travelog 105






Auf den Spuren von Echeveria tenuis



Wie im letzten Reisebericht angekuendigt, sind wir nach Monte Escobedo unterwegs, um die seit 100 Jahren verschollene Echeveria tenuis zu suchen. Nachdem wir 2010 die ebenfalls fuer mehr als 100 Jahre verschollene Echeveria tobarensis gefunden hatten, wollen wir nun also unser Glueck mit einer weiteren mysterioesen Art versuchen. J.N. Rose hatte am 26. August 1897 Pflanzen "among rocks on top of mountains near Monte Escobedo, Zacatecas" gefunden (zwischen Felsen auf Gipfel der Berge nahe Monte Escobedo, Zacatecas). Wir hatten schon einmal kurz nach dieser Pflanze gesucht, aber schnell entmutigt aufgegeben, denn in der Naehe von Monte Escobedo gibt es keine wirklichen Berge und schon gar keine felsigen Gipfel.



Bei der Einfahrt in Monte Escobedo erkundigten wir uns nach der mexikanischen Variante eines Forstbueros. Am Hauptplatz im Gemeindehaus wuerden wir das Buero finden. Wir haben noch kaum den Motor abgestellt, da erkundigt sich ein Passant schon, ob wir Botaniker seien. Als wir ihm von unserem Vorhaben erzaehlen, meint er wir muessten unbedingt Carlos Carrillo kennenlernen. Von ihm koennten wir gleich im Gemeindehaus eine Fotoausstellung der Flora und Fauna rund um Monte Escobedo ansehen, was wir umgehend tun. Vom gleichen Passant werden wir zu verschiedenen Sekretaerinnen geleitet, bis der Chef der Forstbehoerde lokalisiert werden kann. 10 Minuten spaeter sitzen wir mit ihm zusammen in einem Versammlungssaal. Auch er insistiert, dass wir unbedingt Carlos Carrillo suchen sollen, denn wenn uns jemand weiterhelfen koenne, dann ganz bestimmt er. Er erklaert uns, bei welcher Mofa- und Velowerkstaette wir Carlos am spaeteren Nachmittag normalerweise antreffen koennen und erwaehnt noch einige Klippen, die vielleicht sehenswert waeren.



Es ist erst frueher Nachmittag und so fahren wir nordwaerts Richtung Mezquitic. Auf Google Earth hatten wir die gleichen Felsklippen gesehen, die der Forstbeamte erwaehnte. Wo die Strasse eine scharfe Linkskurve macht, biegen wir auf eine Piste ein, die in einiger Entfernung immer entlang der Klippen nordwaerts fuehrt. Es hatte kuerzlich geregnet und wir muessen durch viele teils tiefe und schlammige Stellen fahren, wobei wir nie so sicher sind, wie tief der Schlamm nun tatsaechlich ist. Einige Male wandern wir bis an die Klippen, koennen aber ausser bluehenden Agave bulliana keine interessanten Pflanzen entdecken. Es scheint uns generell viel zu trocken fuer eine Echeveria zu sein. Ploetzlich ruft Martin, dass ich sofort mit der Kamera kommen solle, er haette eine Schlange entdeckt. Als ich neben ihm stehe deutet er unzaehlige Male mit dem Stock auf die Schlange, doch ich kann beim besten Willen nur trockene Eichenblaetter sehen. Doch da ist dann ploetzlich ein anderes Muster sichtbar, das sich vom Eichenlaub unterscheidet. Bei unserem Exemplar handelt es sich um einen Crotalus lepidus, eine gebaenderte Felsklapperschlange.



Gegen Abend besuchen wir die Werkstatt und fragen nach Carlos Carrillo. Sofort schicken sie einen Juengling los, der bald zurueckkommt und uns bescheidet, wir sollten ihm zu Carlos's Buero folgen, wo er uns erwarte. Ueber steile Treppen geht es in den ersten Stock, wo wir sowas wie ein kleines Museum antreffen. Carlos und seine Equippe haben Samen, Blaetter, Kaefer, Schmetterlinge, Kakteen, Pinienzapfen und vieles mehr der heimischen Flora und Fauna zusammengetragen. In kleinen Terrarien sind lebendige Eidechsen und Blindschleichen untergebracht. Wir lernen Luis kennen, einen jungen Mann aus Monte Escobedo, der zufaelligerweise zu Carlos gestossen war und voller Enthusiasmus mitarbeitet. Seine Schwester Sandra erledigt die Computerarbeit. Und immer wieder kommen Studenten aus ganz Mexiko, um mit Carlos ins Feld zu gehen. Das wichtigste Projekt der Gruppe ist allerdings der Adler (hier). Sie besuchen die Nester, fotografieren Jungtiere und zaehlen erwachsene Voegel. Schnell hatten wir uns mit Carlos darauf geeinigt, dass Luis uns am naechsten Tag begleiten wuerde.



Morgens laden wir Luis in unsere Camioneta ein und fahren Richtung Sueden auf die Mesa del Carrizal. Luis kennt die Gegend wie seine Hosentasche und er fuehrt uns auf kaum sichtbaren Reifenspuren bis relativ nahe an Felsklippen heran, denen wir danach entlang wandern. Es ist ein wunderschoener Ort mit interessanten Pflanzen wie Agave filifera, A. bulliana (Polianthes mexicana), A. brunnea, Dasylirion wheeleri, Orchideen in den Klippen, Mammillaria moelleriana aff., Echinocereus acifer, an feuchteren Stellen auch bluehende Begonien, Pitcairnia, Peperomia, und obwohl wir uns auf 2400m Hoehe bewegen treffen wir viele Pflanzen aus den viel tiefer gelegenen Canyons des Rio Santiago an, so z.B. Myrtillocactus geometrizans, Stenocereus queretaroensis, eine rot-staemmige Bursera und Ficus petiolaris. Vergebens allerdings suchen wir nach einer Echeveria. Die einzige Crassulacee, die wir entdecken, ist Sedum jaliscanum. Auf dem Rueckweg stoppen wir bei einem trockenen Wasserfall mit einem huebschen Canyon, wo wir mehr Agave bulliana, A. platyphylla (Polianthes platyphylla) und bluehende Begonien antreffen. Fast schon wieder in Monte Escobedo besuchen wir die Cascada El Guajilote, wo wir dann immerhin doch noch eine Echeveria antreffen, obwohl es nur eine hundskommune E. mucronata ist. Der Wasserfall hier ist nach den wilden Truthaehnen benannt, von denen wir reichlich Federn finden und sogar einen Blick auf eine etwa 20 Tiere zaehlende Schwarm erhaschen. In unserem Hotel "La Muralla", das aus kleinen Bungalows besteht, freunden wir uns schnell mit einem kleinen roten Tigerkaetzchen an. Nach der Feldarbeit goennen wir uns an der Hauptstrasse in einem kleinen Restaurant ein (oder auch zwei) Negra Modelo Bier. Das Essen schmeckt ausgezeichnet und die Portionen sind fuer hungrige Feldarbeiter berechnet.



Am naechsten Tag fahren wir mit zwei Camionetas los und fahren Richtung San Isidro und La Cumbre. Carlos wird von einer Studentin begleitet, die ihre Dissertation ueber Eidechsen und Schlangen von Zacatecas schreibt. Sie ist stadttauglich gekleidet und huebsch frisiert und traegt eine riesige Sonnenbrille, irgendwie schaut sie nicht sonderlich feldtauglich aus. Wieder fahren wir auf kaum sichtbaren Reifenspuren ueber gelbe Wiesen, bis Carlos zielsicher auf eine Gruppe Baeume zusteuert, in deren Schatten wir die Autos abstellen. Mit seiner Studentin wandert Carlos suedwaerts, waehrend wir mit Luis in die andere Richtung losmarschieren. Bald erreichen wir wieder wunderschoene Klippen, ideales Crassulaceen-Habitat! Zuerst finden wir Sedum jaliscanum, dann S. bourgaei. Aufregend wird es, als wir in den Felsen ploetzlich ein Polster mit violetten dicken Blaettern entdecken. Entweder ist es Pachyphytum saltense oder Graptopetalum amethystinum aff, beide aus der mehr oder weniger naeheren Umgebung bekannt. Als wir dann einen alten Bluetenstand entdecken, stellt sich die Pflanze als G. amethystinum aff heraus. Martin erkundet den oberen Teil der Klippen, waehrend ich mit Luis unterhalb der Klippen herumklettere. Nach Stunden geben wir schliesslich auf und fahren etwas weiter, wo wir ploetzlich auf Carlos und seine Studentin treffen. Sie haben einige Eidechsen gesehen, aber keine Schlangen. Als ich etwas abseits zwischen den Felsen herumsteige, hoere ich ploetzlich das bekannte Rasseln einer Klapperschlange und sehe auch etwas zwischen den Steinen verschwinden. Sofort kommen die anderen angerannt, die nur ein paar Meter entfernt gesessen sind. Carlos hat ein improvisiertes Instrument bei sich, um Schlangen zu fangen. Es ist eine lange Stange mit einer zuziehbaren Schlinge am Ende, doch von der Klapperschlange ist keine Spur mehr zu sehen. Als Carlos zwischen die Steinbrocken tritt, hoeren wir wieder das Rasseln, Carlos springt zurueck, und eine zweite Klapperschlange verschwindet zwischen den Felsen. Es muss sich um ein Paar gehandelt haben, doch die Tiere sind ihrer Umgebung so perfekt angepasst, dass sie kaum zu sehen sind. Wir ueberlassen Carlos und die Studentin Lupita ihrem Schicksal und besuchen einen der seltenen Standorte, wo es noch ein paar Agave maximiliana zu sehen gibt. In unserem Fall sind es gerade mal 20 Pflanzen. Zum Abschluss des Tages nimmt uns Luis noch zu einer Quelle, wo wieder ein interessanter Canyon beginnt. Ausser den beiden Seda von frueher koennen wir noch Villadia painteri fotografieren, doch von Echeveria tenuis wieder keine Spur.



Fuer uns wird es langsam Zeit, wieder in heimatliche Gefilde zu kommen und so verabschieden wir uns am naechsten Tag von Carlos und seinen Mitarbeitern. Sie offerieren uns fuer einen naechsten Aufenthalt Unterkunft und weitere Unterstuetzung im Feld. Ohne ihre ausserordentliche Ortskenntnis haetten wir nie und nimmer diese extrem interessanten und wunderschoenen Orte gefunden! Ausserdem versprechen sie, uns in Zukunft Bilder aller interessanten Pflanzen zu schicken, die uns evt. auf die Spur von Echeveria tenuis fuehren koennten. Nach dem Fruehstueck packen wir im Hotel mit Erlaubnis des Eigentuemers, des Nachtwaerters Manuel, den kleinen roten Tigerkater ins Auto, kaufen ihm in Ermangelung eines Katzenkorbes einen Vogelkaefig, in dem er nun 8 Stunden lang geduldig in seine neue Heimat Jalisco reist. Wir nennen ihn wegen seiner huebschen regelmaessigen Tigerzeichnung auf dem Fell treffend "Tiggi". Anstatt mit einer lang verschollenen Echeveria kommen wir nun mit einem kleinen Kater zurueck nach Hause! Mal etwas Neues...



Oktober 2011



Julia Etter & Martin Kristen