Tag gingen wir zwei Agavenarten anschauen, die beide in der Nähe von Tequila wachsen. Zuerst fuhren wir nach Amatitan und weiter nach El Salvador. Danach ging es auf der neuen Asphaltstrasse weit ins Hinterland von Jalisco, anscheinend auch ein "heisses Pflaster" für Drogenanbau. Wir fuhren bis zu einem unscheinbaren Arroyo für Agave geminiflora, die hier entlang eines trockenen Bachbettes gedeiht. Stundenlang hätte man hier herumstolpern und immer mehr Pflanzen bestaunen können, manche ganz wunderbar dicht mit weissen Härchen geschmückt, aber wir hatten ja noch einen anderen Standortbesuch auf dem Programm. Nun ging es nach San Martin de las Cañas, wo, wie der Name schon sagt, neben Agave tequilana hauptsächlich Zuckerrohr angepflanzt wird. Auf kleinen Pisten fuhren wir durch endlose blaue Agavenfelder bis wir die senkrechten Klippen erreichten. Hier reichte es für ein Picknick im Schatten einer riesigen Parota, Enterolobium cyclocarpum. Unseren Plastikteller bedeckten wir mit Haushaltspapier, so dass auch Wolfgang etwas vom mitgebrachten Käse geniessen konnte. In den roten, unzugänglichen Basaltklippen gedeiht Agave chazaroi. Die grünen Sterne mit ihrem grauen Hornrand sehen an den roten Felswänden wunderschön aus. Blattlose Plumeria rubra schmückten sich mit weissen Blüten und Senecio praecox blühte gelb. Wir schafften es an diesem Tag bis nach Ixtlán del Rio, wo wir in einem komischen Hotel entlang der Hauptstrasse unterkamen. Der ganze Schwerverkehr donnert 24/7 durchs Zentrum der Stadt, woran sich anscheinend ausser uns Hotelgästen alle schon gewöhnt haben. Auf dem Hauptplatz wurden wir sofort als Gringos identifiziert und in akzentfreiem Englisch angesprochen. So bekamen wir immerhin den Tip für ein ganz nettes Restaurant, wo wir ein kaltes Bier bekamen und das Essen sogar unverlangterweise auf Keramik serviert wurde!
Den nächsten Tag verbrachten wir fast nur auf staubigen Pisten. Von Ahuacatlan ging es über einen Berg und dann auf einer Querspange bis zur Brücke über den Rio Ameca. Bei San Felipe de Hijar führte die Piste wieder in die Höhe. Kurz hinter einem kleinen Dorf zogen riesige Bäume, die dicht mit Orchideen, Moos und Farnen bewachsen waren, unsere Aufmerksamkeit auf sich. Bei genauerem Hinschauen entdeckten wir auch ein Epiphyllum, das später von einem Sepzialisten als E. chrysocardium identifiziert wurde. Kaum führte die Piste wieder etwas den Berg hinunter, war es mit den fantastisch bewachsenen Bäumen aber leider auch schon wieder vorbei. Wir kurvten ewig durch das Hinterland von Jalisco und nach jedem Hügel wartete schon der nächste. Da wir am gleichen Tag auch noch einen Besuch bei Agave valenciana eingeplant hatten, wurden wir auf dem Rücksick langsam etwas ungeduldig und waren schliesslich ganz erleichtert, als der etwas sportlicher und forscher fahrende Michael wieder das Steuer übernahm. Die beiden wollten sich gar nichts entgehen lassen und so machten wir noch schnell einen Abstecher nach San Sebastian del Oeste, das mittlerweile auch zum "Pueblo Magico" ernannt wurde. Am späteren Nachmittag erreichten wir die Abzweigung nach El Mosco, von wo wir uns nach den auf Google Earth herauskopierten GPS-Daten orientierten, um bis zu einem für uns neuen Standort von Agave valenciana zu kommen. Bald stellte sich heraus, dass genau an diesem Ort kräftig gebaut wurde, um riesige Rohre für einen Staudamm zu verlegen. Die auf Google Earth eingezeichnete Piste war mit dem Mietauto mit geringer Bodenfreiheit absolut nicht zu fahren, doch ein paar Arbeiter schickten uns auf Umwegen um die Baustelle herum. Schon von weitem erspähten wir im blattlosen Wald die golden leuchtenden Blüten einer Agave valenciana. Sofort wurde geparkt und schnell waren wir bei dem Blütenstand. Was für ein imposanter Anblick! Dafür alleine hatte sich die ganze Reise für uns gelohnt! Um nachher an der Baustelle vorbei bis an die Klippen zu kommen, musste einem Traxfahrer bedeutet werden, dass er für eine Weile keine riesigen Steine den Abhang herunterschieben sollte. Dann erreichten wir ein kleines Ranchito, wo wir weitere blühende Agave valenciana fotografieren konnten. Die Señora gab uns aus einem Plastikbecher, ein absolutes "no-no" für Wolfgang, etwas leicht vergorenen Agavensaft zum probieren, der anscheinend ein Wundermittel gegen Krebs und alle möglichen Krankheiten darstellte.
Von Mascota aus ging es am nächsten Tag Richtung Mirandillas, um Agave vazquezgarciae zu besuchen. Wir mussten ein ganzes Stück über eine Weide wandern und viele Stacheldrahtzäune überqueren, bis wir an den steilen Berghang kamen, wo die Agaven zu Tausenden in den trockenen Arroyos standen. Michael und Wolfgang zwängten sich zwischen den vielen Agaven einen engen Arroyo hinauf, wir vergnügten uns weiter unten. Da wir eine lange Fahrt vor uns hatten, mussten wir die beiden aber bald einmal zurückpfeifen. Kurz nach der Mirandillas Abzweigung besuchten wir noch schnell Agave maximiliana, damit die beiden eine weitere Spezies abhaken konnten. Die weitere Strecke nach Guadalajara ist im ersten Teil extrem kurvenreich und führt durch eine abwechslungsreiche Landschaft. Das letzte Stück ist flach und man fährt durch endlose Zuckerrohrfelder. In der Ferne grüsst immer der Vulkan von Tequila. Und natürlich gibt es auch einige blaue Agavenfelder, schliesslich sind wir in der Heimat des Tequilas unterwegs. Auf dem Periferico ging es aussen um Guadalajara herum bis wir in Richtung Colimilla abbogen. Als wir kurz nach 16 Uhr am Wachposten ankamen, wurde uns beschieden, dass man nur bis um 15 Uhr in die Barranca hinunterfahren könne. Mit dem ganzen uns zur Verfügung stehenden Charme an diesem heissen Nachmittag erklärten wir den Wachmännern, dass unsere Freunde den weiten Weg aus Deutschland unternommen hätten, um u.a. hier unten eine ganz spezielle Agave anzuschauen. Ob wir denn eine Bewilligung hätten, wollten die Polizisten wissen. Nicht speziell für dieses Gebiet, aber eine Bewilligung für die ganze mexikanische Republik, antworteten wir. Diese Bewilligung wollten die Männer also nun sehen und wir gaben ihnen eine Kopie der ersten Seite, wo in schwer verständlichem Juristenspanisch erklärt wird, wer alles wo und warum Pflanzen sammeln darf. Nun wurde der Chef der Truppe etwas aktiver und funkte seinen Vorgesetzten an. Wir verstanden nur noch Bahnhof, als er dem Mann am anderen Ende erklärte, dass er hier vier 87 hatte, die aus 59 kämen und 108 wollten, weshalb er die Erlaubnis für ein 43 einhole, das man ihm bitte mit einem 56 bestätigen solle. Mit diesen unverständlichen Zahlen ging es eine ganze Weile weiter und wir kamen uns wie in einer geheimen Mission vor. Schliesslich erschien das Auto eines Verantwortlichen der Wasserversorgung, der auch eine Kopie der Bewilligung haben wollte, die wir glücklicherweise in einigen Ausführungen dabei hatten. Und dann tat sich wundersamerweise das Tor auf und wir konnten durchfahren, ohne die ansonsten übliche Alkoholkontrolle über das Auto ergehen zu lassen. Wir fuhren nicht weit in die Schlucht hinunter, um dann auf einem praktisch unsichtbaren Pfad steil in die Höhe zu klettern, wo man gut ein paar Agave arcedianoensis fotografieren konnte. Die Pflanzen sind nach einer Brücke, dem Puente Arcediano, benannt, und scheinen eine rotblühende Form von Agave angustiarum mit extrem prominentem, hellem Blattmittelstreifen zu sein.
Bei Tageslicht erreichten wir dann unser Zuhause, wo wir zur Feier von Martins Geburtstag eine Flasche Champagner öffneten. Das Festmahl bestand aus Mole Oaxaqueño und Fajitas de Pollo, alles auf weissen Keramiktellern serviert. Am Morgen hatten Michael und Wolfgang Martin schon mit einem Buchgeschenk überrascht. Wolfgang war sogar extra früh aufgestanden, um in einer Bäckerei einen Kuchen aufzutreiben, allerdings ohne Erfolg. Mit Tequila auf der Terrasse liessen wir die gelungene Reise gemütlich ausklingen. Und schmiedeten bereits Pläne für eine nächste Reise in etwas abgelegenere und unzugänglichere Gebiete, natürlich wieder mit dem Schwergewicht Agaven.
April 2012
Julia Etter & Martin Kristen
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