travelog 109






Echeveria laui



Seit Jahren stand der Besuch von Echeveria laui auf unserer "Most Wanted" Liste. Im Dezember 2011 war es dann endlich soweit. Mit unseren Freunden Jean-Marc und Lupita hatten wir eine Reise nach Oaxaca geplant und da am Standort von Echeveria laui auch Mammillaria huitzilopochtli waechst, war es ein Leichtes, Jean-Marc von einem Abstecher nach Cuicatlán zu ueberzeugen.



Echeveria laui wurde 1974 von Alfred Lau nahe des Zusammenflusses des Rio Salado mit dem Rio Quiotepec entdeckt und 1976 zu seinen Ehren beschrieben. Die Art gedeiht auf ungefaehr 500 m Hoehe im niedrigsten Teil des Tomellin Canyons, der von bis zu 3000 m hohen Bergen umgeben ist. Lau war 1974 mit einem 16 jaehrigen Azteken-Indio unterwegs, der ploetzlich einen Schrei ausstiess und mit dem Finger auf etwas Weisses unerreichbar hoch oben in einer roten, schattigen Felswand zeigte. Wenn man die Pflanzen erst einmal selber gesehen hat, kann man das Erstaunen und die Begeisterung der beiden Entdecker verstehen, die eine der schoensten Echeverien vor sich sahen. Lau erwaehnt in seinem Bericht, dass die groessten Exemplare bis 30 cm Durchmesser erreichen koennen und 80-100 Blaetter haben.



Von Tehuacan, Puebla, fuhren wir auf der normalen Strasse suedoestlich. Man merkte schnell, dass der Hauptverkehr nach Oaxaca auf der kostenpflichtigen Autobahn verkehrte. Die Strasse war ueber weite Strecken mit Loechern uebersaet, oder vielleicht sollte man besser sagen, dass sie ueberwiegend aus Loechern bestand. Um uns eine Pause von der schlechten Strasse zu goennen, legten wir bei San Juan de los Cues einen ersten Halt ein. Wir erkletterten einen der vielen Huegel, was von unten einfacher aussah, als es tatsaechlich war. Doch auf schmalen Ziegenpfaden schafften wir es schliesslich, die fast senkrechten Felsbaender zu ueberwinden. Mammillaria dixanthocentron stand in Bluete und es gab huebsche Polster von Agave macroacantha, einige davon mit extrem kompakt wachsenden Pflanzen, andere sahen fast schon so aus wie eine A. datylio von der Baja. Die Sicht hinab ins fruchtbare Tal war ebenfalls lohnenswert. Nachdem wir uns die Fuesse genuegend vertreten hatten, erwartete uns beim Auto schon der erste Aufpasser. Er war nicht sonderlich angetan davon, dass wir einfach auf einen Huegel gestiegen waren. Als wir ihm schliesslich glaubhaft erklaeren konnten, dass wir mit der UNAM zusammenarbeiteten, wurde er etwas freundlicher. Wir hatten uns einfach noch nicht an die Idee gewoehnt, dass man in dieser gesamten Gegend immer zuerst ins naechstgelegene Dorf fahren muss, um den Chef der "Bienes Comunales" (Gemeindeland) zu suchen und seine Erlaubnis einholen muss. Anderswo in Mexico hatte sich nie jemand daran gestoert, wenn wir auf einen Huegel hinaufstiegen, hier wollten es alle ganz genau wissen.



Etwas schlauer geworden, wollten wir uns also bei der Echeveria laui ganz korrekt verhalten. In Tecomavaca sahen wir Schilder, die auf die Biosphaere hinwiesen. Ausserdem war das Dorf nicht sonderlich weit vom Standort entfernt, also machten wir uns auf die Suche nach einem Menschen, der uns eine Bewilligung haette erteilen koennen. Wir wurden zuerst an den Hauptplatz geschickt, wo sich das Buero des fuer den Naturschutz Beauftragten befand, doch da es Sonntag war, trafen wir natuerlich nur verschlossene Tueren an. Schliesslich zeigte uns eine Frau in einem kleinen Kraemerladen das Haus des Verantwortlichen. Leider trafen wir nur seine Frau und Tochter an, die keine Ahnung hatten, wo ihr Mann resp. Vater zu finden war. Die Batterie des Funkgeraetes war auch nicht geladen und so konnten sie ihn auch nicht anfunken. Nach ca. 2 Stunden Suchen und Warten fanden wir dann schliesslich heraus, dass man in Tecomavaca "nur" die Erlaubnis bekam, die gruenen Papageien (Ara militaris, Military Macaw, Guacamaya verde) zu besichtigen und auch dafuer musste man sich im Voraus anmelden. Von der Echeveria laui hatten die Bewohner hier keinen blassen Schimmer. Also fuhren wir weiter Richtung Cuicatlán. Wir kamen ueber die Bruecke des Rio Salado, wo wir ein Picknick im Schatten der Bruecke genossen. Frueher parkte man sein Auto an dieser Bruecke und wanderte einige Kilometer flussabwaerts, bis man die roten Felswaende der Echeveria laui erreichte. Heutzutage war alles anders und wir hatten gehoert, dass die Dorfbewohner einen kleinen Weg angelegt hatten, den sogar unsportliche und aeltere Leute bequem gehen konnten. Am spaeteren Nachmittag erreichten wir Cuicatlán, wo wir im Zentrum des lebendigen kleinen Staedtchens ein nettes Hotel fanden. Am Hauptplatz waren die Bueros der lokalen Behoerden natuerlich ebenfalls geschlossen, doch von den Polizisten erfuhren wir, wo wir nach Antonio Hernandez suchen sollten, der uns von unseren Freunden an der UNAM empfohlen worden war.



Cuicatlán liegt in der sogenannten Tehuacan-Cuicatlán Biosphaere, die im September 1998 zum Naturschutzgebiet ernannt wurde und mit 490'817 Hektaren ein riesiges Gebiet mit 20 Gemeinden in Puebla und 40 in Oaxaca umfasst. Das Gebiet verfuegt ueber eine extreme floristische Vielfalt, so soll z.B. ein Drittel der Flora endemisch sein. Laut Gesetz duerfen die Bewohner des Naturschutzgebietes den Beschaeftigungen nachgehen, die sie vor Inkrafttreten der Biosphaere ausgeuebt hatten, unter der ausdruecklichen Bedingung, dass diese Aktivitaeten keine negativen Auswirkungen auf das Gebiet haben. Dieser Punkt ist natuerlich unmoeglich einzuhalten, denn in vielen Doerfern wird Viehhaltung betrieben. Rinder gehen nicht sonderlich zimperlich mit ihrer Umgebung um und Ziegen fressen alles, was auch nur irgendwie erreichbar ist. Erosion ist deshalb ein riesiges Problem in vielen Gegenden. Jede noch so kleine Siedlung hat seinen eigenen Chef, der entscheidet, ob man die Gegend besuchen darf oder nicht. In San Pedro Nodon, wo es einen praehispanischen Friedhof gibt, tauchte ein junger Mann auf, sobald wir uns dem Friedhof naeherten und verlangte, dass wir eine Bewilligung einholten, was oft nur als eine extra Einnahmequelle dient. In Tepelmeme mussten wir lange auf den Beauftragten warten, der uns danach beschied, dass beschlossen wurde, bis auf weiteres duerfe niemand die umliegenden Huegel besteigen. Er liess sich auch nicht durch unsere offiziellen Papiere der UNAM beeindrucken. Um ihm die Angst zu nehmen, dass wir den Huegel, den wir besuchen wollten, aller Pflanzen berauben wuerden, offerierten wir, dass er uns einen Fuehrer mitgeben koennte. Es nuetzte alles nichts.



In San Antonio Abad suchten wir eine Stunde lang vergebens nach dem Beauftragten, bis wir aufgaben und ohne Bewilligung fahren wollten und ihn per Zufall entlang der Piste antrafen, wo er gerade mit einer Gruppe von Maennern daran war, die Piste zu verbessern. Die Gruppe diskutierte lange hin und her, schaute sich Fotos an und las unsere offizielle Bewilligung von vorne nach hinten und zurueck durch, bis sie sich endlich entschlossen, dass wir weiterfahren durften. Es stellte sich heraus, dass frueher schon Botaniker gekommen waren, um die Population von Mammillaria hernandezii zu studieren, nur um herauszufinden, dass die Art gefaehrdet war. Sie zaeunten das Gebiet ein, worauf sich die Dorfbewohner empoerten, weil sie nun weniger Weidegebiet fuer ihre Ziegen hatten. Sie hatten nun verstaendlicherweise Angst, dass nach unserem Besuch aehnliches passieren koennte. In San Pedro Nopala fanden wir den Beauftragten mit Hilfe eines Dorfbewohners sehr schnell und die Sache war innert Minuten erledigt. Wir mussten einen Obulus von 250 Pesos abdruecken und waren unterwegs. Dies sind nur einige Beispiele, die aufzeigen sollen, wie unterschiedlich die Situation gehandelt wird. Oft ist die Buerokratie unglaublich, die Organisation, wenn ueberhaupt vorhanden, chaotisch. Wie aus den obigen Anmerkungen zu entnehmen ist, ist es nicht einfach, die oertliche Autoritaet zu finden. Ein Gemeindepraesident ist naemlich nicht das gleiche wie der Chef der "Bienes Comunales", der entscheiden kann, wer gehen darf und ob man einen Fuehrer braucht. Im Fall von Echeveria laui gibt es keine wirklich informativen Schilder an der Hauptstrasse, die darauf hinweisen, dass und wo man eine Bewilligung einholen kann und wie man zu einem Fuehrer kommt. Es scheint fast so, als ob Touristen nicht sonderlich erwuenscht waeren.



Nun aber zurueck zu unserer Echeveria laui. Frueh am Morgen fuhren wir gemeinsam mit unserem neuen Freund Antonio nach Santiago Quiotepec. Antonio wuchs in Cuicatlán auf und war schon immer von der Natur fasziniert. Er arbeitete in verschiedenen Gruppen, die die Umgebung von Cuicatlán erforschten, Populationsstudien erstellten, und ist momentan damit beschaeftigt, die Kinder von Cuicatlán fuer die Flora und Fauna zu interessieren, die sie umgibt und die ihre Zukunft darstellt. Er ist aber auch in das Aufforstungsprojekt von Echeveria laui involviert. Die Bruecke ueber den Rio Quiotepec wurde bei einem Sturm 2010 zerstoert und dient nur noch als gutes Fotosujet. Man benuetzte nun die Eisenbahnbruecke, da seit Jahrzehnten keine Eisenbahn mehr darauf verkehrt. In Santiago Quiotepec kannte sich Antonio gut aus und schnell war die verwantwortliche Person gefunden. Da wir von der UNAM kamen, wurde uns der Eintrittspreis erlassen. Wir bekamen einen jungen Mann namens Nacho als Fuehrer zugewiesen. Er war untersetzt und ihm haftete an diesem Montagmorgen immer noch die Alkoholfahne des Wochenendes an. Er hatte ein Interesse an Pflanzen und kannte viele sogar bei ihrem lateinischen Namen. Wir fuhren an den Cabañas vorbei (280 Pesos/2 Personen; 500 Pesos/4 Personen) und fuhren bis zu einem unscheinbaren Parkplatz. Tatsaechlich fuehrte ein huebsch angelegter Weg entlang eines kleinen Arroyos, der spaeter auch Wasser fuehrte, bergabwaerts. Grosse Saeulenkakteen waren landschaftspraegend. Dazu kamen Agave seemanniana und A. titanota und viele kleinere Kakteen. Zuerst sahen wir Mammillaria huitzilopochtli mit Knospen, die sich aber im Laufe des Morgens und mit den ersten Sonnenstrahlen oeffneten. An einem kleinen Wasserfall mit schattiger Felswand wuchsen dann die ersten Echeveria laui. Einige davon waren angepflanzt und Teil eines Aufforstungsprojektes der Gemeinde. Spaeter eroeffneten sich uns tolle Blicke auf die Flussbiegung des Rio Salado mit Saeulenkakteen, bluehenden Agaven, tiefblauem Himmel und roten Klippen. Dann folgte schon bald das Ziel unserer Wanderung: Grosse Polster von Echeveria laui in roten, schattigen Klippen. Es gab Sitzgelegenheiten und fuer Nahaufnahmen durften wir erstaunlicherweise sogar im Gebuesch herumklettern.



Zurueck in Cuicatlán goennten wir uns in einem kleinen Restaurant oberhalb des Hauptplatzes ein ausgiebiges Mittagessen. Das kleine Staedtchen scheint wie an die roten Klippen geklebt, die sich dahinter senkrecht in den Himmel erheben. Viele der kleinen Gassen sind extrem steil und zu Fuss nur muehsam zu ersteigen. Doch es gibt eine geniale Einrichtung, naemlich die "Mototaxis" der indischen Marke Lajaj. Es sind motorisierte Dreiraeder, die auf dem Ruecksitz Platz fuer drei Personen bieten. Die Fahrt kostet nur 5 Pesos und die Taxis rattern Tag und Nacht durch die Gassen. In den fruehesten Morgenstunden wurden wir von einem weiteren interessanten und zuerst nicht zuzuordnendem Geraeusch geweckt. Fuer uns klang es so, als ob jemand vergebens versuchte, den Dieselmotor eines Lastwagens zu starten. Das Geknatter kam und ging. Als wir um sieben Uhr zum Auto hochstiegen, sahen wir gleich gegenueber des Hotels einen hell erleuchteten Raum mit zwei alten Leuten, die in ihren Stuehlen sitzend eingenickt waren. Eine Frau kam mit einem Korb auf dem Kopf die Strasse entlang gelaufen und es kam Betrieb in die Bude. Eine antike Maschinerie wurde in Gang gesetzt und das laute Geknatter ging los. Die Frau hatte einen Korb voller Nixtamal gebracht, der nun gemahlen wurde, damit sie Zuhause ihre Tortillas herstellen konnte. Um Nixtamal herzustellen werden getrocknete Maiskoerner in einer alkalischen Loesung, oft Kalkwasser, eingeweicht, gekocht und anschliessend gespuelt. Nixtamal wird ganz z.B. fuer typische mexikanische Gerichte wie Menudo und Pozole verwendet, oder aber wie in unserem Fall gemahlen, um die Masse zur Tortillaherstellung zu erhalten. Des Raetsels Loesung war ganz einfach und fuer naechstes Mal wissen wir nun auch, in welchen Zimmern des Hotels wir uns einquartieren werden, um den groessten Laerm zu vermeiden. Antonio fuehrte und auch in La Iberia einige Kilometer ausserhalb von Cuicatlán herum, wo er ein riesiges Gruenhaus, in dem Abertausende von Echeveria laui gezuechtet werden, verwaltet. Der Blick ueber die zig kleinen Toepfe mit den weissen Rosetten aller Groessen darin ist schlicht ueberwaeltigend. Leider wurden beim Sturm und der Ueberschwemmungen von 2010 einige andere Anzuchtshaeuser beschaedigt und Kakteen unter Schlamm begraben, doch gluecklicherweise standen die Echeverien genuegend hoch, um das Hochwasser zu ueberleben. La Iberia kann nach Voranmeldung besucht werden, ist allerdings keine Gaertnerei wo man Pflanzen kaufen kann.



Kaum hatten wir nun auf unserer Wunschliste einen Punkt abgehakt, kam schon ein neuer hinzu. Nachdem wir Echeveria laui endlich im Habitat gesehen hatten, wollten wir als naechstes Pachyphytum cuicatecanum (als Echeveria cuicatecana beschrieben) in der gleichen Gegend besuchen. Leider war dies im Dezember nicht moeglich, da der Wasserstand eines Flusses, der durchquert werden muss, noch zu hoch war. Cuicatlán hat uns also bestimmt nicht zum letzten Mal gesehen!



Februar 2012



Julia Etter & Martin Kristen