travelog 108






Reisen ohne Mäge - Nach Hause



Was macht man in Creel mit drei verschiedenen Reifen auf einem Auto und ungefähr 1000 zu fahrenden Kilometern, davon natürlich einige auf Pisten durch uns noch unbekanntes Gebiet? Man verlässt Creel möglichst schnell, denn hier gibt es ausser Souvenirs wirklich nicht viel Brauchbares zu kaufen. Wir fuhren also auf der altbekannten Strasse nach Guachochi, wo wir in einem Supermarkt zwischen Chips, Tomatenpuree und etwas schrumpeligem Gemüse tatsächlich neue Reifen für unser grünes Monster fanden. Mit neuen Reifen unter dem Hintern fühlten wir uns schon viel sicherer und waren wieder für neue Abenteuer zu haben.



Südlich von Hidalgo del Parral schlugen wir uns bei Villa Ocampo in die Büsche, von wo aus wir San Bernardo, Coscomate und schliesslich Guanacevi erreichen wollten. Die Landschaft war geprägt von sanften Hügeln und wir fanden verschiedene Populationen von riesigen Agave parryi, die auch etwas von A. durangensis miteingemischt bekommen hatten. Die Piste kam leider nie in richtige Berge hinein, wir sahen sie immer nur in der Ferne locken. Als wir gemütlich durch die Hügel kurvten und an nichts Böses dachten, kam uns eine Camioneta der Lokalpolizei mit zwei Militärfahrzeugen im Schlepptau entgegen. Sofort gingen die Blinklichter an, das Polizeifahrzeug stellte sich quer und versperrte uns den Weg und schwer bewaffnete und maskierte Männer sprangen von der Ladefläche herunter. Auch Fahrer und Beifahrer und eine dritte Person in der Kabine waren vermummt und schwer bewaffnet, doch anscheinend begannen sie unser Auto genauer zu studieren und sahen plötzlich die vielen Kleber mit dem Zeichen der UNAM, v.a. dasjenige auf der Motorhaube war kaum zu übersehen, und so schnell wie die Männer von der Ladefläche gesprungen waren, so schnell waren sie auch wieder oben. Die Polizisten grüssten uns nur freundlich und fuhren weiter auf der Suche nach echten Bösewichten. Am späteren Nachmittag erreichten wir San Bernardo, wo wir uns nach dem Weg nach Guanacevi erkundigten. Die Leute kannten die Piste nur bis zur Mine El Colorado hinauf und schätzten, dass wir etwa 2-3 Stunden bräuchten bis nach Guanacevi. An einem hübschen Bach unter Platanen nahmen wir unser Picknick ein und beschlossen intelligenterweise, zurückzufahren und die Nacht in Santa Maria del Oro zu verbringen. Diese Entscheidung sollte sich am nächsten Tag als sehr weise herausstellen!



Am nächsten Morgen kamen wir hinter San Bernardo wieder an dieser seltsamen Mischung zwischen Agave parryi und A. durangensis vorbei. Heute zielte die Piste direkt auf hohe und wilde Bergketten zu, genau was wir im Sinne hatten. Zuerst aber verweilten wir uns bei der Mine El Colorado und suchten Steine. Es hatte leicht geregnet und die Steine waren alle schön bunt. Bald packten wir Kartons aus, um die Steine einzuräumen, dann blieben wir für ein frühes Mittagessen und hatten schliesslich eine schöne Steinsammlung zusammen. Die Piste führte um die Minenoperation herum und bei ein paar Hütten fragten wir nach dem Weg nach Guanacevi. Der Mann sah uns erstaunt an und zeigte auf einen etwas zugewachsenen Weg, den sie für einige Kilometer befahren würden, um ihre Rindviecher zu suchen. Allerdings kämen am Wochenende immer mal wieder Autos aus der Gegenrichtung, meinte er, also müsse die Strecke wohl befahrbar sein. Wir fuhren entlang und in einer wunderschönen Schlucht, die immer enger und verwunschener wurde. Ab und zu nieselte es leise, dicke graue Wolken hingen am Himmel und wir hofften, dass wir auf dieser uns unbekannten Strecke nicht von einem richtigen Regenfall überrascht würden. Die Eichenbäume waren nun vollgehängt mit Tillandsia usneoides, wir sahen Agave schidigera, A. parryi, eine Baum-Nolina, Yucca madrensis und Echinocereen. Die Temperaturen waren winterlich und der leise Regen machte es nicht eben besser, doch dick in Fleece- und Regenjacken eingemummelt kletterten wir trotzdem auf und zwischen den moosigen Felsen umher und entdeckten auch noch Graptopetalum pusillum. Bei der Mine waren wir auf ungefähr 2000m Höhe gewesen, nun ging es in der Schlucht stetig in die Höhe und weit vor und über uns sahen wir die Piste am Berghang. Sie sah nun wesentlich weniger befahren aus. Die Agave parryi bekamen durch den Regen pechschwarze Endstacheln, was sie extrem attraktiv machte. Die letzten drei Kilometer bis wir die Passhöhe bei 2400m erreichten, waren ein Erlebnis und wir hofften nur, dass wir hier nicht wieder zurückfahren mussten. Ohne Vierradantrieb und eine gute Bodenfreiheit wären wir unmöglich über die ausgewaschenen Stellen und die felsigen Partien gekommen. Oben angekommen dachten wir, dass es jetzt ja nur besser werden konnte, schliesslich ging es nur noch den Berg hinunter. Doch weit gefehlt! Die Piste schien hier oben noch weniger befahren zu sein als auf der anderen Seite, doch immerhin waren die Stacheldrahtzäune ganz neu und so nahmen wir an, dass wir schon irgendwie nach unten kommen würden. Aus den hohen Bergen kamen wir langsam wieder in Hügelland und erreichten bei El Potrero auf 1920m schliesslich einen Fluss mit einer Brücke mit Knick, doch sie hielt stand, obwohl wir mit viel Tempo darüberschossen. Der Himmel war immer noch grau verhangen, doch immer wieder drängten Sonnenstrahlen durch die dicken Wolken und erleuchteten die gelben, abgemähten Felder und die Pappeln mit ihren gelben und orangen Blättern. Die Stimmungen waren fantastisch und mit etwas Regen waren auch immer wieder Regenbögen zu sehen.



Auf der Teerstrasse kamen wir schnell bis nach Guanacevi, wo wir hofften ein Hotel zu finden. Die engen Gassen waren in beiden Richtungen befahrbar, was mit den am Rand geparkten Autos ein verkehrstechnisches Chaos produzierte. Das Hotel Concordia im Zentrum war leider voll besetzt, doch auf der Polizei war man sehr hilfreich und ein Polizist rief in einem anderen Hotel an, wo tatsächlich noch Zimmer frei waren. Wir fanden einen Parkplatz entlang des Flusses und gingen zu Fuss bis zum Hotel, was wesentlich schneller war als bei Gegenverkehr zu versuchen sich vorwärtszukämpfen. Das Hotel sah nicht sonderlich Vertrauen erweckend aus, die Zimmer waren feucht und es roch nach Abwasser, ausserdem musste man sich das Bad mit den anderen Gästen teilen, und dafür wollte der junge Mann auch noch 200 Pesos einziehen. Auf der anderen Flussseite sahen wir noch ein weiteres Hotel, doch der blosse Anblick des Einganges liess uns schon zurückschrecken. Ausserdem hätte man hier das Auto unten im Fluss geparkt in der Hoffnung, dass von weiter oben keine Flutwelle kommt. Im Feierabendverkehr kämpften wir uns nun wieder aus Guanacevi heraus, was eine ganze Ewigkeit dauerte, denn an einer engen Stelle kam unserer Fahrzeugkolonne der Bus entgegen und Ausweichmanöver mit Millimeter-Zirkelei waren nötig, um das Verkehrschaos zu bewältigen. Die 80km bis nach Tepehuanes waren immerhin asphaltiert, doch die Strecke war sehr kurvenreich. Bei Nacht und Regen erreichten wir schliesslich Tepehuanes, wo es genügend freie Hotelzimmer gab und in unserem Favoritenrestaurant sogar auch noch etwas warmes zum Essen. Der Alambre, ein Teller mit gegrilltem Fleisch mit Zwiebeln, Pilzen und Chiles schmeckte ausgezeichnet. Noch besser war die grüne Salsa, deren Rezept der Besitzer leider nicht hergeben wollte.



Da wir so erfolgreich Steine gesammelt hatten und noch etwas Platz im Auto war, erinnerten wir uns an einen Fluss in der Nähe von Rodeo, wo wir einmal aus Mangel an Zeit und Platz nur ganz wenige Steine einpacken konnten. Nur lag Rodeo viel weiter östlich von Tepehuanes und war auf asphaltierten Strassen nur mit grossen Umwegen zu erreichen. Schnell fanden wir auf der Karte die passenden Pisten, die so ungefähr gerade nach Osten führten. Hinter Santiago Papasquiaro wurde die kurvige und schmale Strasse über den Pass wesentlich verbreitert. Bei Morelos verliessen wir dann die Hauptstrasse und fuhren auf guten Pisten durch Mennonitengebiet. Das Strassengewirr war verwirrend und immer wieder landeten wir in einer Sackgasse mit einem grossen, gut gepflegten Hof. Die Leute, die wir nach dem Weg nach Castillo del Valle befragten, meinten allesamt, wir hätten über Nuevo Ideal fahren sollen, das wäre alles asphaltiert gewesen. Als wir schliesslich den Asphalt erreichten, stellten wir bald fest, dass wir auf den Pisten viel schneller vorwärtsgekommen waren als auf dieser extrem kaputten und mit Schlaglöchern übersäten Strasse. Da wir nur mit Hilfe des Guia Roji Strassenatlasses fuhren, wussten wir nie so genau, wo wir nun wirklich waren. Immerhin gab es einige primitive Holzschilder mit Ortsnamen, die wir auf der Karte wiederfanden. Andere Autos kamen uns nicht entgegen. Die Piste schraubte sich in die Höhe und war ziemlich neu geschoben und gut zu befahren. An einer weiteren verwirrenden Verzweigung kam glücklicherweise ein Polizeiauto vorbei. Die Insassen waren sehr misstrauisch, erwähnten aber eine ganz neue Verbindungsstrecke zwischen San Jose und El Porvenir, die wir befahren könnten, wenn wir unbedingt oben durch nach Rodeo gelangen wollten. In San Jose erkundigten wir uns sicherheitshalber nochmals nach dieser Strecke und ein junger Mann meinte, das sähe dort noch nicht wirklich befahrbar aus. Wir vertrauten den Polizisten und fuhren auf einer ganz neuen Piste den Berg hinauf. Oben auf der Passhöhe eröffnete sich uns der Blick auf El Porvenir und eine Piste mit brauner, umgewühlter und aufgetürmter Erde und Strassenbaumaschinen und hochbeinigen Autos weiter unten. Die Maschinen waren gerade dabei, einen riesigen Felsen den Hang hinunterzuschieben. Alles Rufen, Pfeifen und Hupen nützte nichts. Schliesslich wanderte Julia bis zu den Arbeitern hinunter. Die Piste war wirklich erst im Bau, doch einer der Ingenieure war so nett und schickte die Maschine auf die letzten paar Meter, die noch nicht wirklich umgewälzt waren. Nach einer halben Stunde sah das Stück einigermassen befahrbar aus und Martin bewegte sich langsam über die Piste in unsere Richtung. Dreimal musste sich der Dodge durch die lockere braune Erde wühlen, doch schliesslich waren wir unten am Berg angekommen und hofften auf bessere Strassenverhältnisse, da es schon wieder späterer Nachmittag war. Hinter Porvenir war die Piste tatsächlich etwas besser und hier begann auch die wirklich schöne Landschaft mit interessanten Felsen und schönen Schluchten und vielen Pflanzen. Leider hatten wir keine Zeit für Pausen, denn wir wollten nicht schon wieder in der Nacht unterwegs sein. Beim Eindunkeln trafen wir endlich in Rodeo ein, wo wir entlang der Hauptstrasse ein Nachtessen fanden und in einem Hotel unterkamen.



Der nächste Tag war der Steinesammlerei gewidmet. Wir fanden einen violetten Kristall, der auch mit einer Eisenbrechstange nur wenig zu bewegen war und leider nicht bis zum Auto verschoben, geschweige denn auf die Ladefläche gehievt werden konnte. Dafür gab es andere wunderschöne Steine mit denen wir das Fahrzeug schliesslich so überfüllten, dass wir keine weiteren Pisten mehr fahren wollten und es uns jetzt wirklich nur noch südwärts in heimische Gefilde zog.



Januar 2012



Julia Etter & Martin Kristen