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Tidepools und Pazifischer Regenwald



Da es so weit nördlich keine unserer Lieblingspflanzen zu suchen und zu dokumentieren gibt, haben wir uns auf etwas anderes verlegt: die Tidepools und den Pazifischen Regenwald. In Washington gehören mehr als 60 Meilen Pazifikküste und ungefähr die Hälfte des Inneren der Olympic Peninsula zum Olympic Nationalpark.



Aber auch weiter südlich, an der Küste von Oregon und Kalifornien, lässt sich das Leben an der Küste (hier inklusive interessanter Pflanzen) gut beobachten. Küstenabschnitte in Oregon und Kalifornien, die noch nicht besiedelt sind, sind zu State Parks oder State Recreation Areas erklärt worden und der Zugang zu den teils sehr felsigen Küstenabschnitten, aber auch den endlos langen Sandstränden ist meistens gratis - wobei das nicht für die Nähe von San Francisco gilt, hier muss man für alles erhebliche Beträge zahlen !



Bevor man im "richtigen" Pazifischen Regenwald landet, muss man meistens durch grosse, erst gerade abgeholzte Flächen fahren, die aussehen, als ob eben ein Hurricane darüber hinweggefegt wäre. Oder es wurde schon vor einigen Jahren Kahlschlag betrieben und einige Blumen und Sträucher haben sich schon wieder angesiedelt. Oder dann wurde sogar aufgeforstet, wobei hier nie wieder die ursprüngliche Vielfalt erreicht wird, es wird ja auch nur aufgeforstet, um in einigen Jahrzehnten wieder "ernten" zu können.



Doch im Hoh Rain Forest des Olympic Nationalparks wachsen u.a. riesige Exemplare von Sitka Fichten (Picaea sitchensis) und Hemlock Tannen (Tsuga heterophylla). Die grössten erreichen Höhen von bis zu 100m und ca. 7m Umfang, was einem in dem dichten Wald fast nicht auffällt. Von allen Ästen hängen Moose und Flechten herunter, der Waldboden und die toten Baumstämme sind über und über bedeckt mit Schwertfarn und dicken Moospolstern. Wenn ein alter Baum das Zeitliche segnet und umfällt, wird er sofort von allen möglichen Pflanzen als Nahrungsgrundlage herangezogen.



Besonders witzig sieht es aus, wenn man den toten Stamm nur noch erahnt, weil auf ihm viele neue Bäume gewachsen sind, die nun ihrerseits schon gigantische Grössen erreicht haben, jedoch in einer Reihe dastehen wie Hühner auf dem Stengelchen ! Die Sonne dringt hier kaum je bis zum Boden durch, dafür regnet es umso mehr (durchschnittlich 4-5m pro Jahr) und die Stimmung bei etwas Nebel und leichtem Nieselregen ist um vieles spannender in diesem Märchenwald, als sie bei Sonnenschein sein kann.



Einen ganz anderen Typ Regenwald findet man in Nordkalifornien. Im Redwood Nationalpark stehen die grössten lebenden Bäume, die Coast Redwoods (Sequoia sempervirens), die bis zu 120m hoch und 2200 Jahre alt werden können und bis zu 21m an Umfang erreichen. Ihr Samenkorn ist so klein wie das einer Tomate, ihr Zapfen so gross wie eine Olive ! Im Frühling blüht in diesen Wäldern wilder Rhododendron und auch hier wird alles sofort überwuchert von Moos, Farnen und Flechten. Es gibt einige Strassen, die durch diesen Wunderwald führen, sie schlängeln sich vorbei an diesen Riesen und neben ihnen nimmt sich der Unimog, den die meisten Leute, die wir hier treffen, als Monster empfinden, richtig niedlich und klein aus. Und wenn man sich dann auch zu Fuss aufmacht, den Wald zu erkunden, merkt man erst so richtig, wie klein wir doch sind - vielleicht so winzig, wie eine Ameise sich zwischen Menschenfüssen fühlen muss.



An der Küste gibt es ganz andere Sachen zu beobachten. Die Hauptbeschäftigung hier heisst Tidepooling, was soviel bedeutet wie "Beobachten des Lebens in den kleinen felsigen Pools, die bei Ebbe entstehen". Dazu benötigt man nur eine Gezeitentabelle, Gummistiefel, den richtigen Küstenabschnitt und evt. noch ein Buch zur Bestimmung der verschiedenen Lebewesen.



Am besten erkundigt man sich in einer Ranger Station nach den wirklich guten Orten fürs Tidepooling, nur Steine im Sand sehen zwar toll aus, an ihnen können sich aber keine Lebewesen festkrallen, es müssen schon richtige Felsen sein. Hier bilden sich kleine Pools, die auch bei Ebbe noch mit Wasser gefüllt sind, andere Felsen bekommen nur immer wieder einige Wasserspritzer ab, wenn eine grosse Welle anrollt.



Es gibt aber auch Felsen, die während der Ebbe richtig der Sonne ausgesetzt sind und sogar hier existiert noch Leben, das aufs Salzwasser angewiesen ist. Die Strände sind oft mit Treibholz übersät, nicht mit den kleinen Stücken, nein, es sind meistens die Überreste oder ganze Bäume inklusive Wurzelwerk der riesigen Regenwald-Bäume, die angeschwemmt werden. Tafeln warnen vor diesem Treibholz, da es bei Flut an den Strand geschleudert werden kann und davon anscheinend auch schon Leute verletzt und sogar getötet worden sind. Im kalten Wasser des Pazifik gedeihen grosse Kelpwälder, von denen auch immer wieder Exemplare angeschwemmt werden. Morgens ist die Küste meistens mit viel Nebel verhängt, die Seastacks erheben sich geheimnisvoll aus dem Dunst und die Sonne schickt feine silberne Streifen durch Wolken und Küstenwälder.



Die Felsen sind mit Sea Palms, Feather Boa Kelp, Algen, "Meer-Lattich" und verschiedenen See- und Felsgräsern bedeckt. An den baren Fels krallen sich grosse Kolonien kleiner Miesmuscheln, Schnecken und Barnacles, die in Spanien als Delikatesse auf dem Teller landen. In Felsritzen und an etwas schattigeren Plätzchen kleben farbige Seesterne (Ochre Sea Star), die auf die Rückkehr der Flut warten. In den immer noch mit Wasser gefüllten Pools leben kleine Fischchen, Krabben und grosse, grüne Meeranemonen (Anthopleura xanthogrammica).



Es gibt auch kleinere, rosarote (Anthopleura elegantissima), die sich vermehren, indem sie sich in der Mitte zusammenziehen und so zu zwei Lebewesen werden. Deshalb kommen sie immer in grossen Kolonien vor. Wenn die Meeranemonen zu lange ohne Wasser an der Luft liegen, ziehen sie sich zu unansehnlichen, braunen, schleimigen Gebilden zusammen, die erst wieder richtig schön aufgehen, wenn die Flut zurückkommt und sie vom Meerwasser umspült werden.



Leider dauert es nie lange, bis die low tide vorbei ist und die Flut steigt erstaunlich schnell. Dann schäumt das Meer, grosse Wellen rollen an, überall spritzt Salzwasser und man muss aufpassen, nicht irgendwo auf einem Felsen vom Festland abgeschnitten zu werden.



Je weiter südlich man in Richtung Kalifornien kommt, desto mehr ändert sich auch die Vegetation entlang der Küste. Hier beginnen wieder unsere Favoriten unter den Pflanzen zu wachsen und wir sind immer wieder erstaunt, wie sie das viele Salzwasser in der Luft aushalten. Sedum und Dudleya wachsen meistens schwer zugänglich weit oben in den Felsen, wo sie aber immer noch der ziehenden Gischt ausgesetzt sind.



Darunter gibt es wunderschön weiss bemehlte Exemplare, die man von weitem in den Felsen leuchten sieht. Aber auch das tierische Leben ändert sich etwas. Wir können Seelöwen und Robben beobachten, aber auch die putzigen Seeotter, die entweder alle Viere aus dem Wasser strecken, die Sonne geniessen und sich treiben lassen oder sich andauernd irgendwo kratzen und Purzelbäume im Wasser schlagen.



So vergeht diese Zeit ohne die übliche Pflanzensuche wie im Nu und wir sind begeistert, dass wir nun, je weiter südlich wir kommen, Tidepooling mit Pflanzensuchen kombinieren können !



September 1998



Julia Etter & Martin Kristen